Die weltweite Last durch die Laster: Osteuropa und Afrika führen beim Alkohol, USA ist bei illegalen Drogen top

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

27. November 2018

Geschätzt über 100 Millionen Alkohol- und rund 22 Millionen Drogenabhängige weltweit, außerdem allein 2,8 Millionen alkoholbedingte und knapp 500.000 drogenbedingte Todesfälle: Diese Zahlen wurden für das Jahr 2016 in der Studie Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors (GBD) errechnet und kürzlich im Fachblatt The Lancet Psychiatry veröffentlicht [1]. Sie könnten dem Kampf gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch mehr Nachdruck verleihen.

Dies ist zumindest die Hoffnung von Prof. Dr. Shekhar Saxena von der Harvard T.H. Chan School of Public Health an der Harvard University, Boston, USA. In einem die Studie begleitenden Kommentar schreibt er, dass die Studie ihr Ziel erreicht habe, wenn die publizierten Schätzungen „verstärkte öffentliche Gesundheitsmaßnahmen auf nationaler und globaler Ebene ermöglichten, um die durch Alkohol und Drogen verursachte Krankheitslast zu verringern“ [2].

Doch Zweifel an der Schlagkraft der Zahlen sind berechtigt. Saxena: „Die Daten sind neu, aber die Botschaft ist es nicht.“ Tatsächlich verfolgten sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die UN-Generalversammlung bereits gesonderte Strategien, um den weltweiten Konsum von Alkohol bzw. Drogen zu reduzieren, so Saxena. Bislang ohne nennenswerten Erfolg.

Mehr Daten zur weltweiten durch Alkohol- und Drogenkonsum bedingten Krankheitsbelastung seien deshalb zwar begrüßenswert, jedoch sei ein Mangel an Daten und Evidenz nicht der auschlaggebende limitierende Faktor für größere Fortschritte. „Es bedarf politischer Entschlossenheit, um Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit voranzutreiben, die die durch den Substanzgebrauch verursachte Belastung verringern.“

Erstmals Zahlen zu Krankheitslast und Auswirkungen sozioökonomischer Faktoren

Die Ergebnisse sind Teil der GBD-Studie, für die jährlich Daten zu Krankheiten, Todesursachen und Verletzungen aus insgesamt 195 Ländern, darunter auch Deutschland, zusammengetragen werden.

Die nun vorliegende Arbeit dokumentiert nicht nur den Umfang des Alkohol- und Drogenmissbrauchs in den betrachteten Ländern (1990-2016). Sie enthält zudem erstmals Schätzungen zur Krankheitslast durch den Substanzgebrauch sowie die Auswirkungen sozioökonomischer Faktoren (Socio-demographic Index, SDI) auf die Krankheitslast.

Die Krankheitslast wird dabei als „Disability-Adjusted Life Years“ (DALYs) gemessen. Ein DALY setzt sich zusammen aus der Summe der durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre und den mit Krankheit und/oder Behinderung gelebten Lebensjahren.

Vor allem die Folgeerkrankungen einer Abhängigkeit erhöhen die Krankheitslast

Weltweit gab es demnach im Jahr 2016 geschätzt 100,4 Millionen Alkohol- und rund 22,1 Millionen Drogenabhängige weltweit, 99,2 Millionen DALYs (4,2% aller DALYs) waren dabei dem Alkoholkonsum zuzurechnen, und 31,8 Millionen DALYs (1,3% aller DALYs) waren auf Drogenkonsum zurückzuführen.

Die durch Alkohol- und Drogenkonsum bedingte Krankheitslast schwankte zwischen den untersuchten Ländern erheblich, wobei ein Großteil der Krankheitslast nicht auf die Abhängigkeit selbst, sondern auf weitere (Folge-)Erkrankungen wie HIV/AIDS, Hepatitis, Leberkrebs, Zirrhose und andere Lebererkrankungen zurückzuführen waren.

 
Das Auftauchen alkoholbedingter Belastungen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara spiegelt die sich ändernde Strategie der Alkoholindustrie wider. GBD-Autoren
 

Die Krankheitslast durch Alkohol war dabei in Ländern mit niedrigem SDI (hier bestimmten vor allem Erkrankungen wie Tuberkulose und Infektionen der unteren Atemwege die Krankheitslast) und mittlerem SDI (kardiovaskuläre Erkrankungen) am höchsten, während die Krankheitslast durch Drogenabhängigkeit mit höherem SDI-Niveau zunahm.

Länder mit der höchsten auf Alkohol zurückzuführende Krankheitslast lagen in Osteuropa (z.B. Russland [4.942,7 DALYs] und Ukraine [4.487,7 DALYs]) sowie in afrikanischen Ländern südlich der Sahara (z.B. Lesotho [9.387,2 DALYs] und Zentralafrikanische Republik [7.091,6 DALYs]). Zum Vergleich: In Deutschland betrug die alkoholbedingte Krankheitslast im Jahr 2016 1.362,1 DALYs.

„Das Auftauchen alkoholbedingter Belastungen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara spiegelt die sich ändernde Strategie der Alkoholindustrie wider“, schreibt das internationale Autorenteam in ihrer Publikation. Diese habe sich in den letzten Jahren auf Afrika und andere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen konzentriert. So umgehe die Industrie die strengeren Regulierungen und Gesundheitsinitiativen in Ländern mit einem hohen Einkommen, in denen der Konsum stetig zurückgehe.

Länder mit der höchsten auf illegale Drogen zurückzuführende Krankheitslast waren die USA (1.460,3 DALYs), Russland (1.380,2 DALYs) und die Mongolei (1.057,4 DALYs). In Deutschland betrug die drogenbedingte Krankheitslast im Jahr 2016 366,2 DALYs.

WHO-Rahmenübereinkommen für Alkohol sollte entwickelt werden

Laut Saxena bestätigten die aktuellen Schätzungen, was man ohnehin schon wisse: „Alkohol und illegale Drogen gehören zu den bedeutendsten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit.“

 
Alkohol und illegale Drogen gehören zu den bedeutendsten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Prof. Dr. Shekhar Saxena
 

Die systematische Analyse des Autorenteams lege die Entwicklung eines Rahmenübereinkommens für Alkohol nahe, ähnlich dem Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs. Die Notwendigkeit eines solchen Abkommens erscheine umso dringlicher, so Saxena, als eine vorangegangene GBD-Studie nahelege, dass nur der völlige Verzicht auf Alkohol Gesundheitsschäden minimieren könne.

 

Kommentar

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