Ärzte empfehlen Patienten mit Herzinsuffizienz oft kochsalzarme Diäten. Für diesen Rat gibt es aber keine wissenschaftlichen Beweise, schreiben Dr. Kamal R. Mahtani, Centre for Evidence Based Medicine, Nuffield Department of Primary Care Health Sciences der Universität Oxford, und seine Mitautoren in JAMA Internal Medicine [1].
Die Autoren konnten für ihre Übersichtsarbeit nur 9 von 2.655 Studien berücksichtigen, alle anderen erfüllten nicht die Qualitätsanforderungen. Und selbst diese Studien untermauerten Kochsalz-Restriktionen nicht.
„Es handelt sich um eine wichtige, gut gemachte Veröffentlichung, die mit Vorurteilen zur Salzrestriktion aufräumt, indem gezeigt wird, dass es keine einzige Studie gibt, die aussagekräftige Beiträge zur Evidenz liefert“, sagt Prof. Dr. Johann Bauersachs zu Medscape. Er ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie, Medizinische Hochschule Hannover, und Beiratsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Deshalb sollte man gegenüber Patienten nicht behaupten, weniger Kochsalz zeige bei einer Herzinsuffizienz starke Effekte.“
Kardiologen hätten aber bereits gewusst, dass es keine großen randomisierten Studien zur Fragestellung gebe. Das sei bei Herzinsuffizienz nicht ungewöhnlich. Selbst zum Einsatz von Diuretika bei schwerster Atemnot gebe es keine belastbaren Daten.
„Speziell bei Kochsalz-Restriktion fehlen eindeutige Belege, dass die Maßnahme etwas bringt“, resümiert Bauersachs. Sein Fazit: „Der Mehrwert von körperlicher Bewegung ist deutlich besser belegt als der Effekt diverser Diäten, deshalb würde ich eher hier ansetzen.“
Kaum brauchbare Studien auffindbar
Rund 26 Millionen Menschen weltweit leiden an einer Herzinsuffizienz. „Zum Krankheitsmanagement gehören neben Pharmakotherapien auch Ratschläge zur Reduzierung der Aufnahme von Speisesalz, obwohl die Vorteile unklar sind“, schreiben Mahtani und seine Kollegen. „In vielen Fällen basiert diese Empfehlung auf klinischen Erfahrungswerten“, vermuten sie.
Das war für die Autoren Grund genug, um in der Literatur nach randomisierten klinischen Studien zu suchen. Diese mussten Aussagen zum Effekt einer reduzierten Kochsalz-Aufnahme bei erwachsenen stationären oder ambulanten Patienten mit Herzinsuffizienz beinhalten. Als primäre Endpunkte definierte Mahtanis Team kardiovaskuläre Mortalität, Gesamtmortalität, Schlaganfälle und Myokardinfarkte.
Hinzu kamen als sekundären Endpunkte Krankenhausaufenthalte, Veränderung der NYHA-Klassifikation zur Beurteilung der Schwere einer Herzinsuffizienz, die Adhärenz bei ärztlichen Ratschlägen, weniger Kochsalz zu verwenden, und Änderungen des Blutdrucks.
Von 2.655 Studien erfüllten lediglich 9 Arbeiten mit insgesamt 479 Patienten die Einschlusskriterien. Keine Veröffentlichung umfasste mehr als 100 Teilnehmer.
Keine klaren Aussagen möglich
Die Autoren fanden „keine klinisch relevanten Daten zur Frage, ob eine reduzierte Salzaufnahme aus der Nahrung Auswirkungen auf die kardiovaskuläre oder die Gesamtmortalität, auf kardiovaskuläre Ereignisse oder auf Krankenhausaufenthalte“ hat.
Hinsichtlich der sekundären Endpunkte zeigten 2 Studien aus dem ambulanten Bereich, dass sich die NYHA-Klassifikation durch weniger Kochsalz nicht verringert hat, während 2 weitere Studien von signifikanten Verbesserungen im Krankheitsbild berichten. Weitere Aussagen waren nicht möglich.
„Wir haben immer noch kein klares Verständnis für die Mechanismen, die Salzaufnahme und Herzinsuffizienz in Verbindung bringen können“, konstatieren Mahtani und seine Kollegen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir die aktuelle Best Practices für Patienten mit Herzinsuffizienz nicht ändern sollten.“
Als Grund nennen sie ältere Studien, die große Mengen an Kochsalz mit einer höheren Morbidität und Mortalität aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung bringen. Gleichzeitig warnen die Autoren: „Ärzte sollten akzeptieren, dass es derzeit kaum Argumente gibt, falls Patienten mit Herzinsuffizienz ihre Kochsalzzufuhr nicht einschränken wollen.“
Ist Natrium wirklich der Bösewicht?
Das ist leichter gesagt als getan. „Als erfahrene Ärzte halten wir an klinischen Erfahrungswerten fest“, bestätigt Dr. Clyde W. Yancy vom Department of Medicine der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago in einem Kommentar zur Studie [2]. „Wir sind uns sicher, dass Natrium eine Herzinsuffizienz verschlechtert.“
Solche tief verwurzelten Überzeugungen ließen sich über Nacht kaum ändern. Genau deshalb sei es jetzt an der Zeit, „Dogmen der Kardiologie wie die Natriumrestriktion bei Herzinsuffizienz kritisch zu hinterfragen“.
Mahtani und seine Kollegen hätten zwar mehr als 2.500 Arbeiten ausgewertet, fasst Yancy zusammen. „Nur 0,3 Prozent aller jemals durchgeführten Studien zur Beurteilung der Natriumrestriktion bei Herzinsuffizienz waren von ausreichender Qualität für eine systematische Überprüfung, und es wurde festgestellt, dass keine von hoher Qualität oder ohne Bias war.“
Außerhalb einer stationären Umgebung sei es „praktisch unmöglich, die tatsächliche Kochsalz-Aufnahme zu beurteilen“. Gerade Convenience-Produkte enthalten große Mengen an Natriumchlorid: eine Tatsache, die bei Patientenangaben zur Ernährung schnell übersehen wird.
„Aber ist Natrium wirklich der Bösewicht?“, fragt Yancy. „Vielleicht sollte unser Fokus anstelle von natriumarmen Diäten auf der gesamten Ernährung liegen, einschließlich weniger Natrium, mehr Kalium, weniger Phosphat und mehr Ballaststoffen.“
Der Editorialist verweist bei schlechter Datenlage auf mögliche Vorteile von DASH-Diäten (Dietary Approaches to Stop Hypertension) bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Bei dieser Diät wird viel Obst und Gemüse gegessen, aber nicht vollständig auf Fleisch verzichtet. Effekte seien Yancy zufolge wahrscheinlich auf die hohe Kaliumaufnahme zurückzuführen.
Er hofft auf neue Erkenntnisse, sobald Ergebnisse der SODIUM-HF-Studie vorliegen. Ziel dieser Studie ist es, den Effekt eine Aufnahme von nur 65 mmol (1,5 Gramm) Natrium pro Tag bei Patienten mit Herzinsuffizienz zu untersuchen. Yancy: „Das ist ein guter Schritt, reicht aber nicht aus.“ Weitere Studien sollten sich mit der DASH-Diät und ähnlichen Ernährungsprogrammen befassen.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Salzrestriktion bei Herzinsuffizienz? Die gängige Empfehlung ist laut aktuellem Review alles andere als evidenzbasiert - Medscape - 30. Nov 2018.
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