Saubere Luft erfordert mehr als Dieselfahrverbote: Niedrigere Grenzwerte, ein gesellschaftliches Umdenken – und radelnde Politiker

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

12. Dezember 2018

In einigen Städten sind sie bereits in Kraft, in anderen stehen sie unmittelbar bevor: Die Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in deutschen Innenstädten sollen helfen, die europäischen Grenzwerte für die Luftschadstoffbelastung einzuhalten. Doch obwohl schon diese Maßnahme die Emotionen bei vielen Menschen hochkochen lässt, könnte sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein: „Auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte [können] erhebliche Gesundheitseffekte auftreten“, warnt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) in einem pünktlich zum „Dieselgipfel“ in Berlin Anfang Dezember veröffentlichten Positionspapier.

 
Auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte [können] erhebliche Gesundheitseffekte auftreten. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie
 

„Die von der Europäischen Union festgelegten gesetzlichen Grenzwerte für Luftschadstoffe sollen eine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung minimieren, müssen aber auch politisch umsetzbar sein“, erklärt einer der Autoren des Papiers, Prof. Dr. Holger Schulz vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, im Gespräch mit Medscape. „Sie liegen deshalb teils deutlich höher als die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, deren Richtwerte einen rein medizinischen Hintergrund haben.“

Prof. Dr. Holger Schulz

Medizinische Konsequenzen in den Vordergrund rücken

Diesen medizinischen Hintergrund fordert die Fachgesellschaft auch bei der Diskussion um die Luftschadstoffbelastung in Deutschland wieder mehr in den Fokus zu rücken. Luftverschmutzung sei der wichtigste umweltbedingte Risikofaktor für Erkrankungen, schreiben die Autoren. „Und während Erkrankungen von Lunge und Herz-Kreislauf-System im Vordergrund stehen, zeigen neuere Studien, dass Feinstaub, Stickoxide und andere Schmutzpartikel auch in weiteren Zielorganen Schäden verursachen können“, ergänzt Schulz im Gespräch mit Medscape.

 
Sie liegen deshalb teils deutlich höher als die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, deren Richtwerte einen rein medizinischen Hintergrund haben. Prof. Dr. Holger Schulz
 

Ihre schädliche Wirkung üben die über den Atemtrakt in den Körper gelangten Schadstoffe vor allem durch entzündliche Reaktionen aus, die sie zunächst in der Lunge und danach im gesamten Organismus auslösen. „Experimentelle Studien zeigen zum Beispiel, dass Ultrafeinstaub – Partikel mit einer Größe von maximal 100 nm – nach der Einatmung entlang des Riechnervens bis ins Gehirn transportiert werden können“, berichtet Schulz.

Feinstaub im Gehirn

Die Liste der negativen gesundheitlichen Konsequenzen einer hohen Luftverschmutzung ist mittlerweile lang und geht weit über die erwartungsgemäß höhere Inzidenz von Lungenerkrankungen hinaus. In ihrem Positionspapier „Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit“ nennt die DGP außerdem Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes.

Studien liefern zudem Hinweise auf eine gestörte neuropsychologische Entwicklung bei Kindern und eine beschleunigte Neurodegeneration bei Erwachsenen. Untersuchungen mit Schwangeren weisen darüber hinaus auf ein erhöhtes Risiko für ein reduziertes Geburtsgewicht sowie Früh- und Totgeburten sowie ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Bluthochdruck und Präeklampsie hin.

7 Millionen Tote – jedes Jahr

Luftverschmutzung ist jedes Jahr weltweit für 7 Millionen Todesfälle verantwortlich und verursacht einen Wohlfahrtsverlust in Höhe von mehr als 5 Billionen US-Dollar. Dies zeigt ein gerade bei der UN-Klimakonferenz in Katowice, Polen, vorgestellter Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

 
Aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen kommt nicht nur Stickstoffdioxid, sondern auch noch viele andere Schadstoffe. Prof. Dr. Holger Schulz
 

Angesichts dieser erheblichen Risiken für die Bevölkerung „ist eine weitere deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung geboten und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich“, heißt es im Positionspapier der Pneumologen. Die aktuell gültigen Grenzwerte bieten „für die deutsche Bevölkerung keinen optimalen Schutz vor Erkrankungen, die durch Luftverschmutzung verursacht werden“.

Mehr als Stickstoffdioxid

Allerdings gelte es dabei, sich vom isolierten Betrachten einzelner Luftschadstoffe und Maßnahmen zu lösen. „Im Kontext der Dieselfahrverbote wird derzeit viel über die schädlichen Gesundheitseffekte von Stickstoffdioxid gesprochen. Aber aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen kommt nicht nur Stickstoffdioxid, sondern auch noch viele andere Schadstoffe, die möglicherweise für diese Effekte mitverantwortlich sein könnten“, erklärt Schulz.

Und auch beim vieldiskutierten Feinstaub wird mit der Festlegung von Grenzwerten für die Partikelgrößen <10 µm (PM10) und <2,5 µm (PM2,5) nur nach der Größe der Partikel differenziert. „Welche chemische Zusammensetzung der Feinstaub hat, darüber gibt diese Einteilung keine Auskunft“, so Schulz. Und die Zusammensetzung von Luftschadstoffgemischen könne extrem variieren, je nachdem welche lokalen Quellen vor Ort sind, welche Partikel über den Ferntransport eingetragen würden – selbst die Wetterlage spiele dabei eine Rolle. „In Berlin findet man mitunter auch Partikel aus Lettland und Litauen“, merkt Schulz an.

 
Ein Dieselfahrverbot verringert die Luftschadstoffbelastung an den Hauptverkehrsstraßen, aber ohne ein regionales Konzept besteht die Gefahr, das Problem nur zu verschieben. Prof. Dr. Holger Schulz
 

Kurzfristig könne die Belastung mit Stickstoffdioxid und Feinstaub in den Innenstädten durch die Dieselfahrverbote sicherlich reduziert werden, urteilt Schulz. Doch um die Luftverschmutzung in Deutschland auch mittel- und langfristig zu reduzieren, „ist ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich“.

Regionale Konzepte gefragt

„Ein Dieselfahrverbot verringert die Luftschadstoffbelastung an den Hauptverkehrsstraßen, aber ohne ein regionales Konzept besteht die Gefahr, das Problem nur zu verschieben – etwa auf die Nebenstraßen – und somit genau in die weniger belasteten Bereiche, die wir momentan für Radfahrer, Fußgänger und Sportler empfehlen“, sagt Schulz. Hier ist die Politik gefragt, Bedingungen zu schaffen, die den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf Fahrrad, Bus und Bahn attraktiver gestalten.

Doch um die Städte schadstoffarm und lebenswert zu machen, müsse letztlich jeder einen Beitrag leisten – und sei es nur 10% weniger mit dem Auto zu fahren, „Zusammengenommen würde das bereits einen messbaren Effekt auf die Luftschadstoffbelastung ergeben“, so Schulz. Eine deutliche Reduktion der mit dem Auto zurückgelegten Strecken, „das ist nichts, was sich von heute auf morgen erreichen lässt, aber für die Zukunft ist das der Weg, den wir gehen müssen – begleitet von politischen Maßnahmen und neuen Technologien“.

Dass sich das auch finanziell lohnen kann, zeigt übrigens auch der gerade in Katowice vorgelegte Bericht der WHO: In den 15 Ländern mit den höchsten Emissionen an Treibhausgasen verursache die Luftverschmutzung demnach Kosten in Höhe von mehr als 4% des Bruttoinlandsproduktes. Die Klimaziele des Übereinkommens von Paris zu erreichen, würde dagegen nur etwa 1% des globalen Bruttoinlandsproduktes erfordern.

Radelnde Politiker müssen in die Tagesschau

Es müsse eine „Kultur zur Schadstoffvermeidung auf allen Ebenen entwickelt, gezielt gefördert und etabliert werden“, heißt es im Positionspapier der DGP. Und wer macht den Anfang? Will man ein Umdenken in der Bevölkerung erreichen, müssen Politiker eine Vorbildfunktion einnehmen, ist sich Schulz sicher.

 
Würde die Tagesschau immer wieder einmal Bilder zeigen, wie Bundestagsmitglieder in Berlin mit dem Fahrrad von A nach B fahren, hätte das wahrscheinlich mehr Wirkung als ein langer Bericht über Zahlen, Fakten und Konsequenzen der aktuellen Schadstoffbelastung. Prof. Dr. Holger Schulz
 

„Würde die Tagesschau immer wieder einmal Bilder zeigen, wie Bundestagsmitglieder in Berlin mit dem Fahrrad von A nach B fahren, hätte das wahrscheinlich mehr Wirkung als ein langer Bericht über Zahlen, Fakten und Konsequenzen der aktuellen Schadstoffbelastung“, so Schulz. „Momentan fehlt es einfach, dass die Bevölkerung sieht, dass Politiker selbst etwas tun – so wie unlängst beim UN-Klimagipfel in Polen, als am Ende des Tages alle in ihren großen, schwarzen Limousinen zurück ins Hotel gefahren sind.“

 

Kommentar

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