Krebspatienten haben ein erhöhtes Risiko für venöse Thrombembolien. Die Frage ist, ob sie eine prophylaktische Antikoagulation erhalten sollten. Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie aus Kanada zeigt: „Eine Therapie mit Apixaban resultiert bei Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko in einer signifikant niedrigeren Rate an venösen Thrombembolien. Doch die Rate an schweren Blutungen ist höher als unter Placebo“, wie die Autoren um Dr. Marc Carrier vom Department of Medicine der University of Ottawa im New England Journal of Medicine berichten [1].
Hohes Embolierisiko
„Krebserkrankungen begünstigen einen prokoagulatorischen Zustand“, erklärt Prof. Dr. Stephan Baldus, Sprecher des Arbeitskreises Onkologische Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), das erhöhte Risiko. „Die hohe Inzidenz venöser Thrombembolien in dieser Studie – ohne Behandlung 10,2 Prozent in 6 Monaten – demonstriert noch einmal das hohe Risikoprofil dieser Patienten. Es ist damit gut doppelt hoch wie das jährliche Rezidivrisiko von Nicht-Krebspatienten nach einer Thrombembolie.“
Aufgrund des mit einer prophylaktischen Antikoagulation verbundenen erhöhten Blutungsrisikos untersuchten Carrier und seine Arbeitsgruppe Krebspatienten, die gerade mit einer Chemotherapie begannen und einen Khorana-Score ≥ 2 aufwiesen. „Der Khorana-Score wurde zur Identifikation von Patienten mit erhöhtem Risiko für venöse Thrombembolien entwickelt und validiert. Er könnte dabei helfen, diejenigen auszuwählen, die besonders von einer Prophylaxe profitieren“, schreiben die Autoren. Der Score reicht von 0 bis 6, wobei ein höherer Score ein höheres Risiko anzeigt.
Prophylaxe nicht empfohlen
„Eine Empfehlung der Fachgesellschaft zur prophylaktischen blutverdünnenden Behandlung von Tumorpatienten im Rahmen einer Chemotherapie gibt es bisher nicht“, betont Baldus. „Dies gilt insbesondere für ambulant geführte Patienten, die keine weiteren Risikofaktoren wie zum Beispiel Immobilität aufweisen.“ Generell sei das Standardmedikament für eine prophylaktische Antikoagulation das parenteral anzuwendende Heparin.

Prof. Dr. Stephan Baldus
„Der Einsatz direkter oraler Antikoagulantien (DOAK) zur prophylaktischen Blutverdünnung könnte bei Krebspatienten Vorteile gegenüber parenteralen Wirkstoffen haben, neben dem Applikationsweg die Bequemlichkeit für die Patienten und die geringeren Kosten“, so Carrier und seine Koautoren.
Sie verglichen bei 563 Krebspatienten die Wirksamkeit und Sicherheit des DOAK Apixaban mit einem Placebo. In der Apixaban-Gruppe kam es über eine Nachbeobachtungsphase von 6 Monaten bei 4,2% der Patienten zu einer venösen Thrombembolie – einer proximalen tiefen Venenthrombose oder einer Lungenembolie. In der Placebogruppe waren es mit 10,2% mehr als doppelt so viele Patienten.
Die Behandlung mit Apixaban war im Vergleich zu Placebo mit einem um 59% niedrigeren Risiko für venöse Thrombembolien verbunden. Der absolute Unterschied lag bei 6 Prozentpunkten, die Number-Needed-to-Treat (NNT) um eine venöse Thrombembolie zu verhindern, bei 17.
Doppelt so viele Blutungen
Die andere Seite der Medaille: In der mit Apixaban behandelten Gruppe kam es bei 3,5% der Patienten zu schweren Blutungen, doppelt so vielen wie in der Placebogruppe mit 1,8%.
Als schwere Blutung galten Blutungen, die den Hämoglobingehalt um mindestens 2 g/dl senkten, die Transfusion von mindestens 2 Einheiten Erythrozyten-Konzentrat erforderten, an einer lebensbedrohlichen Stelle (z.B. intrakranial) auftraten oder zum Tod führten.
„Der Unterschied in den Blutungsraten zwischen den beiden Gruppen ging vor allem auf gastrointestinale Blutungen, Hämaturie und gynäkologische Blutungen zurück, die unter Apixaban häufiger auftraten“, berichten Carrier und seine Kollegen. „Schwere Blutungen traten vorwiegend bei Studienteilnehmern mit gastrointestinalen und gynäkologischen Krebserkrankungen auf.“
Prophylaxe muss sicherer werden
„Die prophylaktische Antikoagulation mit Apixaban reduzierte venöse Thrombembolien um mehr als die Hälfte, verdoppelte aber das Blutungsrisiko“, fasst Baldus im Gespräch mit Medscape zusammen. Dennoch, ergänzt er, „dass diese Patienten prophylaktisch behandelt werden müssen, das zeigt diese Studie in Anbetracht der hohen Inzidenz an venösen Thrombembolien auf jeden Fall“.
„Wir müssen nur noch die Patienten finden, bei denen das Risiko-Nutzen-Profil zugunsten der prophylaktischen Antikoagulation ausfällt, sprich diejenigen mit hohem Thrombembolierisiko und niedrigerem Blutungsrisiko“, so der Direktor der Klinik III für Innere Medizin - Allgemeine und interventionelle Kardiologie, Elektrophysiologie, Angiologie, Pneumologie und internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Köln. Der Khorana-Score reiche zur Selektion offenbar nicht aus.
Weitere Studien seien außerdem erforderlich, um herauszufinden, ob sich möglicherweise durch eine Dosierungsanpassung und den Einsatz verschiedener Antikoagulantien ein höheres Sicherheitsprofil generieren lasse.
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Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: Erfolg mit Schattenseiten: Thromboserisiko bei Krebs wird von Apixaban zwar halbiert – aber auf Kosten von mehr Blutungen - Medscape - 27. Dez 2018.
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