Nach der Geburt der möglicherweise ersten Genom-editierten Babys soll nun noch eine weitere Frau mit einem Gen-manipulierten Embryo schwanger sein. Das berichtete Dr. Jiankui He von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen beim Second International Summit on Human Genome Editing in Hongkong [1].
Eine unabhängige Bestätigung gibt es derzeit jedoch nicht. Experten aus vielen Nationen kritisieren Hes Experimente scharf. Sie fordern nicht nur mehr Ethik in der Wissenschaft, sondern auch mehr staatliche Kontrolle.
Negative Stimmung beim Kongress
„Die Stimmung war ausgesprochen negativ“, sagte Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, emeritierter Biochemiker aus München, der selbst an der Konferenz teilgenommen hat. „Ich habe niemanden getroffen, der die Versuche von He gut findet.“
Ähnlich deutliche Worte findet Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier. Sie ist Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und hat die „Genschere“ Crispr/Cas9 zusammen mit Kollegen entwickelt (wie Medscape berichtete). „Obwohl wir bisher keinerlei wissenschaftliche Belege gesehen haben, etwa in Form eines veröffentlichten Fachartikels in einem Magazin, der das Peer-Review-Verfahren durchlaufen hätte, hat He Jiankui ganz klar eine rote Linie überschritten“, so Charpentier.
Den Vorfall gründlich untersuchen
Zusammen mit 149 Wissenschaftlern hat nun Prof. Dr. Linqi Zhang von der Tsinghua University Peking einen offenen Brief in Lancet publiziert [2]. „Als chinesische Experten, die sich mit HIV-Forschung und -Prävention beschäftigen, lehnen wir die Genombearbeitung an gesunden menschlichen Keimbahnzellen und Embryonen für reproduktive Zwecke und zur HIV-Prävention entschieden ab“, schreiben die Wissenschaftler.
„Wir fordern Politiker auf, diesen Vorfall gründlich zu untersuchen, aber die Privatsphäre und die Rechte der Babys und ihrer Familien zu schützen.“ Zhang und seine Kollegen empfehlen chinesischen Regierungsbehörden, „solche Experimente zügig einzustellen und landesweit Bemühungen zur Sicherung wissenschaftlicher und ethischer Standards in der Genom-Bearbeitungsforschung einzuleiten“. Dazu formulierten sie 5 zentrale Thesen:
Genom-Editing bei gesunden menschlichen Keimbahnzellen und Embryonen zur reproduktiven Verwendung sei aus wissenschaftlich-ethischer Sicht abzulehnen. Strenge wissenschaftliche und ethische Bewertungen seien erforderlich, um genetische Krankheiten zu behandeln. Dazu zähle, einen eventuellen Nutzen gegen mögliche Schäden abzuwägen.
In Europa und in den USA existieren bereits Vorschriften bzw. Genehmigungsverfahren für Genom-Editing. China hat ab 2003 begonnen, den Bereich zu regeln. Allerdings wurden solche Vorgaben längst von der Wissenschaft überholt – ein Problem, das etliche Länder betrifft. Es sei an der Zeit, bestehende Regelwerke anzupassen.
Techniken zum Genom-Editing müssten weiter verbessert werden. Das betreffe Aspekte zur Sicherheit und Wirksamkeit.
He hat seinen Angaben zufolge das CCR5-Gen ausgeschaltet, um HIV-Infektionen zu verhindern. Zhang und seine Kollegen schreiben, es gebe dafür „keine wissenschaftliche Grundlage“. Außerdem seien „schwere Nebenwirkungen zu befürchten“.
Zudem gebe es bereits etablierte Strategien, um eine perinatale HIV-Übertragung vorzubeugen, einschließlich antiretroviraler Medikamente, sicherer Entbindung und Alternativen zur Brustfütterung. Deshalb seien Hes Experimente unnötig.
In ihrem offenen Brief sehen Zhang und seine Kollegen nicht nur Wissenschaftler in der Pflicht, sie sprechen sich insgesamt klar für mehr Kontrolle aus.
Politische Diskussion auch in Deutschland
Politiker aus Deutschland meldeten sich ebenfalls zu Wort. „Das christliche Menschenbild und die unantastbare Würde jedes Menschen dürfen niemals in Gen-Laboren zur Experimentiermasse werden“, schreibt CDU-Spitzenkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer auf ihrem Twitter Channel. „Wir brauchen einen internationalen Pakt für die Menschenwürde – mit verbindlichen und harten Sanktionen.“

Jens Spahn
© Stephan Baumann
Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ergänzt: „Der Mensch soll nicht Gott spielen. So etwas ist mit unseren Werten nicht vereinbar.“
Die WHO ringt um eine Position
Bei aller Kritik dürfen die Chancen der neuen Technologie aber nicht vergessen werden. Deshalb will Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation WHO, sich nicht kategorisch gegen Genom-Editing äußern. Er sieht mögliche Stärken vor allem bei Erbkrankheiten.
Deshalb plant die WHO, Experten über Chancen und Risiken zu befragen. „Genom-Editing wirft ethische, soziale und Sicherheitsfragen auf“, sagte Tedros zur dpa. „Es ist gut, wenn Experten sich hinsetzen und sich aller Fragen annehmen, um zu sehen, wie die Methode eingesetzt werden kann.“
Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: Noch mehr Genom-editierte Babies? Wissenschaftler positionieren sich international eindeutig: „Rote Linie überschritten“ - Medscape - 5. Dez 2018.
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