Kindesmissbrauch, Kinderpornografie und Prävention: Weltweites, digitales Selbsthilfeprogramm für pädophile Menschen

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

2. Januar 2019

Berlin – Missbrauchsabbildungen bzw. Kinderpornografie zirkulieren millionenfach im Internet und sind dort oft über lange Zeit präsent. Was macht dies mit den Opfern – wenn sie immer wieder ihre Bilder dort entdecken? Und: Wie lassen sich die Verbreitung dieser Bilder und Kindesmissbrauch eindämmen – etwa durch Prävention, die bei den Tätern ansetzt?

„Kindesmissbrauch ist ein weltweites Gesundheitsthema“, so der Sexualwissenschaftler und Psychotherapeut Prof. Klaus Michael Beier, Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Berlin beim World Health Summit (WHS) 2018 [1].

 
Kindesmissbrauch ist ein weltweites Gesundheitsthema. Prof. Klaus Michael Beier
 

Nach WHO-Schätzungen erleben weltweit 18% der Mädchen und 8% der Jungen sexuelle Gewalt. Rund eine Milliarde Kinder zwischen 2 und 17 Jahren weltweit haben emotionale, physische, sexuelle Gewalt erfahren. Die Folgen: Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Angststörungen, Despressionen und Essstörungen, Abhängigkeit von Alkohol und anderen Drogen sowie ein höheres Risiko – als Folge ungesunder Verhaltensweisen – an kardiovaskulären Krankheiten, Krebs und Diabetes zu erkranken.

Beier leitet seit 2005 das Projekt „Kein Täter werden“ und ist Mitinitiator der seit 2017 weltweit verfügbaren Online-App „Troubled Desire“, die sich als Online-Selbsthilfe-Programm an Pädophile und Hebephile (sexuelle Präferenz für pubertierende Heranwachsende) wendet. In seinem 2018 publizierten Lehrbuch stellt er ein Präventionsprogramm vor.

In Deutschland wird die Therapie im Netzwerk „Kein Täter werden“ seit Anfang 2018 von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert. „Ärzte und Psychotherapeuten lehnten allerdings oft die Behandlung von pädophilen Menschen ab“, so Beier. Dies mit der Begründung, ihnen fehle es an der nötigen Kompetenz, aber auch, weil sie eventuell persönliche Vorbehalte haben oder den möglichen forensischen Kontext scheuen, erläuterte der Experte.

Basis der Behandlung sei die kognitive Verhaltenstherapie. Das Ziel: Missbrauchs-begünstigenden Einstellungen entgegenzuwirken. Gegebenenfalls könnten auch Medikamente eingesetzt werden, die das Sexualverlangen dämpfen.

Therapie der Täter ist Prävention

Mit der App „Troubled Desire“ sollen Pädophile Zugang zu einem Selbstmanagement-Programm bekommen und an Therapeuten vermittelt werden können. Von den Erfahrungen mit dieser App berichtete die Kooperationspartnerin der Charité aus Indien, Psychologin Dr. Janavi Doshi von der Heal Foundation.

 
Es geht darum, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern. Dr. Janavi Doshi
 

„Es geht darum, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern“, so die Psychologin. Eine Therapie sei in Indien aufgrund der Rechtsprechung nur für Menschen möglich, die noch keine sexuellen Übergriffe gegen Kinder verübt haben und daher auch nicht den Behörden gemeldet werden müssen.

In der App wird ein Diagnostik-Fragebogen eingesetzt sowie ein Programm, das Pädophilen dabei helfen soll, sexuelle Impulse zu kontrollieren. Pädophile sollen lernen, sich nicht Situationen auszusetzen, die diese Impulse noch steigern könnten. Auch dem Konsum von Missbrauchsabbildungen soll entgegengewirkt werden. Es gehe darum, dass Pädophile ihre Phantasien nicht ausleben, so Doshi.

Weltweit haben sich aktuell innerhalb von 10 Monaten insgesamt 1.750 Nutzer für die Online-Sessions von „Troubled Desire“ angemeldet, die meisten stammen aus Deutschland und Indien, wo spezielle Werbespots darauf aufmerksam gemacht haben.

660 Nutzer haben einen Fragebogen vollständig beantwortet:

  • 90% der Teilnehmer bestätigten, dass sie eine sexuelle Präferenz für das kindliche Körperschema oder für pubertierende Heranwachsende haben,

  • 38% berichteten, schon Kinder sexuell missbraucht zu haben,

  • 73,2% nutzen Abbildungen von Kindesmissbrauch, die Hälfte davon täglich oder wöchentlich.

Die App sei vertrauenswürdig, die Anonymität werde durch eine spezielle Verschlüsselung gewährleistet. Viele, die die Online-App benutzten, hätten zum ersten Mal gegenüber anderen zugegeben, pädophil zu sein. Da über die App auch ihr Stress-Level gesenkt werden soll, was zur besseren Emotions- und Impulsregulation beitrage, erhöhe sich damit gleichzeitig die Chance, Kindesmissbrauch zu verhindern.

Folgen von Missbrauchsabbildungen für die Opfer

Die Therapie der Täter ist eine Sache, die Therapie der Opfer eine andere. Durch die Missbrauchsabbildungen, die im Netz kursieren und sich vervielfältigen, besteht ständig das Risiko der Retraumatisierung, wie die israelische Sozialarbeiterin und Sexualtherapeutin Dr. Ateret Gewirtz-Meydan erläuterte. Sie analysierte die Ergebnisse einer Online-Befragung in Kooperation mit dem „Crimes against Children Research Center“ (CCRC) an der Universität von New Hampshire, USA.

Gerwitz-Meydan wertete 133 Online-Interviews von Erwachsenen aus, die in ihrer Kindheit missbraucht und gefilmt oder fotografiert worden waren. Nach Kenntnis der Wissenschaftlerin ist es die bislang einzige Studie, die sich in einer Online-Befragung damit auseinandersetzt, wie die Opfer selbst mit der Existenz von Missbrauchsabbildungen im Internet umgehen. Zu diesem Thema gebe es kaum Daten, sagte die Forscherin.

Ihre Forschungsfrage: Was unterscheidet die Opfer, die missbraucht wurden und deren Missbrauchstat gefilmt oder fotografiert worden war, von Opfern, die nicht gefilmt oder fotografiert worden waren?

Bei den meisten Erwachsenen, die gefilmt oder fotografiert worden waren, lag der Zeitpunkt der Tat mehr als 10 Jahre zurück. 72% der Befragten waren zum Zeitpunkt des Missbrauchs jünger als 9 Jahre, bei 74% dauerte der Missbrauch länger als ein Jahr an. 93% kannten den Täter: Es handelte sich um ein Familienmitglied oder einen Bekannten. 61% zeigten das Verbrechen nicht an.

Die Wissenschaftlerin arbeitete hauptsächlich 3 Dimensionen heraus.

1.    Scham und Schuld

74% fühlten sich durch die Bilder beschämt, schuldig oder erniedrigt. 54% äußerten die Sorge, dass andere Menschen denken könnten, man habe freiwillig teilgenommen.

Einige Opfer berichteten, der Täter habe ihnen versprochen, sie zu Filmstars zu machen. Weil ihr eigener Wunsch nach Ruhm und Berühmtheit also ein Motiv gewesen sei, könnten die Aufnahmen als Beweis dienen, sie hätten freiwillig mitgemacht, so die Befürchtung. Manche glaubten, sie könnten eventuell gerichtlich belang werden.

Ein Richter habe sogar zu einer betroffenen Person gesagt, dass sie auf den Fotos nicht so aussehe, als ob sie leiden würde. Diese Furcht sei möglicherweise auch der Grund dafür, das Verbrechen nicht anzuzeigen, so Gewirtz-Meydan.

 
Die Bilder und Filme hindern die Betroffenen daran, abzuschließen und mit ihrem eigenen Leben weiterzumachen. Dr. Ateret Gewirtz-Meydan
 

2.    Anhaltende Vulnerabilität

48 Teilnehmer der Online-Befragten wussten, dass ihre Bilder illegal verbreitet und im Netz geteilt worden waren, 45 wussten dies nicht, 6 meinten, es gebe keine Bilder von ihnen im Netz.

Das Wissen, aber auch das Nicht-Wissen um die Verbreitung der Missbrauchsabbildungen verfolge viele der Befragten. Sie berichten, aktiv nach ihren Missbrauchsabbildungen im Netz zu suchen. Knapp die Hälfte berichtete über Angst, im Internet erkannt zu werden. Einige verzichteten deshalb darauf, sich für ein öffentliches Amt zu bewerben oder öffentlich aufzutreten.

Implikationen für die Therapie: „Die Bilder und Filme hindern die Betroffenen daran, abzuschließen und mit ihrem eigenen Leben weiterzumachen“, so die Therapeutin. Sie fühlten sich immer wieder in die Opferrolle zurückversetzt. Dabei sei die ständige Suche nach Bildern auch mit Hilflosigkeit assoziiert. Ziel der Therapie sei es, ihnen zu helfen, die Kontrolle zurückzugewinnen, die Existenz der Bilder könne dies erschweren.

3.    Empowering (Selbstermutigung)

Aber es gibt auch eine andere Dimension: „Dass die Existenz der Bilder auch mit einem positiven Aspekt verbunden sein können, hätten wir so nicht erwartet“, berichtete Gewirtz-Meydan. So äußerten Befragte, die Fotos und Videos seien für sie eine Art Bestätigung, dass der Missbrauch wirklich stattgefunden habe, zumal ihnen oft nicht geglaubt werde. Einige erinnern sich auch selbst nicht mehr genau an den Missbrauch. Die Fotos seien daher auch etwas wie eine Selbstversicherung. Einige der Befragten nutzten die Bilder auch, um sich vor weiterem Missbrauch zu schützen und sich die Täter vom Leibe zu halten.

„Die Bilder könnten auch als Teil des Heilungsprozesses genutzt werden, wenn die erwachsenen Betroffenen dies wünschten“, sagte die Therapeutin. Manche berichteten, dass die Bilder sie dazu gebracht hätten, sich zu öffnen, über das Verbrechen zu sprechen.

 
Die Bilder könnten auch als Teil des Heilungsprozesses genutzt werden, wenn die erwachsenen Betroffenen dies wünschten. Dr. Ateret Gewirtz-Meydan
 

Web-Crawler zerstört Kinderpornografie im Netz

Auf die Bedeutung neuer Technologien und das Risiko der Traumatisierung im Smartphone-Zeitalter ging Julia von Weiler ein, Direktorin der Organisation „Innocence in Danger“, ein Verein der sich für den Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch und pornografischer Ausbeutung im Internet einsetzt.

Das Ausmaß der Verbreitung von Kinderpornografie sei enorm, berichtete sie. In den USA können Opfer von Missbrauch beim FBI melden, ob sie über jede einzelne Verbreitung ihrer Kinderpornografie-Abbildungen, die von den Ermittlern gefunden werden, informiert werden wollen. „Eine Familie hat innerhalb von 10 Jahren insgesamt für 250.000 Fotos Benachrichtigungen bekommen, dass die Abbildungen auf einer bestimmten Webseite gefunden worden sind.“

Von Weiler wies auf das „Projekt Arachnid“ hin, einer Initiative des „Canadian Institutes against childhood abuse“. Dabei handelt es sich um einen Web-Crawler, der Missbrauchsabbildungen zerstört und so deren Verfügbarkeit eindämmt. User melden über eine Software Webseiten mit Kinderpornografie, die dann vom Crawler zerstört werden.

 
Es ist großer Schritt nach vorn, wenn die Opfer sehen, dass ihre Bilder aus dem Internet entfernt werden können. Julia von Weiler
 

„Es ist großer Schritt nach vorn, wenn die Opfer sehen, dass ihre Bilder aus dem Internet entfernt werden können“, so von Weiler.
 

Kommentar

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