Keine Infektionskrankheit fordert weltweit mehr Todesopfer als Tuberkulose: Jährlich sterben 1,6 Millionen Menschen an der von Bakterien ausgelösten Krankheit, 10 Millionen erkranken jedes Jahr daran. Zunehmende Resistenzen machen die Antibiose schwierig. Dass sich bei der Entwicklung eines Impfstoffes derzeit einige Fortschritte abzeichnen, werten Tuberkulose-Experten als sehr ermutigend.
So twitterte Prof. Dr. Richard White von der London School of Hygiene and Tropical Medicine vor 2 Monaten: „Es gibt Hoffnung bei der Suche nach neuen wirksamen Tuberkulose-Impfstoffen“. Wie die Tuberculosis Vaccine Initiative (TBVI) mitteilt, befinden sich etwa ein Dutzend Impfstoffkandidaten in der klinischen Erprobung, viele weitere sind noch in einem früheren Versuchsstadium.
„Eine Impfung gegen Tuberkulose wäre aus unserer Sicht sehr erfreulich. Für die Welt wäre ein wirksamer Impfstoff ein großer Schritt. Denn Impfungen sind ein ganz wesentlicher Punkt, wenn man Neuinfektionen mit Tuberkulose verhindern will“, sagt Dr. Brit Häcker vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DKZ e.V.) in Berlin im Gespräch mit Medscape.
Chinesische, amerikanische und britische Wissenschaftler geben in ihrer im April dieses Jahres in Respirology publizierten Arbeit einen Überblick, an welchen Impfstoffen derzeit geforscht wird. Dazu gehören Ganzzell-Impfstoffe (rekombinantes BCG [rBCG], abgeschwächtes Mycobacterium tuberculosis, abgetötetes M. tuberculosis oder M. vaccae), adjuvante Protein-Subunit-Impfstoffe, virale vektorvermittelte Subunit-Impfstoffe, Plasmid-DNA-Impfstoffe und RNA-basierte Impfstoffe.
Der Impfstoffkandidat VPM1002 wurde von Prof. Dr. Stefan Kaufmann, Direktor am Max Planck Institut (MPI) für Infektionsbiologie in Berlin und seiner Gruppe auf der Grundlage des Tuberkulose-Impfstoffs BCG (Bacille Calmette Guerin) entwickelt, aber gentechnisch so verändert, dass er das Immunsystem stärker gegen den Tuberkulose-Erreger aktiviert. Der Impfstoff-Kandidat soll eines Tages die BCG-Impfung bei Neugeborenen ersetzen und auch zur Auffrischung bei Erwachsenen eingesetzt werden können.
VPM1002: Das bessere und wirksamere BCG
Die doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase 2/3-Studie zu VPM1002 ist im Januar dieses Jahres in Indien gestartet und läuft bis Ende 2019. Eingeschlossen sind 2.000 Studienteilnehmer. Das Vakzin soll seine Wirksamkeit und Sicherheit bei Menschen zeigen, bei denen die Erkrankung nach einer erfolgreichen Antibiose wieder zurückkehrt.
„In Ländern in denen Tuberkulose endemisch ist, erkranken zehn Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres nach Behandlung erneut an Tuberkulose“, erklärt Kaufmann gegenüber Medscape.
Der Nachweis des Schutzes vor Wiedererkrankung ist aber nur ein Teilaspekt der klinischen Forschung zu VPM1002. Primäres Ziel ist herauszufinden, ob VPM1002 auch in der Primärprävention wirksam ist – ähnlich wie BCG, nur eben mit deutlich höherer Effektivität und Sicherheit.
„Schaffen wir es, Menschen, die schon einmal an Tuberkulose erkrankt waren, mithilfe des Impfstoffes vor einer erneuten Erkrankung zu schützen, dann ist das ein starkes Signal, dass dies auch gegen eine Ersterkrankung klappt“, sagt Kaufmann. Wenn VPM1002 die Wiederansteckung dieser besonders schwierigen Gruppe mit wiederkehrender Tuberkulose senken könne und sich als gut verträglich erweise, habe er eine entscheidende Hürde auf dem Weg zur Zulassung genommen, so Kaufmann in einer Pressemitteilung des MPI.
In 2 Wochen startet deshalb priME – eine multizentrische Phase 3-Studie mit Neugeborenen in Südafrika, Tansania, Kenia, Uganda und Gabon. In priME wird VPM1002 zur Primärprävention von TB erprobt, es soll BCG effektiv ersetzen. In die Studie sollen sowohl HIV exponierte als auch nicht exponierte Säuglinge eingeschlossen werden, erste Ergebnisse werden in 2024 erwartet.
Eine weitere Studie zur Primärprävention mit Erwachsenen in Indien soll 2019 beginnen. Dabei soll in einem „Kopf an Kopf“ Vergleich getestet werden, wie effektiv VPM1002 – im Vergleich mit einem anderen Vakzin (MIP) und im Vergleich zu Placebo – Erwachsene vor einer Tuberkulose schützen kann.
Es wird aber dauern, bis VPM1002 tatsächlich den Weg in die klinische Praxis findet: „Wenn alles gut geht, könnten wir in fünf bis zehn Jahren mit einer Lizenzierung für VPM1002 rechnen und dann über einen wirksamen Ersatz für BCG verfügen“, sagt Kaufmann.
Kandidat M72/AS01: Effizienz bei 54%
Ende September gaben der Pharmakonzern Glaxo Smith Kline (GSK) und die Non-Profit-Organisation Aeras die Ergebnisse einer klinischen Phase-2b-Studie mit dem Impfstoffkandidaten M72/AS01 bekannt. Die Forscher impften dabei in 3 afrikanischen Staaten mehr als 1.700 junge Erwachsene, die schon mit Tuberkulose-Bakterien infiziert, aber noch symptomfrei waren. Die Effizienz von "M72" betrug demnach 54%, berichten die Forscher im New England Journal of Medicine .
Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe verhinderte der Impfstoff also gut die Hälfte der Erkrankungen. Das Vakzin hat zudem schon mehrere klinische Studien hinter sich, bis zur möglichen Zulassung würde nun nur noch eine weitere erfolgreiche Erprobung fehlen, wenn auch in größerem Maßstab.
Gegenüber dem Telegraph bezeichnete White den Impfstoff als vielversprechend. Und fügte hinzu: „Das ist spannend, denn es deutet darauf hin, dass wir zum ersten Mal in der Lage sein könnten, einen Impfstoff zu entwickeln, den wir Erwachsenen mit Tuberkulose verabreichen können, um die Erkrankung zu verhindern. Wenn das global funktioniert, wäre dies ein Wendepunkt für die globale TB-Prävention.“
Auch ein weiterer experimenteller Impfstoff namens H4:IC31 bietet einen gewissen Schutz gegen eine TB-Infektion, allerdings schnitt BCG im Direktvergleich noch etwas besser ab, wie eine von Dr. Elisa Nemes und Kollegen im New England Journal of Medicine veröffentliche Studie zeigt.
Das Team um Nemes vom Institut für Infektionskrankheiten und Molekularmedizin der Universität Kapstadt prüfte die Wirkung von H4:IC31 im Vergleich zu einer BCG-Auffrischungsimpfung und Placebo. Die 990 Teilnehmer (Alter 12 bis 17 Jahre) erhielten randomisiert entweder noch einmal BCG oder H4:IC31 oder Placebo. Weder H4:IC31 noch BCG verhinderten wirksam eine initiale Ansteckung (die Tuberkulosebakterien wurden mittels Quantiferontest QFT nachgewiesen), ihre Wirksamkeit lag hier bei 9,4 % (p = 0,63) respektive 20,1% (p = 0,29). Damit schnitt BCG als Auffrischungsimpfung noch besser ab als das experimentelle Vakzin.
Dass es derzeit noch keinen effektiveren Impfstoff gibt, liegt an den schwierigen Bedingungen für die Entwicklung und Testung. Die Entwicklung von Impfstoffen ist generell teuer, und erfordert eine sehr lange Test- und Vorlaufphase mit einer großen Anzahl an Probanden, erklärt Häcker. Dies erfordere erhebliche finanzielle Ressourcen, die zum Teil durch private Stiftungen aufgebracht werden müssen (z.B. Bill & Melinda Gates Stiftung).
Die Testung erfolgt zunächst in Ländern mit einer hohen Fallzahl von Tuberkuloseerkrankungen (z.B. Indien) um möglichst früh Informationen über die Schutzwirkung des Testimpfstoffes zu bekommen. „Bis ein erfolgreich getesteter Impfstoff dann auch in einem Land wie Deutschland mit sehr begrenzten Fallzahlen zugelassen wird, werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen“, erklärt Häcker.
Trotz fehlender Alternative: Eine Wiederaufnahme der BCG-Impfung wäre nicht sinnvoll
Der Vorteil von BCG ist: Es ist zugelassen und erprobt. Mit BCG wurde 1921 erstmals ein Kind gegen TB geimpft. BCG ist fast 100 Jahre alt und wird seit 1998 in Deutschland nicht mehr gegen Tuberkulose eingesetzt. Die BCG-Impfung schützt gegen disseminierte Tuberkulose und tuberkulöse Meningitis bei Kindern. Bei Menschen, die bereits mit Mycobacterium tuberculosis asymptomatisch infiziert sind, kann die Impfung eine Lungentuberkulose aber nicht verhindern.
Eine Wiederaufnahme der BCG-Impfung sei aktuell in Deutschland nicht sinnvoll, sagt Häcker. Die BCG-Impfung schütze nicht generell vor einer Ansteckung mit Tuberkulose und sie werde auf der Welt nur noch eingesetzt, wo das Impfrisiko kleiner sei als der Nutzen, der dadurch erzielt wird. So kann der BCG-Impfstoff Säuglinge und Kinder vor besonders schweren Verläufen in Ländern mit hohem Ansteckungsrisiko z.B. in Südafrika bewahren. Bei Erwachsenen aber zeigt sich keine ausreichende Schutzwirkung. Entsprechend empfiehlt die WHO die BCG-Impfung nur bei Neugeborenen in Ländern mit hoher TB-Prävalenz.
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Diesen Artikel so zitieren: Licht am Ende des Tunnels: Neue effektive Tuberkulose-Impfstoffe in Sicht – sogar für Erwachsene, die schon Tb haben - Medscape - 4. Dez 2018.
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