Hypnose gegen Reizdarm: Studie bestätigt monatelange Wirkung – zumindest auf die subjektiven Beschwerden

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

11. Dezember 2018

Eine auf den Darm ausgerichtete Hypnotherapie, alleine oder in der Gruppe, scheint für viele Patienten mit einem Reizdarmsyndrom eine geeignete Therapieoption zu sein. Das legen die Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie nahe, die niederländische Wissenschaftler jetzt im Fachblatt The Lancet Gastroenterology & Hepatology vorgestellt haben [1].

Zwar verringere die Hypnotherapie nicht die objektive Schwere der Symptome, schreibt das Team um die niederländische Psychotherapeutin, Dr. Carla Flik vom Julius Centre for Health Sciences and Primary Care des University Medical Centre Utrecht (UMCU). Dennoch helfe die Behandlung den Patienten ganz offensichtlich, mit ihren Beschwerden besser zurechtzukommen – auch noch ein Dreivierteljahr nach Beendigung der Therapie, berichten die Forscher.

Auch Patienten in der Primärversorgung profitierten von der Hypnotherapie

Dr. Viola Andresen

„Das ist eine sorgfältig durchgeführte und sehr beeindruckende Studie, die an einer großen Zahl von Patienten gezeigt hat, dass diese auf eine Hypnotherapie ansprechen – unabhängig davon, ob die Behandlung in Einzel- oder Gruppensitzungen erfolgt“, kommentiert Dr. Viola Andresen von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) im Gespräch mit Medscape.

Frühere Untersuchungen hätten sich vorrangig auf schwerstbetroffene Patienten in spezialisierten Behandlungszentren konzentriert, die auf keine anderen Therapiemethoden angesprochen hätten, ergänzt die Oberärztin des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg. Die neue Studie hingegen belege, dass auch Patienten in der Primär- und Sekundärversorgung von einer Hypnotherapie profitieren könnten.

„Ich freue mich, dass es nun auch zu dieser Patientengruppe mehr Daten gibt – vor allem weil wir derzeit auch in unserer Klinik dabei sind, unser Behandlungsangebot für Patienten mit einem Reizdarmsyndrom um die Hypnotherapie zu erweitern“, sagt Andresen.

 
Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Hypnotherapie als eine Behandlungsoption für Patienten mit einem Reizdarmsyndrom betrachtet werden kann … Dr. Carla Flik
 

Einzel- versus Gruppentherapie versus bloßen Beratung

Flik und ihre Kollegen rekrutierten für ihre Studie namens IMAGINE zwischen 2011 und 2016 an 11 Zentren in den Niederlanden insgesamt 342 Patienten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, die an einem Reizdarmsyndrom litten. 142 von ihnen bekamen 6 Wochen lang 2 Mal wöchentlich eine 45-minütige Einzelsitzung bei einem Hypnotherapeuten und 146 eine entsprechende Gruppentherapie verordnet.

Unter der Anleitung des Therapeuten lernten die Teilnehmer Techniken der positiven Visualisierung, mit denen sie so weit Kontrolle über ihr Verdauungssystem erlangen sollten, dass sie Schmerzen und Unbehagen weniger stark empfinden. Darüber hinaus wurde ihnen eine CD ausgehändigt, mit deren Hilfe sie zu Hause jeden Tag für 15 bis 20 Minuten die Selbsthypnose üben konnten. 54 Probanden dienten als Vergleichsgruppe und erhielten nur eine allgemeine Beratung zu ihren Beschwerden.

Alle Studienteilnehmer sollten zu Beginn der Studie sowie nach Beendigung der jeweiligen Angebote und weitere 9 Monate später Fragebögen ausfüllen. In ihnen wurde die Schwere der Symptome erfasst, die Lebensqualität, psychische Beschwerden, Ausgaben für die Gesundheit und Fehltage bei der Arbeit. Durchgeführt wurde die Untersuchung als Intention-to-Treat-Analyse. Das heißt, bei der späteren Auswertung wurden auch jene Probanden miteinbezogen, die vorzeitig aus der Studie ausgestiegen waren.

Positiven Effekte nahmen nach Beendigung der Therapie weiter zu

Tatsächlich war die Ausfallrate relativ hoch: In beiden Interventionsgruppen brachen jeweils 22 Patienten (rund 15%) die Hypnotherapie vor dem Ende der Studie ab. In der Kontrollgruppe verzichteten 11 Probanden (20%) nach einer Weile auf die angebotene Beratung.

Dennoch reagierte von den ursprünglichen Teilnehmern ein nicht unerheblicher Anteil positiv auf die Behandlung: Nach 3 Monaten lag die Ansprechrate – die subjektiv wahrgenommene Linderung der Beschwerden – in der Gruppe, die Einzelsitzungen erhalten hatte, bei 40,8%. Eine Hypnotherapie in der Gruppe führte bei 33,2% der Probanden zum gewünschten Erfolg. In der Vergleichsgruppe hingegen berichteten nur 16,7% der Patienten, dass sich ihre Beschwerden gebessert hätten.

Die positiven Effekte hielten in allen 3 Gruppen an: 9 Monate nach Beendigung der jeweiligen Angebote empfanden noch immer 40,8% der Probanden, die eine Einzeltherapie erhalten hatten, ihre Symptome im Vergleich zu der Zeit davor als weniger schwerwiegend. Unter den Teilnehmern, die eine Gruppentherapie erhalten hatten, war der Anteil sogar auf 49,5% gestiegen. In der Vergleichsgruppe berichteten nach insgesamt einem Jahr 22,6% der Patienten von einer Verbesserung ihres Befindens.

 
Wir wissen nicht genau, wie die auf den Darm ausgerichtete Hypnotherapie wirkt. Dr. Carla Flik
 

Die anderen abgefragten Aspekte unterschieden sich zwischen den 3 Gruppen hingegen nicht wesentlich. Nebenwirkungen, die auf die Hypnose zurückzuführen gewesen wären, tauchten in der Studie ebenfalls nicht auf.

Neue Behandlungsoption unabhängig von der Schwere der Symptome

„Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Hypnotherapie als eine Behandlungsoption für Patienten mit einem Reizdarmsyndrom betrachtet werden kann, unabhängig von der Schwere der Symptome und dem Subtyp der Erkrankung“, wird die Erstautorin Flik in einer von The Lancet veröffentlichten Pressemitteilung zitiert.

Es sei zudem vielversprechend zu sehen, dass eine Gruppentherapie offenbar ähnlich effektiv wie die Einzelbehandlung sei. Sollte sich dieses Ergebnis in weiteren Studien bestätigen lassen, würde das bedeuten, dass mehr Patienten bei geringeren Kosten behandelt werden könnten, so Flik.

Auf welche Weise die Hypnotherapie ihre Effekte entfaltet, kann die Psychotherapeutin allerdings nicht erklären. „Wir wissen nicht genau, wie die auf den Darm ausgerichtete Hypnotherapie wirkt“, sagt sie. Womöglich veränderten die in der Hypnose erlernten Techniken die Einstellung der Patienten und ihre inneren Bewältigungsstrategien, so dass die Patienten mehr Kontrolle über ihre autonomen Körperprozesse bekämen, Schmerzen besser verarbeiten und ihre Darmaktivität modulieren könnten.

Flik und ihr Team betonen jedoch ausdrücklich, dass zu dem Thema weitere Forschung vonnöten sei. So müsse man beispielsweise noch herausfinden, wie viele hypnotherapeutische Sitzungen optimal seien, welchen Effekt die Erwartungen der Patienten auf das Ergebnis der Hypnotherapie hätten und inwieweit psychische Beschwerden der Betroffenen sich auf den Erfolg der Behandlung auswirkten. 

Patient muss sich auf die Therapie einlassen

Kritischer als die Studienautoren selbst äußert sich der klinische Psychologe, Prof. Dr. Olafur Palsson von der University of North Carolina in Chapel Hill, USA: In einem ebenfalls in The Lancet Gastroenterology & Hepatology veröffentlichten Kommentar bezeichnet er die Ergebnisse der Untersuchung als „bescheiden“ [2].

 
Wer sich auf die Hypnotherapie nicht einlassen kann, bei dem funktioniert sie auch nicht. Dr. Viola Andresen
 

Zugleich sucht Palsson nach Ursachen. Womöglich seien die Umsetzung der Hypnotherapie und die Anzahl der Sitzungen suboptimal gewesen, schreibt er

Trotz der beeindruckenden Forschungsleistung von Flik und ihren Kollegen bleibe unklar, so Palsson, ob eine auf den Darm ausgerichtete Hypnotherapie tatsächlich auch für die Behandlung von Patienten in der Primär- und Sekundärversorgung gut geeignet sei. Weitere Studien seien erforderlich, um auf diese Frage endgültige Antworten liefern zu können.

„Ich bin mir sicher, dass wir mit einer gezielteren Auswahl der in Frage kommenden Patienten noch bessere Behandlungsergebnisse erzielen können, als sie in der Studie von Flik und ihren Kollegen erreicht wurden“, sagt hingegen die deutsche Expertin Andresen. Bislang sehe es so aus, als ob Patienten mit einem sehr hohen Leidensdruck in besonderem Maße von einer Hypnotherapie profitieren würden. Ganz wichtig sei aber auch, wie offen die Patienten für die Behandlung seien: „Wer sich auf die Hypnotherapie nicht einlassen kann, bei dem funktioniert sie auch nicht.“

In Deutschland fehlen geschulte Hypnotherapeuten

Ein gravierendes Problem bei der Umsetzung der Studienergebnisse sei allerdings hierzulande die mangelnde Verfügbarkeit geschulter Hypnotherapeuten, die auch mit der Behandlung von Darmerkrankungen vertraut seien, betont die Medizinerin. „Ich kenne außer uns selbst in Deutschland ansonsten nur noch Prof. Dr. Winfried Häuser vom Klinikum Saarbrücken, der die Hypnotherapie beim Reizdarmsyndrom anbietet“, sagt Andresen.

Entsprechend lang seien die Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Sie hoffe allerdings, dass Studien wie die von Flik und ihrem Team dabei helfen würden, das Behandlungsangebot für Reizdarm-Patienten auch in dieser Hinsicht künftig zu verbessern.

 

Kommentar

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