Schwanger und auf der Flucht: Welche Probleme auftreten können und wie man ihnen begegnet

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

7. Dezember 2018

Berlin – Die Frage, ob ein Mädchen oder eine Frau schwanger ist, wird weder bei der Erstaufnahme des Asylantrags gestellt, noch werden diese Auskünfte von den Aufnahme-Einrichtungen an die zuständigen Gesundheits- oder Aufsichtsbehörden gemeldet. Deshalb ist unbekannt, wie viele der 53.740 Mädchen und Frauen, die im Jahr 2018 in Deutschland Asyl-Erstanträge gestellt haben, zum Zeitpunkt des Antrags schwanger waren, und wie viele im Lauf ihres Aufenthalts in der Erstaufnahme-Einrichtung schwanger geworden sind.

In einer Studie der Charité Berlin wurde festgestellt, dass 13 (7%) von 164 schutzsuchenden Frauen aus Erstaufnahme-Einrichtungen schwanger waren. Da andere Statistiken fehlen, mit denen diese Studie verglichen werden könnte, ist unklar, ob diese Zahl repräsentativ ist für alle geflüchteten Frauen.

Die medizinische Versorgung von schwangeren, geflüchteten Frauen stellt alle Beteiligten vor immense Herausforderungen, sagte Dr. Georgine Huber, Oberärztin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Barmherzige Brüder St. Hedwig Regensburg, auf dem 62. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Berlin [1]. Die Gründe dafür sind:

  • sprachliche sowie soziale und kulturelle Barrieren,

  • Traumatisierungen durch Krieg, Folter, Flucht und Gewalt,

  • eine Vielzahl von in Deutschland nicht verbreiteten Erkrankungen,

  • unterschiedliche Vorstellungen von einer sinnvollen medizinischen Behandlung,

  • belastende Wohnsituation,

  • unbekanntes und unverträgliches Essen, was z.B. eine Hyperemesis verstärken kann, und

  • oft mangelhafte hygienische Verhältnisse.

„Viele schwangere Patientinnen, die zu uns in die Klinik kommen, wissen nichts von der regelmäßigen Schwangerschaftsvorsorge, die ihnen gesetzlich zusteht. Sie kommen erst in die Behandlung, wenn es ihnen schlecht geht“, erläuterte die Frauenärztin. „Wir müssen dann allen Hindernissen zum Trotz möglichst schnell die richtigen Weichen stellen.“

Missverständnisse schon bei der ersten Kontaktaufnahme

Aber bereits die erste Kontaktaufnahme ist häufig erschwert: Viele Frauen kommen aus Ländern, in denen sie in der Öffentlichkeit nur in der Gegenwart eines Mannes – des Ehemanns oder eines Verwandten – „sichtbar“ sein dürfen. Es ist kaum möglich, mit diesen Frauen in direkten Kontakt zu kommen, vor allem wenn sie von ihren Männern begleitet werden, die für sie die Gesprächsführung und die Entscheidungen übernehmen.

 
Viele schwangere Patientinnen, die zu uns in die Klinik kommen, wissen nichts von der regelmäßigen Schwangerschaftsvorsorge, die ihnen gesetzlich zusteht. Dr. Georgine Huber
 

Alleinstehende Frauen genießen in den Herkunftsländern häufig keine Achtung und werden für wertlos gehalten. Diese Diskriminierung setzt sich auch in den Aufnahme-Einrichtungen fort. Außerdem werden die gleiche Missachtung und fehlender Respekt auch Ärztinnen und vor allem jungen Ärztinnen entgegengebracht.

Haben die männlichen Begleiter der Patientin durch Krieg, Folter und Flucht ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit gestörter Aggressionshemmung, braucht es viel Geschick, um Eskalationen zu verhindern und eine erfolgreiche Behandlung der Patientin zu erreichen.

Wenn es mit der Frau keine gemeinsame Sprache gibt, um zu kommunizieren, helfen häufig mitgebrachte Dolmetscher aus, die aber so gut wie nie eine medizinische Qualifikation haben. Dazu Huber: „Da wir nicht verstehen, was diese Dolmetscher sagen, wissen wir nicht: Wird der Frau übersetzt, was wir fragen? Wird uns übersetzt, was die Frau antwortet?“

Dr. Klaus Doubek, niedergelassener Frauenarzt in Wiesbaden, erläuterte im Gespräch mit Medscape: „Wenn wir großes Glück haben, handelt es sich bei den mitgebrachten Dolmetschern um Frauen; aber meist sind es Ehemänner oder männliche Jugendliche, oft die Söhne der Patientin. Allein schon die Frage nach der letzten Menstruation löst dann vielfach lange Diskussionen aus, und kaum möglich sind die für die Diagnostik wichtigen Fragen nach Schmerzen im Unterleib, beim Urinieren oder beim Geschlechtsverkehr.“

Bebilderte medizinische Sprachführer wie die der Edition MedGuide können hier hilfreich sein. Für Schwangerschaft/Geburt sind die Bände „Arabisch, Farsi, Deutsch“, „Türkisch, Russisch, Deutsch“ und „Tigrinya, Kurdisch, Deutsch“ erhältlich.

Warum fragt Ihr Ärzte so viel?

Auch die Anamneseerhebung selbst kann sich – abgesehen von der oft erheblichen Sprachbarriere – als problematisch darstellen. So kennt Huber die verärgerte Frage: „Wieso fragt Ihr so viel? Wisst Ihr so wenig? Ein Arzt, der so viel fragt, kann nicht gut ausgebildet sein.“

Probleme könnten sich auch ergeben, wenn anhand der Befunde eine Diagnose gestellt wird, die ein Tabu berührt, z.B. eine sexuell übertragbare Infektion oder eine Krebs-Erkrankung, oder wenn keine Vorstellung über die Krankheit vorhanden ist, was häufig bei Infektionen der Fall ist.

Aufgrund der Verständigungsprobleme kann die Patientin bzw. ihr Ehemann die Einsicht in die Krankheit ablehnen und die Mitarbeit bei der weiteren Diagnostik und Behandlung verweigern. Manchmal erlaubt auch der Ehemann die Behandlung nicht. Und oft komme man nicht gegen die Vorstellung an, dass jede Art von Arzneimittel dem Fötus schadet, auch wenn das Gegenteil versichert werde. Umgekehrt fordern andere Patientinnen Arzneimittel ein, weil sie sonst an der Qualität der Versorgung zweifeln.

„Diagnostizieren wir eine sexuell übertragbare Krankheit, müssen wir an sexuelle Gewalt und Prostitution denken“, so Huber, und auch hier versuchen, die ganze Tragweite zu umfassen. Dann müsse auch die Frage gestellt werden, ob die Frau in ihrer aktuellen Situation vor Übergriffen geschützt ist – „falls nicht, muss sichergestellt werden, dass ihr dieser Schutz in Zukunft gewährt wird.“

Eigentlich stelle jede einzelne Patientin mit einem Flucht-Hintergrund eine neue Herausforderung dar, stellte Huber fest. „Manche kommen aus einem urbanen Umfeld, haben einen Universitätsabschluss und sind völlig vertraut mit einer modernen medizinischen Versorgung. Andere dagegen haben überhaupt keine Schulbildung und in ihrem Leben noch keinen Arzt gesehen, obwohl sie schon 5 Kinder zur Welt gebracht haben.“

Und weiter sagte sie: „Der völlig unterschiedliche Bildungsstand, sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe und Herkunftsländer, Blutsverwandtschaft, Kinderehen, Zwangsheiraten und auch Genitalverstümmelungen und sehr unterschiedliche, traumatisierende Erfahrungen, die zur Flucht gezwungen haben oder die während der Flucht oder in den Aufnahme-Einrichtungen hinzugekommen sind, zwingen uns, auf immer neue Probleme und Herausforderungen einzugehen und sie zu bewältigen.“

Häufig und schwerwiegend gerade in der Schwangerschaft seien auch die Folgen einer anhaltenden Mangelernährung durch die Strapazen der Flucht oder dadurch, dass die Umstellung auf mitteleuropäisches Essen nicht gelinge und das Essen in der Aufnahmeeinrichtung nicht vertragen werde. Eine Hyperemesis könne das Problem verschlimmern.

Erschöpft, überfordert, vereinsamt, isoliert

Eine sehr typische Folge der problematischen und aussichtslosen Situation, in der sich die Patientin sieht, sei die „Alles-tut-weh-Erkrankung“ mit Schmerzen in Kopf, Rücken, Brust, Bauch und häufig auch mit Schlafstörungen, so Huber. Somatisch sei eine Diagnose meist nicht möglich; es handele sich nach allgemeiner Interpretation eher um ein psychosomatisches Geschehen.

„Da die geschilderte Dramatik nicht in unser eigenes medizinisches Bild passt, sind wir geneigt, die Symptome zu ignorieren. Das wird der Patientin nicht gerecht. Ich sehe dieses Syndrom eher als einen Spiegel von Traumatisierung, Verzweiflung und Einsamkeit.“

Gründe für ein derartig desolates Lebensgefühl gebe es genug. So sei die Unterbringung in den Erstaufnahme-Einrichtungen häufig speziell für Frauen problematisch. „Dabei geht es nicht nur um unbekannte und unverträgliche Ernährung, um hygienische Probleme und die Umstellung auf eine völlig fremde Kultur. Die Frauen sind häufig auch nicht gewohnt, auf engem Raum mit fremden Männern zusammenleben zu müssen, sie fühlen sich bedroht durch andere Männer und sind es vielleicht auch“, erklärte Huber. Oft seien die Frauen und ihre Familien extrem erschöpft, überfordert und ohne ihr heimisches soziales Netz vereinsamt und isoliert, was durch die Schwangerschaft noch verstärkt werden kann.

Bei einer so immensen Problemkonstellation, so Huber, sei es extrem hilfreich, dass somatische Erkrankungen auf der ganzen Welt kulturell akzeptiert seien und dass es ebenso eine weltweite Übereinstimmung darüber gibt, bei körperlichen Erkrankungen – wenn möglich – ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Während die Frau also gegenüber einer Ärztin oder einem Arzt nicht formulieren könne: „Ich bin erschöpft, entwurzelt und fühle mich einsam und bedroht“, gibt ihr der Schmerz die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten und sie anzunehmen.

Schwere Infektionskrankheiten mit komplizierter Diagnose

Bei der Diagnostik von Infektionskrankheiten hilft es, sich darüber klarzuwerden, woher die Patientin kommt und welche Infektionen in den jeweiligen Regionen endemisch sind.

„Kommt die Patientin aus Afrika oder aus Georgien, so sehen wir häufig Tuberkulosen, auch multiresistente Varianten“, so Huber. Bei einer Herkunft aus Afrika müsse an HIV und Malaria gedacht werden, während Hepatitis B und C vor allem bei Frauen aus Iran, Afghanistan und Syrien diagnostiziert werden. Bei Frauen aus den Balkanstaaten empfiehlt sie bei unklaren Symptomkomplexen, auch an eine Lues-Infektion zu denken, die als endemische Syphilis durch Schmierinfektion übertragen werden könne und nicht nur durch Sexualkontakt. Auch Infektionen mit Shigellen, Gardnerellen, Diphtherie und Typhus sollten in Betracht gezogen werden, ebenso ubiquitäre Erreger wie Noro- oder Rotaviren und Campylobacter.

Häufig zu finden sind auch parasitäre Erkrankungen wie Skabies und auch solche, die Ärzte höchstens aus dem Studium kennen, z.B. Bilharziose, Läuserückfallfieber, Shigellosen oder Amöben-Infektionen.

Pneumonien wurden in vielen Fällen aufgrund des vielfach fehlenden Impfschutzes auf dem Boden einer Windpocken-, Masern-, Influenza- oder Pertussis-Infektion ausgelöst und sind vor allem während der Schwangerschaft hochgefährlich.

Akute Masern- und Windpocken-Erkrankungen können zudem übersehen werden, weil es nicht einfach sei, auf stark pigmentierter Haut Erytheme und Exantheme zu erkennen.

Therapiemöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen sind denkbar schlecht

„Während wir bei somatischen Erkrankungen ausreichend Handlungsoptionen haben, ist die Situation katastrophal, wenn die Patientin eine psychische Erkrankung hat“, betonte Huber. Sehr häufig seien posttraumatische Belastungsstörungen, verstärkt durch die teilweise hoch belastenden Umstände in den Aufnahme-Einrichtungen.

 
Während wir bei somatischen Erkrankungen ausreichend Handlungsoptionen haben, ist die Situation katastrophal, wenn die Patientin eine psychische Erkrankung hat. Dr. Georgine Huber
 

„Auch Drogen- und Substanzabhängigkeit sehen wir immer wieder, teilweise aus der Heimatregion als kulturell akzeptiert mitgebracht, teilweise erst in Deutschland erworben – ebenso anhaltende Selbstmedikationen mit Psychopharmaka, zum Beispiel mit Benzodiazepinen.“ Hier stellten aber Sprachbarrieren, kulturelle Barrieren, ein völliges Fehlen von geeigneten Therapieplätzen und eine oft scheiternde Kostenübernahme für langfristige Therapiekonzepte derzeit meist unüberwindbare Hindernisse für eine erfolgreiche Betreuung dar. 

Zur Frage, ob eine Traumatisierung oder ein posttraumatisches Belastungssyndrom vorliegt, helfen folgende Fragen:

  • Drängen sich Erinnerungen an das Trauma zwingend auf?

  • Wechseln sich Flashbacks und Erinnerungslücken ab?

  • Wechseln Übererregungssymptome mit emotionaler Taubheit ab?

  • Sind Depressionen und Ängste vorhanden?

Gefährdet sei vor allem die Schwangere, die bereits durch vorhergehende Gewalterfahrungen traumatisiert sei, etwa durch familiäre Gewalt (physisch oder psychisch), Kriegstraumata oder sexualisierte Gewalt während der Flucht.

Schwangerschaft und Geburt können die traumatisierenden Erlebnisse reaktualisieren; daran müsse bei der Betreuung immer gedacht werden.

 
Letztlich haben diese Frauen aber erst eine Chance auf eine langfristige Behandlung, wenn sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und einen vollen Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Dr. Georgine Huber
 

„Letztlich haben diese Frauen aber erst eine Chance auf eine langfristige Behandlung, wenn sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und einen vollen Zugang zu unserem Gesundheitssystem, und wenn sie so gut Deutsch können, dass eine entsprechende Kommunikation überhaupt möglich ist“, sagte Huber. „Dass wir sie bis dahin längst aus den Augen verloren haben, weil sie mehrfach verlegt wurden, umgezogen sind, keinen Anlass mehr sehen, einen Arzt aufzusuchen – mit dieser Machtlosigkeit müssen wir lernen umzugehen.“

Doubek fügte hinzu: „Ist die Frau aktuell von körperlicher oder sexueller Gewalt bedroht, kommt auch ein Umzug in ein Frauenhaus in Frage, wobei natürlich auch an ihre bereits vorhandenen Kinder gedacht werden muss. Regional finden sich letztlich immer wieder begrenzte Möglichkeiten, Hilfe anzubieten, zum Beispiel im Rahmen des Frühe-Hilfen-Konzepts oder über ehrenamtliche Projekte.“

Thalassämien nicht mit Eisen behandeln

Bei reduziertem Allgemeinzustand und niedrigen Hämoglobinwerten sollte, wenn die Schwangere aus einem Risikoland kommt, auch an eine Thalassämie gedacht werden. Bei allen Thalassämie-Varianten ist der Aufbau von Hämoglobin unterschiedlich stark gestört, der Abbau gesteigert.

Durch die bei schweren Ausprägungsformen der Thalassämie notwendigen Bluttransfusionen könne es im Lauf der Jahre zu einer Anreicherung von Eisen im Organismus und je nach Schwere der Erkrankung zu Schäden an Herz, Leber, Milz und anderen Organen kommen. Eine Eisen-Substitution sei bei diesen Erkrankungen daher meist kontraindiziert. Für eine geeignete Behandlungsstrategie sei eine sorgfältige Differenzialdiagnose entscheidend.

Die Alpha-Thalassämie, die vor allem in Asien, Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten verbreitet ist, stelle sich mit ihren Minima- und Minorformen als unproblematisch dar und müsse nicht behandelt werden.

Die Hämoglobin H (HbH)-Krankheit und das Hämoglobin-Barts-Hydrops-fetalis-Syndrom verliefen dagegen wesentlich schwerer. Es komme zu schweren Anämien und zu einer allmählich zunehmenden, schweren Eisen-Überladung. Bei der letztgenannten Krankheit drohten mütterliches Multi-Organversagen und schwere Präeklampsien.

Als Therapie kommen laut Huber nur Bluttransfusionen in Frage, gegebenenfalls auch für den Fötus, und eine Folsäure-Substitution. Eine Chelatisierung, um den Eisen-Überschuss abzufangen, sei erfolgversprechend, während der Schwangerschaft jedoch ein Off-label-Use. Gegebenenfalls könne ab dem 4. Schwangerschaftsmonat Desferrioxamin eingesetzt werden.

Bei den Beta-Thalassämien (Mittelmeerraum, Iran, Irak, Afghanistan, Afrika) sei die Minorform meist unproblematisch; die Majorform führe zu einer schweren Anämie, so dass Schwangerschaften bei dieser Erkrankung selten seien. Als Therapie komme wie bei den schweren Alpha-Thalassämien ab einem Hb < 10g/dl ein Leitlinien-konformes Transfusionsregime in Frage.

 

Kommentar

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