Sexualität nach Krebserkrankungen erhalten: Wie Ärzte nicht nur mit Gesprächen helfen können

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

17. Dezember 2018

Berlin – „Wir sehen viele Patientinnen mit bösartigen Erkrankungen, die sehr gern wieder Nähe, Zärtlichkeit, Sexualität gemeinsam mit ihrem Partner hätten. Aber die Hürden durch die Krankheit und ihre Behandlung sind doch oft sehr hoch. Das ärztliche Gespräch ist hier ein wesentlicher Katalysator, um einschneidende Veränderungen in Gang zu bringen“, erläuterte Prof. Dr. Annette Hasenburg, Direktorin der Universitäts-Frauenklinik Mainz, auf dem 62. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in Berlin [1].

Es sei empfehlenswert, für solche Gespräche eine sexualmedizinische Qualifikation zu erwerben. „Aber wichtig ist es, überhaupt zu reden, die Patientin und ihren Partner oder ihre Partnerin zum Reden zu ermutigen“, so die Frauenärztin, „und nicht zu warten, bis irgendwann ein besserer Zeitpunkt kommt oder ein anderer Arzt sich der Thematik annimmt. Wenn sich jeder auf den anderen verlässt, dann wird es nicht zu diesen Gesprächen kommen.“

 
Wichtig ist es, überhaupt zu reden, die Patientin und ihren Partner oder ihre Partnerin zum Reden zu ermutigen. Prof. Dr. Annette Hasenburg
 

Spätestens dann, wenn die Patientin mit dem verlorenen Vertrauen in ihren Körper in ihren Lebensalltag zurückkomme, wenn die Beeinträchtigungen wirksam werden, dann sollte ihr betreuender Arzt mit ihr über das Thema Sexualität sprechen.

Die hormonelle Situation ist entscheidend

In einer aktuell unter Federführung der Universitäts-Frauenklinik Mainz publizierten Studie mit fast 500 Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und Brustkrebs untersuchte die Onkologin, wie sich die Sexualität durch eine Krebsbehandlung verändert. Etwa 50% aller Patientinnen sind nach einer Krebserkrankung sexuell aktiv.

Im Vergleich von Patientinnen mit Brustentfernung und brusterhaltenden Operation fanden sich keine Unterschiede bezüglich sexueller Aktivität und Lebensqualität. Eine antihormonelle Therapie dagegen führte zu einer verminderten Sexualität und durch die vaginale Trockenheit zu verstärkten Schmerzen beim Sex.

Auch für die Sexualität von Patientinnen mit Ovarialkarzinom ist die hormonelle Situation entscheidend: Denn eine Ovarektomie beim Ovarialkarzinom oder die Beeinträchtigung der Ovarien durch eine Chemotherapie führen nicht nur zum Wegfall der Östrogene, sondern auch des Testosterons. Dies kann – über die Nebenwirkungen der systemischen Therapien hinaus – zu zusätzlicher Antriebs- und Kraftlosigkeit sowie Reduktion der Libido führen.

Dazu kommen die Beschwerden durch eine trockene, leicht verletzliche Vagina durch den Östrogenentzug. Es helfe der Patientin, so Hasenburg, wenn sie bereits frühzeitig nicht nur über diese Symptomatik aufgeklärt wird, sondern auch über die Behandlungsmöglichkeiten: „Weil der Hormonentzug sich auf die Lebensqualität der Patientinnen so dramatisch auswirkt, ist eine transdermale Hormonersatztherapie bei allen prämenopausalen Patientinnen mit Ovarialkarzinom in unserer Klinik inzwischen Standard“, so die Onkologin.

 
Weil der Hormonentzug sich auf die Lebensqualität der Patientinnen so dramatisch auswirkt, ist eine transdermale Hormonersatztherapie bei allen prämenopausalen Patientinnen mit Ovarialkarzinom in unserer Klinik inzwischen Standard. Prof. Dr. Annette Hasenburg
 

Die Orgasmusfähigkeit selbst blieb bei den Frauen in der Studie übrigens grundsätzlich erhalten, eine wichtige Brücke zu einer gelebten Sexualität auch in der neuen Situation.

Eine aktuelle Studie, vor kurzem auf dem ASCO-Kongress vorgestellt, verglich Patientinnen nach Operation eines Ovarialkarzinoms mit und ohne Lymphadenektomie. Erste Daten deuten darauf hin, dass eine radikale Lymphknotenentfernung im Becken zusätzlich einen negativen Effekt auf die Orgasmusfähigkeit haben könnte.

Verkürzungen und Verklebungen der Vagina nach Zervixkarzinom

Eine Besonderheit stellt die Versorgung des Zervixkarzinoms dar. Verkürzungen und Verklebungen der Vagina, Schmerzen und eine deutlich verminderte Lubrikation erfordern prophylaktische Maßnahmen, damit eine gelebte Sexualität möglich bleibt. Der frühzeitige Einsatz von Vaginaldilatatoren während und nach der Bestrahlung hilft, um Verklebungen, Verwachsungen und Fibrosen zu vermeiden.

Eine lokale Östrogentherapie gilt als Standard und unterstützt die Vagina wesentlich bei der Regeneration; für den Geschlechtsverkehr selbst könne noch Vaseline oder Gleitgel empfohlen werden, so die Referentin.

Wenn die Eierstöcke vor der Bestrahlung beim Zervixkarzinom, am besten gleich beim Lymphknotenstaging, im Bauchraum nach kranial in die parakolische Rinne verlagert würden, könne die ovarielle Hormonproduktion gerettet werden, was für die künftige Lebensqualität wesentlich sei. Ist dieser Moment verpasst, so sei auch eine transdermale oder systemische Hormonsubstitution beim Plattenepithelkarzinom der Zervix kein Problem.

 
Klären Sie deshalb Ihre Patientinnen proaktiv auf und ermutigen Sie zum Gespräch. Prof. Dr. Annette Hasenburg
 

Hinzu kommt oft das Unwissen der Patientin und ihres Partners über die anatomischen Veränderungen durch die Operation. „Eine Patientin glaubte, dass nach Entfernung der Gebärmutter, der ‚Stopfen‘ am Scheidenabschluss fehle. Andere haben Angst, ihren Partner mit dem Krebs anzustecken“, erläuterte Hasenburg. „Klären Sie deshalb Ihre Patientinnen proaktiv auf und ermutigen Sie zum Gespräch.“

Besondere Lebenssituation bei Singles

Eine Patientinnen-Gruppe, die besondere Aufmerksamkeit braucht, sind jüngere Singles mit Krebserkrankungen. Diese Frauen profitieren von zusätzlicher psychoonkologischer Unterstützung und Hilfe. „Wage ich überhaupt noch eine Partnersuche? Wann berichte ich dem neuen Partner von meiner Erkrankung und den Folgen der Behandlung? Kann ich noch Kinder bekommen?“ – das seien häufige, belastende Fragen.

Auch hier, so Hasenburg, gelte es, Verständnis zu signalisieren, die Verzweiflung zu verbalisieren, alle Möglichkeiten der hormonellen Unterstützung auszuloten und nichts unversucht zu lassen, um eine befriedigende Partnerschaft auch unter den neuen Vorzeichen zu ermöglichen.

Tipps für Gespräche

Um in das Gespräch über die Sexualität einzusteigen, empfiehlt die Onkologin einfache Fragen:

  • Hat sich nach der Therapie etwas in Ihrer Partnerschaft geändert?

  • Gibt es Probleme, bei denen Sie Hilfe benötigen?

„Sie werden sehen, wie viele dankbare Patientinnen Sie haben, wenn Sie diese Fragen stellen; aus manchen Patientinnen sprudelt es geradezu heraus“, so Hasenburg. „Bleiben Sie mit Ihren Ratschlägen praktisch. Raten Sie der Patientin zu körperlicher Aktivität; das verbessert die Leistungsfähigkeit und das Körpergefühl, lässt die Endorphine ansteigen und hilft gegen Depressionen. Und raten Sie ihr zu einem Gespräch mit dem Partner, um aus dem Teufelskreis von Furcht, Sorge und Scham herauszukommen.“

Hilfestellung für Ärzte und Patientinnen gibt es auch beim Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit e.V. (ISG; Hasenburg ist dort im wissenschaftlichen Vorstand). Die Homepage bietet Informationen zur Sexualität nach Krebserkrankungen, aber auch bei Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und in den Wechseljahren; außerdem gibt es eine kostenlose Hotline und Broschüren zum Bestellen.

 

Kommentar

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