Ein Ultraschall der Halsschlagader könnte ein wichtiger Baustein einer effektiven kardiovaskulären Primärprävention werden, meinen Experten. In einer randomisierten kontrollierten schwedischen Präventionsstudie konnten Patienten, denen der Grad ihrer Atherosklerose auf diese Art und Weise in einem Ampelschema gezeigt wurde, ihr Herz-Kreislauf-Risiko signifikant mindern [1].

Prof. Dr. Bernhard Schwaab
„Eine niederschwellige Intervention mit bildlichen Informationen zur Atherosklerose, gefolgt von einem Telefongespräch mit einem Pfleger, konnte die kardiovaskuläre Krankheitslast nach einem Jahr senken“, bilanzieren die Autoren um Prof. Dr. Ulf Näslund, Öffentliche Gesundheit und klinische Medizin an der Universität Umeå, Schweden.
Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – auch in der Prävention
„Ein genialer Studienansatz, der auf wissenschaftlich hohem Niveau umgesetzt wurde”, findet Prof. Dr. Bernhard Schwaab, Chefarzt an der Curschmann Klinik der Klinikgruppe Dr. Guth GmbH & Co. KG am Timmendorfer Strand. „Die Herangehensweise der schwedischen Forschergruppe ist klasse“, erklärt er im Gespräch mit Medscape. Schwaab ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und im Gremium der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen.
Die Karotiden seien aufgrund ihrer anatomischen Lage rund einen Zentimeter unter der Haut besonders gut für die Visualisierung von Plaque geeignet. Selbst die Vergrößerung einzelner Plaques sei möglich. „Damit wird den Patienten der aktuelle Zustand ihrer Gefäße quasi auf dem Silbertablett serviert – das macht Eindruck.“
Prävention scheitere häufig an fehlender Adhärenz sowohl seitens der Ärzte als auch der Patienten, schreiben die Autoren. Zudem seien die etablierten Risiko-Scores vielleicht zu abstrakt, um die Verschreibung von Medikamenten und die Motivation für einen gesünderen Lebensstil zu fördern. „Information alleine führt selten zu einer Verhaltensänderung“, schreiben Näslund und Kollegen.
Jedoch werden trotz dieser Tatsache nur selten visuelle Tools benutzt, kritisieren sie. Sie hatten vermutet, dass ein visueller Ansatz das Bewusstsein für das eigene kardiovaskuläre Risiko schärft und haben dies in einer pragmatischen Studie untersucht.
Ampelschema verrät vaskuläres Alter
An der VIPVIZA-Studie (visualization of asymptomatic atherosclerotic disease for optimum cardiovascular prevention) nahmen 3.532 Menschen im Alter von 40, 50 oder 60 Jahren mit einem oder mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren, also niedrigem bis mittlerem Risikoprofil, teil. VIPVIZA wurde als Teil des kardiovaskulären Präventionsprogramms Väterbotten Intervention Programme (VIP) in Nordschweden durchgeführt, das in den 1990ern initiiert wurde.
Zu Studienbeginn wurde bei allen Teilnehmern ein Ultraschall der Intima Media der Halsschlagader durchgeführt, um Veränderungen der Gefäßwand und Plaque festzustellen. Die Teilnehmer wurden anschließend in 2 Gruppen randomisiert: Den Teilnehmern in der Interventionsgruppe und ihren Hausärzten wurden die Ultraschallbilder gezeigt und ihr „vaskuläres Alter anhand einer Ampel von grün über gelb und orange nach rot im Vergleich zum chronologischen Alter verdeutlicht“.
Nach 6 Monaten wurde der Ultraschall wiederholt. Die Kontrollgruppe nahm an dem VIP teil, erhielt aber keinen Einblick in die Ultraschallaufnahmen. Primärer Studienendpunkt war die Entwicklung kardiovaskulärer Risikofaktoren. Hierzu wurden die kardiovaskulären Risiko-Bewertungen:
Framingham Risiko Score (FRS): Durchschnittswert bei allen Teilnehmern zu Studienbeginn: 12,9 und
European systematic coronary evaluation (SCORE): Durchschnittswert 1,29 in der Kontroll- und 1,27 in der Interventionsgruppe vor und nach der einjährigen Interventionsphase erhoben.
Die Patienten in der Interventionsgruppe zeigten sowohl hinsichtlich des US-amerikanischen FRS 12,24 vs 13,31) als auch hinsichtlich SCORE (1,42 vs 1,58) nach einem Jahr deutlich bessere Werte als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Der FRS nahm in der Interventionsgruppe um 0,58 ab, in der Kontrollgruppe um 0,35 zu. Der SCORE nahm in beiden Gruppen zu, in der Interventionsgruppe (+0,13) jedoch deutlich weniger als in der Kontrollgruppe (+0,27).
Unter Hochrisikopatienten in der Interventionsgruppe zeigten sich die stärksten Auswirkungen: Bei ihnen nahm der FRS um 3,42 ab. Gesamt- und LDL-Cholesterin konnte in beiden Gruppen gesenkt werden, jedoch stärker in der Interventionsgruppe. Gleichzeitig nahm die Einnahme von Cholesterinsenkern bei diesen Patienten stark zu, wodurch sich die Cholesterinwerte deutlich verbesserten.
Der systolische Blutdruck stieg in der Kontrollgruppe (+1,6 mmHg) und blieb dagegen in der Interventionsgruppe stabil (-0,2 mmHg). Ob die Verbesserungen in den Risiko-Scores über das 1. Jahr hinaus anhalten und niedrigere kardiovaskuläre Ereignisraten nach sich ziehen, müssen Langzeitstudien klären, schreiben die Autoren.
Effekte klinisch relevant
Die Verbesserungen in den Risiko-Scores, insbesondere dem FRS seien mit Effektstärken von fast 50% „klinisch relevant“ – somit habe sich die Visualisierung der Plaque durch ein Ultraschallbild in der Primärprävention als hilfreich erwiesen, sagt Schwaab.
„Die Studie schärft das Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, den Patienten in der Prävention mitzunehmen.“ Allgemeine Appelle zum Sport treiben oder Rauchstopp bewirken erfahrungsgemäß wenig, fügt er an. „Wenn man aber zeigt, was sich bereits verändert hat, steigert das die Adhärenz.“
Der Ultraschall könne praktisch von jedem Arzt gemacht werden, dem ein entsprechendes Gerät zur Verfügung stehe und der mit dieser Ultraschalltechnik umgehen könne. „Kardiologe, Angiologe, Diabetologe, Nephrologe, Gefäßchirurg, Internist oder der Hausarzt“, zählt der Präventionsexperte auf. Zwar dauere die reine Untersuchung pro Seite nur wenige Minuten. „Aber die anschließende Erklärung der Bilder und die Beantwortung der daraus resultierenden Fragen der Patienten erfordern Ruhe und Zeit.“
Problematisch bei der Einbindung der Carotis-Sonografie in die Primärprävention sei zudem die ungeklärte und häufig fehlende Kostenübernahme durch die Krankenkassen. „Das ist lediglich bei Verdacht auf eine Stenose der Fall“, bemerkt Schwaab. „Die Kassen zahlen häufig erst dann, wenn der Patient bereits manifest erkrankt ist – Primärprävention wird stiefmütterlich behandelt“, bedauert er.
Das Argument der Kassen: Klinische Verbesserungen durch eine bilaterale Carotis-Sonografie seien bislang nicht nachgewiesen. Es sei zwar möglich Eventraten auf der Basis von Risiken zu ermitteln. Eine Senkung des LDL-Cholesterins von 1 mmol/L korrespondiere mit einer Minderung der kardiovaskulären Ereignisrate um 20%. „Diese wichtige Studie sollte jedoch Anlass genug sein, über dieses Thema mit den Kostenträgern erneut zu diskutieren“, sagt Schwaab.
Ansonsten müssten Outcome-Studien durchgeführt werden, „in die sicherlich 15.000 Patienten pro Arm eingeschlossen werden müssten“, schätzt er. Deren Durchführbarkeit sieht der Experte aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten zumindest in Deutschland kritisch.
Schwaab selbst nutzt in seiner Sprechstunde den PROCAM-Test zur schnellen Ermittlung und Darstellung des kardiovaskulären Risikos anhand traditioneller Risikofaktoren wie Rauchen oder Bluthochdruck. Die Darstellung erfolge ebenfalls anhand eines Ampelsystems von grün für niedriges und rot für hohes Risiko.
„Wenn ich den Patienten klarmache, dass die Ampel durch das Einnehmen eines Statins und die daraus resultierende Senkung des LDL-Cholesterins um 50% von Rot auf Grün springen kann, verbessert sich seine Adhärenz deutlich.“
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Diesen Artikel so zitieren: „Genialer“ Präventionsansatz nutzt die Macht der Bilder: Ultraschall der Halsschlagader und Risiko-Ampel motivieren - Medscape - 20. Dez 2018.
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