Steuerung der Psychotherapie: Spahns Entwurf stößt auf breite Ablehnung – „eine Zumutung für psychisch Kranke“

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

19. Dezember 2018

„Gut gemeint ist häufig schlecht gemacht“ – sagt ein altes Sprichwort. Wer in Deutschland eine Psychotherapie benötigt, wartet im Schnitt 20 Wochen darauf, Therapieplätze sind knapp. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die „Odyssee psychisch kranker Patienten beenden“. Sein Entwurf, über das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eine Vorinstanz einzuführen, die vor Behandlungsbeginn klären soll, welcher Patient wie dringend eine Psychotherapie braucht, mag gut gemeint sein. Doch ist er auch gut gemacht?

„Psychisch kranke Patienten müssen schneller einen Termin beim Psychotherapeuten bekommen als bisher. Unser Ziel ist es, dafür die Versorgung vor Ort besser zu koordinieren“, so Spahn in einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums. Die geplante Regelung sieht vor, dass bestimmte Ärzte oder psychologische Psychotherapeuten als Instanz einer Psychotherapie vorgeschaltet werden sollen.

„Schlicht befremdlich“ und „eine Zumutung für psychisch kranke Menschen“. nennt Barbara Lubisch, Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV), Spahns Vorstoß im Interview mit dem Tagesspiegel .

„Das werden wir nicht mitmachen“, stellte auch SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach umgehend klar. „Eine neue zusätzliche Hürde im Zugang zu einer psychotherapeutischen Behandlung darf es nicht geben“, erklärt Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Auch sie unterstützt eine Petition, die bislang mehr als 197.170 Menschen unterschrieben haben und die am 13. Dezember dem Petitionsausschuss überreicht worden ist.

 
Psychisch kranke Patienten müssen schneller einen Termin beim Psychotherapeuten bekommen als bisher. Unser Ziel ist es, dafür die Versorgung vor Ort besser zu koordinieren. Jens Spahn
 

Dass der Protest gegen das TSVG weiter gehen wird, war auch Tenor der Pressekonferenz zu der der DPtV gemeinsam mit dem Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) und der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten (VAKJP) in Berlin eingeladen hatte. Das Vorhaben stelle eine „Diskriminierung psychisch kranker Menschen und ein erster Schritt zur Abschaffung der freien Arztwahl“ dar, sagte Ariadne Sartorius, Mitglied im bvvp-Vorstand und fügte hinzu: „Das werden wir nicht hinnehmen.“

Angelika Haun, stellvertretende Vorsitzende des bvvp, bezeichnete es als „erschreckend, wie Unterstellungen und Vorurteile politische Maßnahmen bestimmen – Vorurteile, die die alltägliche Berufsrealität von Psychotherapeuten und auch die gegebene Studienlage völlig ignorieren“.

Gebhard Hentschel, stellvertretender Bundesvorsitzender der DPtV, verwies auf die seit 1. April 2017 geltende neue Psychotherapie-Richtlinie hin, die eine psychotherapeutische Sprechstunde und eine Akutbehandlung vorsieht. „Die psychotherapeutische Sprechstunde ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang der Patienten zu einem persönlichen Erstkontakt, einer diagnostischen Abklärung und Indikationsstellung“, berichtete Hentschel. Eine weitere Instanz sei völlig unnötig.

Mit deutlichen Worten kritisiert auch der Vorstand der KBV die dirigistischen Eingriffe in den Praxisablauf und die Freiberuflichkeit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten. Der Gesetzentwurf zeuge von einem starken Misstrauen und mangelndem Respekt gegenüber der Ärzteschaft. „Die Kollegen haben es schlicht satt, sich von fachfremden Politikern in ihre tägliche Arbeit hineinreden zu lassen“, so KBV-Chef Dr. Andreas Gassen.

Allerdings sieht die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in der Diskussion um das TSVG auch eine „Chance für echte Verbesserungen“. Die Probleme, so DGPPN-Präsident Prof. Dr. Arno Deister „sind nicht von der Hand zu weisen: Lange Wartezeiten, Behandlungsabbrüche und Fehlallokationen machen rasche Reformen notwendig“.

 
Schlicht befremdlich und eine Zumutung für psychisch kranke Menschen. Barbara Lubisch
 

Prof. Dr. Andreas Heinz, ab Januar neuer DGPPN-Präsident, erklärt: „Ein Grund dafür ist die vielerorts zu geringe Vernetzung und Kooperation der Leistungsanbieter. Deshalb muss das TSVG zugunsten von Menschen, die schwer und akut erkrankt sind, Anreize für zeitnahe Behandlungsplätze und für mehr Kooperation zwischen den Leistungserbringern (niedergelassene Psychologische und Ärztliche Psychotherapeuten, Fachärzte, Ambulanzen und Kliniken) schaffen.“

Alles eine Frage der besseren Steuerung?

Nach der heftigen Kritik zeigt sich Spahn nun gesprächsbereit: „Ich schließe nicht aus, dass wir andere Regelungen finden“, sagte der CDU-Politiker im ARD-Morgenmagazin . Er hob aber auch hervor, dass mehr Psychotherapeuten das Problem nicht lösten, es brauche eine bessere Steuerung. „Wir haben heute so viele Psychotherapeuten zugelassen wie Hausärzte“, so Spahn.

Dem widerspricht jedoch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in einer Stellungnahme explizit: „In Deutschland gibt es mehr als doppelt so viele Hausärzte wie Psychotherapeuten. Am 31. Dezember 2017 waren genau 51.914 Praxissitze für Hausärzte zugelassen, aber nur 23.717 Praxissitze für Psychotherapeuten“.

Spahn sagte auch, dass in den Regionen mit den meisten Psychotherapeuten gleichzeitig die längsten Wartezeiten zu verzeichnen seien. „Das zeigt doch, dass da irgendwas in der Steuerung nicht so funktioniert, wie es soll.“ Auch in dem Punkt widerspricht die BPtK: Dort, wo es mehr Psychotherapeuten gebe, seien die Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung auch kürzer.

 
Die Kollegen haben es schlicht satt, sich von fachfremden Politikern in ihre tägliche Arbeit hineinreden zu lassen. Dr. Andreas Gassen
 

In Großstädten, in denen mehr Psychotherapeuten zugelassen werden, als auf dem Land, warten psychisch kranke Menschen deutlich kürzer auf eine Behandlung als im Bundesdurchschnitt (19,9 Wochen). In Berlin warten sie beispielsweise 13,4 Wochen, im Saarland dagegen 23,6 Wochen.

Geht die geplante Regelung im TSVG am Problem vorbei?

Die Zahl der zugelassenen Psychotherapeuten stagniert noch immer auf dem Niveau der Neunzigerjahre. Wer als Psychotherapeut arbeiten will, muss nach einem Psychologie- oder Medizinstudium eine mehrjährige Ausbildung durchlaufen, während der man sehr schlecht verdient. Nach der Approbation wartet man auf eine Kassenzulassung. Die kann einen fünfstelligen Betrag kosten.

Wer keinen Kassensitz bekommt, darf nur Privatpatienten behandeln. Die strikte Begrenzung führt dazu, dass es in Deutschland derzeit massenhaft Patienten ohne Therapeuten gibt – und gleichzeitig massenhaft ausgebildete Therapeuten ohne Patienten.

Benötigt aber, so Klein-Schmeink, würden „genügend psychotherapeutische Plätze ohne lange Wartezeiten, Angebote der ambulanten Krisenintervention und strukturierte Behandlungswege zwischen stationärer und ambulanter Versorgung mit festen Ansprechpartnern für schwer Erkrankte.“ Die geplante Regelung im TSVG solle endlich zugunsten eines ganzheitlichen Konzepts gestrichen werden.

„Für einen Schnellschuss ist das Anliegen zu wichtig“, betont auch Lauterbach. Mit Verbänden und Praktikern müsse ein solider Entwurf vorbereitet werden. Der könne frühestens in ein paar Monaten vorliegen. Es fehlten Zulassungen für Psychotherapeuten, die Bezahlung berücksichtige die Schwere der Krankheit nicht und besonders Kranke fänden oft keine Praxis, weil Gesündere sie verdrängten.

 
Statt einer zusätzlichen Steuerungsebene sollten mehr Niederlassungen ermöglicht werden, auch sollten Sprechstunde und Akutbehandlung besser honoriert werden. Dr. Dietrich Munz
 

Bundesrat hatte bereits abgewunken

Schon der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zu Spahns Gesetzentwurf die Veränderung abgelehnt. Es bestünde die „Gefahr, dass zusätzliche Hürden für psychisch kranke Menschen aufgebaut werden und dadurch der Zugang zur Psychotherapie eher noch erschwert wird“. In der Stellungnahme wird darauf hingewiesen, dass seit April 2017 jeder Psychotherapeut Akutsprechstunden anbieten muss um eine schnelle Krisenintervention zu ermöglichen. Es solle erst einmal abgewartet werden, wie sich das neue Gesetz bewähre – bevor schon wieder ein neues System geschaffen werde.

Eine Neuregelung hält die Bundespsychotherapeutenkammer ohnehin für überflüssig. Mit der Psychotherapie-Sprechstunde gebe es seit April 2017 bereits eine nach Dringlichkeit und Schwere gesteuerte Versorgung, betont BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz in einer Stellungnahme.

Die BPtK hatte die Abrechnungsdaten von rund 240.000 Patienten ausgewertet, die im 2. Quartal 2017 erstmals in einer psychotherapeutischen Sprechstunde waren. Munz erklärt dazu: „Die psychotherapeutische Sprechstunde ist ein überaus großer Erfolg. Patienten, die sich von einem Psychotherapeuten beraten lassen, erhalten je nach Dringlichkeit und Schwere der Beschwerden die Hilfe, die sie benötigen“. Er fügt hinzu: „Die größte Verbesserung konnte für die Patienten erreicht werden, die besonders dringend Hilfe benötigen. Sie erhalten mit der Akutbehandlung jetzt besonders schnell professionelle Hilfe“. Statt einer zusätzlichen Steuerungsebene sollten mehr Niederlassungen ermöglicht werden, auch sollten Sprechstunde und Akutbehandlung besser honoriert werden.“

Spahn erklärte, dass er akzeptiere, wenn gesagt werde: „Die Regelung im Gesetzentwurf, die ist noch nicht so, dass alles passt. Aber dann lasst und doch darüber reden und beraten.“Gleichzeitig stellte der Minister klar: „Wir werden nicht nichts tun.“

 

Kommentar

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