„Weihnachtsstudien“ im BMJ: Über Restaurantbesuche und die Frage, warum Heiligabend der Tag mit den meisten Infarkten ist

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

14. Dezember 2018

Zu Weihnachten steht beim Team des British Medical Journal wahrscheinlich Selbstgekochtes oder Selbstgebackenes auf dem Speiseplan. Restaurantbesuche sind wohl tabu. Und für Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko empfiehlt sich über die Feiertage ein Aufenthalt in Regionen ohne jeglichen Feiertagsstress. Zu diesem Ergebnis gelangen zumindest die Studien, die das britische Ärzte-Journal in diesem Jahr in seiner Weihnachtsausgabe veröffentlicht. Die humoristisch geschriebenen Texte mit fundiertem Hintergrund sind längst zur Tradition des Blattes geworden. 

Besser nicht ins Restaurant gehen

Studie Nummer 1 nimmt sich der gesundheitlichen Risiken durch Restaurantbesuche während der Festtage an [1]. Dr. Eric Robinson vom Institute of Psychology, Health & Society an der Universität Liverpool und seine Mitautoren warnen vor allem vor dem allzu häufigen Besuch von Restaurantketten. Damit wird er sich zwar auf der Insel kaum Freunde machen, denn gerade Großbritanniens Bürger gehen oft und gern auswärts essen. Aber die Fakten sprechen für sich.

 
Der Kaloriengehalt etlicher Hauptgerichte ist zu hoch und nur wenige Gerichte erfüllen in gesundheitlicher Hinsicht grundlegende Anforderungen. Dr. Eric Robinson und Kollegen
 

Für ihre Studie haben Robinson und Kollegen 13.396 Hauptmahlzeiten in 27 großen britischen Restaurantketten unter die Lupe genommen. Sie fanden durchschnittlich 751 kcal pro Hauptgericht in Fast-Food-Ketten und 1.033 kcal bei Full-Service-Restaurants. 89% (Full Service) bzw. 83% (Schnellrestaurants) lagen damit über der britischen Empfehlung von 600 kcal pro Mahlzeit. „Der Kaloriengehalt etlicher Hauptgerichte ist zu hoch und nur wenige Gerichte erfüllen in gesundheitlicher Hinsicht grundlegende Anforderungen“, fassen die Autoren zusammen.

Nun ist Großbritannien nicht gerade ein Mekka der Gastronomie. Dass es in anderen Ländern ähnliche Probleme gibt, berichten jedoch Dr. Susan B. Roberts und Kollegen vom Jean Mayer USDA Human Nutrition Research Center on Aging an der Tufts University, Boston, USA [2].

In Brasilien, China, Finnland, Ghana und Indien untersuchten sie insgesamt 223 Hauptgerichte in 116 Full-Service- und Fast-Food-Restaurants. Pro Mahlzeit fanden sie durchschnittlich 809 kcal bei Fast-Food-Ketten und 1.317 kcal in den Gerichten der Full-Service-Restaurants. Auch hier erfüllte nur ein kleiner Teil aller Gerichte die 600 kcal-Empfehlungen, 94% (Full Service) bzw. 72% (Fast Food) lagen darüber.

Werkskantinen in finnischen Betrieben waren die rühmliche Ausnahme. Ihre Speisen hatten um 25% weniger Energiegehalt als regionale Fast-Food- oder Full-Service-Restaurants.

Beide Hauptautoren betonen, dass ihre Studien natürlich keine Rückschlüsse auf gesundheitliche Auswirkungen ermöglichen. Sie geben jedoch zu bedenken, dass viele Gäste den Kaloriengehalt von Mahlzeiten im Restaurant unterschätzten, und zudem neben dem Hauptgericht noch eine Vorspeise, einen Nachtisch und diverse Getränke zu sich nehmen.

Um gegenzusteuern, raten sie – recht naheliegend – zur Veränderung der Speisenzusammensetzung. Weitere Optionen seien auch kleinere Portionen, eine am Kaloriengehalt orientierte Preisgestaltung und nicht zuletzt mehr Informationen vor Ort.

Im begleitenden Editiorial warnt Dr. Jean Adams vom Centre for Diet & Activity Research, MRC Epidemiology Unit an der University of Cambridge School of Clinical Medicine, Großbritannien [3]: „Studien haben gezeigt, dass Erwachsene während der Weihnachtsferien 0,4 bis 0,9 kg zunehmen.“ Dies liege an einer Kombination aus viel bzw. hochkalorischem Essen und wenig Bewegung.

 
Studien haben gezeigt, dass Erwachsene während der Weihnachtsferien 0,4 bis 0,9 kg zunehmen. Dr. Jean Adams und Kollegen
 

Adams unterstützt Robinsons bzw. Roberts Forderung nach mehr Informationen vor Ort – und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits könnten sich Kunden gezielter entscheiden, andererseits wachse der Druck auf Restaurants, Gerichte mit weniger Kalorien anzubieten. Na dann, guten Appetit beim Weihnachtsschmaus!

Heiligabend schlägt auf das Herz

Doch was sind schon ein paar Kilo mehr im Vergleich zur Gefahr durch den Weihnachtsstress, der das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhen kann? Laut Moman A. Mohammad von der Abteilung für Kardiologie, Clinical Sciences, der schwedischen Lund Universität und seinen Koautoren können bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen die Feiertage im wahrsten Sinne des Wortes zu Herzen gehen.

Das Team suchte im schwedischen Koronar-Register SWEDEHEART nach dem genauen Zeitpunkt von Herzinfarkten. Sie werteten dafür Daten aus den Jahren 1998 bis 2013 aus. Bei 283.014 Patienten wurden die Wissenschaftler fündig und konnten den Zeitpunkt ermitteln. Als Vergleich dienten Zeiträume 2 Wochen vor Urlaubsbeginn bzw. bei großen Sportereignissen jeweils der gleiche Zeitraum im Vorjahr ohne Veranstaltung.

Ihr Ergebnis: Speziell die Weihnachts- und Mittsommerferien sind mit einem höheren Risiko für Herzinfarkte (15% bzw. 12% mehr) im Vergleich zur Kontrollperiode verbunden. Aber: Der Tag mit dem bei weitem höchsten Risiko war Heiligabend gegen 22 Uhr (37% mehr).

Deutsche Herzstiftung: Bei Brustschmerz auch an den Feiertagen nicht mit dem Notuf warten!  

Die Deutsche Herzstiftung nimmt die Ergebnisse der schwedischen Studie zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass bei neu auftretenden Brustschmerzen, die länger als 5 Minuten andauern, der Verdacht auf einen Herzinfarkt besteht. Betroffene bzw. deren Angehörige sollten dann nicht zögern, auch während der Feiertage oder am Heiligabend, über die Notrufnummer 112 den Rettungsdienst zu alarmieren.

„Wir können aus eigener Erfahrung bestätigen, dass insbesondere bei längeren Feiertagsphasen wie den Weihnachtsfeiertagen häufiger Herzinfarktpatienten aufgenommen werden, die zu lange gewartet haben, bis sie den Notarzt mit dem Notruf 112 gerufen haben“, betont der Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung in einer Pressemitteilung. Er warnt: „Dadurch steigt die Gefahr lebensgefährlicher Rhythmusstörungen und der Entwicklung einer bedeutsamen Herzschwäche.“ 

Recht überraschend blieb dagegen die Silvesternacht aus kardialer Sicht unauffällig. Dafür kam es aber wieder am Neujahrstag zu mehr Herzinfarkten. „Vielleicht hat Alkohol einfach nur die Symptome verschleiert“, spekulieren die Autoren mit Hinweis auf leichtere Infarkte.

Im Gegensatz zu früheren Studien wurde kein erhöhtes Risiko bei Sportveranstaltungen oder während der Osterzeit festgestellt.

Auch hier handelt es sich natürlich nur um Beobachtungsdaten, die keine Schlussfolgerungen bezüglich Ursache und Wirkung zulassen. Dennoch diskutieren die Autoren, dass Wut, Angst, Trauer und Stress das Risiko eines Herzinfarkts erhöhen, aber auch körperliche Aktivität und Veränderungen im Lebensstil einen Einfluss haben können.

Besonders problematisch sei die Überlagerung verschiedener Risikofaktoren, heißt es weiter. So seien alte Menschen oft einsam und haben zudem kardiovaskuläre Vorerkrankungen. Für sie könne der Heiligabend schnell zur Gefahr werden.

Nicht alle Lebensrisiken lassen sich vermeiden

Die 2 Studien zeigen: Es gibt vermeidbare und nicht vermeidbare Lebensrisiken. Nicht vor allen Gefahren könnten Ärzte ihre Patienten beschützen, schlussfolgert die BMJ-Redaktion und wünscht mit ihrer Weihnachtsausgabe allen Leserinnen und Lesern gesunde Festtage. Dem kann sich Medscape nur anschließen.

 

Kommentar

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