Berlin – Für viele Männer ist es eine bittere Erfahrung, wenn Inkontinenz und Impotenz sich noch Monate nach einer Prostatektomie nicht wesentlich gebessert haben. Der Verlust an Würde und Selbstachtung durch diese Veränderungen kann in Depressivität und sozialen Rückzug führen. Aber: „Kontinenz und sexuelles Erleben sind auch nach der Behandlung eines Prostatakrebses möglich“, betonte Friedrich W. Zimmermann, Autor und Patient, in seinem Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft in Berlin [1].
„Dazu braucht es aber neben außerordentlich viel Geduld und kontinuierlichem Training auch Ärzte, die noch Monate und Jahre nach dem Eingriff immer wieder nachfragen, beraten und Mut machen“, sagte er.
Durch die onkologische Erstbehandlung geht in den meisten Fällen zumindest kurzfristig die Kontrolle über die Miktion verloren, auch dann, wenn nerven- und sphinkterschonend vorgegangen werden kann: Wenn der Dauerkatheter 14 bis 21 Tage nach dem Eingriff entfernt wird, sind fast alle Patienten zunächst harninkontinent.
Wenn auch die Beckenbodenmuskulatur in den Eingriff einbezogen werden musste, funktioniert nicht einmal mehr der willkürliche Verschluss der Harnröhre durch ein Anspannen des Beckenbodens.
Wiederholte Beratung in der Nachsorge
Solange der Urin unkontrolliert abläuft, werden Vorlagen, Windeln oder Inkontinenz-Unterwäsche rund um die Uhr notwendig. Eine Beratung dazu, welche Hygieneartikel sinnvoll sind und wie sie angewendet werden, findet zwar normalerweise in der Klinik statt. „Aber viele Fragen stellen sich erst im Alltag“, erläuterte Zimmermann.
Deshalb sei es mehr als hilfreich, die Beratung in Abständen in der Praxis zu wiederholen, gegebenenfalls auch durch geschultes Praxispersonal, ähnlich den in Australien etablierten „Prostate Cancer Specialist Nurses“ .
Eine Rückkehr in den sozialen Alltag und ins Arbeitsleben ist in aller Regel erst möglich, wenn die Inkontinenz weitgehend gebessert ist. Ein spezielles Beckenbodentraining, Biofeedback-Verfahren, gegebenenfalls auch eine medikamentöse Stabilisierung der Blasenfunktion sind in jedem Fall sinnvoll, ein Aufenthalt in einer spezialisierten Reha-Einrichtung deshalb dringend empfehlenswert, die soeben aktualisierte Leitlinie spricht diese Empfehlung auf einem 1A-Level aus.
Wie schnell die Inkontinenz überwunden werden kann, das hängt zunächst vom chirurgischen Prozedere und der Erfahrung des Operateurs ab: In einer 2013 publizierten Untersuchung, in der Patienten befragt wurden, die 5 bis 10 Jahre vorher operiert worden waren, waren nur 30% wieder vollständig kontinent geworden.
Die Weiterentwicklung der Behandlungsoptionen führt heute in erfahrenen Zentren aber zu wesentlich atraumatischeren Eingriffen und erheblich besseren Ergebnissen. Nach einem Cochrane-Review werden heute über 50% aller Patienten nach einer primären Behandlung eines Prostatakarzinoms im Lauf eines Jahres wieder vollständig kontinent.
Die Chancen stehen schlechter für Patienten mit Vorbelastungen wie Diabetes, Übergewicht und bei höherem Alter und sie sind entsprechend höher bei jüngeren, gesunden Männern. Bleibt die Inkontinenz trotz aller Bemühungen und Reha-Maßnahmen länger als 1 bis 2 Jahre bestehen, was etwa bei 10% aller Patienten der Fall ist, so können auch invasive Behandlungsmethoden erwogen werden.
Immer wieder zum Training ermuntern
„Ein paar Wochen mit diesen Vorlagen herumzulaufen ist die eine Sache. Eine andere ist es, wenn das Herauslaufen des Urins nicht aufhört, wenn das Training nicht funktioniert, wenn Mutlosigkeit, Scham vor sich selbst und vor der Partnerin ins Spiel kommen“, so Zimmermann.
Ihm habe neben der Empathie seiner Lebensgefährtin und dem Austausch mit anderen Betroffenen vor allem geholfen, dass ihm Ärzte immer wieder Mut gemacht haben, mit dem Beckenboden- und Kontinenztraining in all seinen Varianten nicht nachzulassen: Wenn 3 Stunden ohne Urinabgang geschafft seien, auch dann, wenn man herumläuft und sich bewegt, sei eine weitgehende Alltagsfähigkeit erreicht.
Mit Geduld gegen die erektile Dysfunktion
Die zweite häufige Folge unterschiedlicher Formen der onkologischen Therapie ist die erektile Dysfunktion (ED). Sie wird in der Hauptsache durch die Traumatisierung der vegetativen Nervenbündel verursacht, die durch den Beckenboden neben der Harnröhre zum Penis ziehen.
Ob und in welcher Qualität die Fähigkeit zur Erektion sich erholt, hängt vor allem davon ab, ob diese Nervenbahnen in das maligne Geschehen mit einbezogen sind, ob bei der Operation zumindest einer der beiden Nervenstränge erhalten werden kann und auch davon, ob vor der Operation die Potenz noch vollständig erhalten war.
In den Fällen, in denen die kavernösen Nervenbündel komplett erhalten werden können, erreichen über 50% der Patienten, die präoperativ potent waren, ohne Hilfsmittel innerhalb mehrerer Monate wieder eine Erektion, die für den Geschlechtsverkehr ausreicht. Die Effekte können noch erheblich verbessert werden, wenn ein PDE-5-Hemmer (Sildenafil, Tadalafil etc.) verwendet wird, um die Erektion zu stabilisieren.
Das eine Zeitlang propagierte Konzept, mit einer regelmäßigen Einnahme sofort nach Entfernung des Dauerkatheters zu beginnen, um einer Degeneration der Schwellkörper vorzubeugen, ist der On-Demand-Einnahme nicht überlegen, wie in der aktuellen S3-Leitlinie betont wird.
Aber selbst, wenn eine Erektion erreicht werden kann, braucht sie mehr Zeit, ist anfälliger für Störungen, und auch die frühere Festigkeit des Penis kann häufig nicht mehr erreicht werden.
Neue Ebene an Nähe und Sexualität
Ob die Partnerschaft unter der Einschränkung der Potenz dauerhaft leidet oder ob neue Wege und eine neue Ebene an Nähe, Zärtlichkeit und Sexualität erreicht werden kann, liegt nicht nur am Lebenswillen des Patienten selbst, sondern auch an Geduld und Liebenswürdigkeit seiner Partnerin bzw. seines Partners: „Ohne Prostata braucht es viel Zeit, Geduld und Nachsicht beim Sex“, beschreibt es Zimmermann.
„Kann ein Mann ohne Prostata, nach einer Krebs-Operation, genau so weitermachen? So tun, als sei alles normal? Nein, es gibt nicht nur einen gefühlten Unterschied, sondern auch einen objektiven. Schnell ‚zur Sache‘ kommen ist vergessen. Weitermachen, nur keine Unterbrechung, die Erregung könnte nachlassen, gar verpuffen. Gelassenheit kann ich heute buchstabieren. Es geht auch anders. Die fehlende Härte der Erektion ist kein Versagen. Ich weiß es, meine Partnerin weiß es: Das ist der Preis für die lebensrettende Operation.“
Therapeutikum Arzt – schon das Fragen hilft
Wie jede Behandlungsstrategie, bei der Fortschritte nur in sehr kleinen Etappen sichtbar werden und Rückschläge an der Tagesordnung sind, hilft es auch hier, wenn in der ärztlichen Nachsorge die Veränderungen der Sexualität thematisiert werden, gegebenenfalls auch zusammen mit der Partnerin. Eine spezielle sexualmedizinische Fortbildung ist hierzu nicht notwendig. Es reicht, ganz einfache Fragen zu stellen:
Wie geht es Ihnen beiden mit den Folgen der Krebserkrankung?
Wie sehr schränkt sie beide die Inkontinenz ein? Wie gehen Sie damit um?
Haben Sie noch oder wieder Zärtlichkeit und Sex?
Wenn nein, was sind die Hinderungsgründe?
Was haben Sie schon versucht, und wie erfolgreich oder enttäuschend war das?
Stellen sich überhaupt beide unter einer befriedigenden gemeinsamen Sexualität das Gleiche vor, was erwartet jeder vom anderen?
Und welche Kompromisse wären Sie bereit einzugehen?
Eigentlich könnte sich das Paar diese Fragen auch selbst stellen und miteinander Lösungen finden. Aber in sehr vielen Fällen braucht es einen unabhängigen Dritten, um ein offenes Gespräch in Gang zu bringen.
Cave Depressivität und Suizidgefahr
Wie jede Behandlungsstrategie, bei der Fortschritte nur in sehr kleinen Etappen sichtbar werden und Rückschläge an der Tagesordnung sind, hilft es auch hier, wenn in der ärztlichen Nachsorge die Veränderungen der Sexualität thematisiert werden, gegebenenfalls auch zusammen mit der Partnerin. Eine spezielle sexualmedizinische Fortbildung ist hierzu nicht notwendig. Es reicht, ganz einfache Fragen zu stellen:
Wie geht es Ihnen beiden mit den Folgen der Krebserkrankung?
Wie sehr schränkt sie beide die Inkontinenz ein? Wie gehen Sie damit um?
Haben Sie noch oder wieder Zärtlichkeit und Sex?
Wenn nein, was sind die Hinderungsgründe?
Was haben Sie schon versucht, und wie erfolgreich oder enttäuschend war das?
Stellen sich überhaupt beide unter einer befriedigenden gemeinsamen Sexualität das Gleiche vor, was erwartet jeder vom anderen?
Und welche Kompromisse wären Sie bereit einzugehen?
Eigentlich könnte sich das Paar diese Fragen auch selbst stellen und miteinander Lösungen finden. Aber in sehr vielen Fällen braucht es einen unabhängigen Dritten, um ein offenes Gespräch in Gang zu bringen.
Langfristig nimmt der Verlust der früheren Potenz bei den betroffenen Patienten von allen Nebenwirkungen den größten Einfluss auf die Lebensqualität. Eine anhaltende ED erhöht das Risiko, eine behandlungsbedürftige Depression zu entwickeln.
Die Gefahr besteht vor allem bei Männern, die allein leben, und die bereits vor der Krebserkrankung depressive Episoden hatten. Eine Kombination der Faktoren Prostata-Verlust, dauerhafte erektile Dysfunktion, Depressivität in der Vorgeschichte und Kontaktarmut erhöht langfristig auch erheblich die Suizidgefahr.
Die stationären Reha-Programme liegen zu diesem Zeitpunkt lange zurück. Depressivität und Suizidalität aufzudecken und mit Empathie nach Lösungswegen zu suchen liegt deshalb in den Händen der niedergelassenen Ärzte, die den Patienten langfristig betreuen. „Je besser sich Arzt und Patient auch in der langen Zeit der Nachsorge austauschen, desto besser ist in den Jahren nach der OP die Lebensqualität“, fasst Zimmermann zusammen.
Buchempfehlungen
Friedrich W. Zimmermann
Liebe – Lust – Prostata. Eine wahre Liebesgeschichte. Berlin 2016.
173 Seiten, gebunden. 24,90 Euro
Friedrich W. Zimmermann, Maki Shimizu
Liebe – Lust – Prostata – Der Comic. Berlin 2018.
64 Seiten, Taschenbuch. 12,90 Euro
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Diesen Artikel so zitieren: Männerleiden – Inkontinenz und Impotenz nach Prostatektomie: Geduld, viel Training und Mut machen durch den Arzt helfen - Medscape - 2. Jan 2019.
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