Die Büchse der Pandora: Erste Genom-editierte Babys in China geboren? Deutsche Experten über Eingriff in Keimbahn entsetzt

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

27. November 2018

Laut Angaben der Nachrichtenagentur AP sollen in China die ersten Genom-editierten Babys zur Welt gekommen sein. AP zufolge handelt es sich um Zwillingsmädchen, in deren Erbgut mit der Genschere CRISPR/Cas9 ein Gen inaktiviert wurde.

Als verantwortlicher Forscher wird Dr. Jiankui He von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen genannt. Im Video-Interview sagt He, es sei gelungen, „die molekulare Eintrittspforte zu entfernen, durch die HI-Viren Menschen infizieren können“. Die Hochschule selbst distanzierte sich aber von allen Arbeiten und zeigte sich von den Medienberichten „zutiefst schockiert“.

Kommentar von Medscape-Chefredakteur Prof. Dr. Eric J. Topol in der New York Times

Als einen „gefährlichen Verstoß gegen die medizinische Ethik, der verurteilt werden muss“ bezeichnet Prof. Dr. Eric J. Topol in der New York Times vom 27. November die Experimente – falls sie sich denn als wahr herausstellen.

„Das bedeutet nicht, dass die Medizin nicht eines Tages Gene-Editing-Technologien in ähnlicher Weise anwenden wird. Aber die Zeit ist noch nicht gekommen. Es gibt noch zu viele Risiken, zu viel Unbekanntes, als das wir derzeit an unserem genetischen Bauplan herumpfuschen sollten“, gibt Topol, der Professor für molekulare Medizin am Scripps Research Institute in La Jolla, USA, ist, zu bedenken.

Was sich anhöre wie ein Fortschritt im Kampf gegen AIDS sei komplett unnötig und berge sogar die Gefahr einer erhöhten Anfälligkeit der Patienten gegenüber anderen Infektionskrankheiten. Vorherige Studien hätten gezeigt, dass es möglich ist, das CCR5-Gen zu inaktivieren ohne auf embryonaler Ebene einzugreifen. „Insofern war das Experiment unnötig. Es hatte keine wissenschaftliche Basis und muss angesichts der bekannten und unbekannten Risiken als unethisch betrachtet werden“, so sein Fazit.

Mittlerweile hat China dem Ganzen Einhalt geboten. Die maßgeblich an dem Experiment beteiligten Wissenschaftler seien aufgefordert worden, ihre Aktivitäten einzustellen, zitierte der Staatssender CCTV heute einen Vertreter des chinesischen Wissenschaftsministeriums.

Experte stellt den Sinn von Hes Experimenten infrage

„Auf der Basis der sehr dürftigen Informationslage – nur Medienberichte, Videos, aber keine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung –, kann ich noch relativ wenig zu den Einzelheiten dieser Neuigkeit sagen“, kommentiert Prof. Dr. Toni Cathomen gegenüber dem Science Media Center (SMC) Deutschland. Er ist Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie, Universitätsklinikum Freiburg.

 
Für mich persönlich gibt es keine Indikation, die einen genetischen Eingriff in die Keimbahn rechtfertigt. Prof. Dr. Toni Cathomen
 

Cathomen ergänzt: „Die eingeführte genetische Veränderung führt zu einer Resistenz gegen Infektion mit dem HI-Virus.“ He sei es offenbar gelungen, das CCR5-Gen mittels CRISPR-Cas in Ein-Zell-Embryonen auszuschalten und diese Embryonen der Mutter einzupflanzen. Nach einer normal verlaufenden Schwangerschaft seien dann 2 gesunde Mädchen geboren worden, wobei man zum Erfolg des Genom-Editings momentan noch keine Aussagen treffen kann.

„Für mich persönlich gibt es keine Indikation, die einen genetischen Eingriff in die Keimbahn rechtfertigt“, kritisiert Cathomen. Ärzte hätten schon heute die Möglichkeit, Eltern mit Erbkrankheiten über die Präimplantationsdiagnostik (PID) zu helfen. Auch für Paare mit HIV-Infektion gebe es konventionelle Möglichkeiten, um ein HIV-negatives Kind zur Welt zu bringen.

Langzeitfolgen schwer abschätzbar

Auch Dr. Jan Korbel vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg merkt gegenüber dem SMC an, es gebe weder belastbare Daten noch Veröffentlichungen oder gar Reviews. Den möglichen Eingriff hält auch er für gefährlich: „Die CRISPR/Cas-Methode ist eine präzise Technik in dem ausgewählten Zielbereich, aber genetische Veränderungen außerhalb dieses Bereiches können nicht ausgeschlossen werden.“ Selbst wenn diese nur minimal ausfielen, sei es derzeit unmöglich, Langzeitkonsequenzen abzuschätzen.

 
Es wurden offenbar gesunde, lebensfähige Embryonen manipuliert, und die Folgen für die betroffenen Individuen werden möglicherweise erst in Jahrzehnten zutage treten. Prof. Dr. Jörg Hacker
 

„Da in dem vorliegenden Fall die mit der ‚Genschere‘ eingebrachte Veränderung in vielen Zellen gleichzeitig auftaucht, und sogar von Zelle zu Zelle variieren könnte – und somit zu Mosaikformen führen kann –, sind die Folgen noch undurchsichtiger“, so Korbel. Hier werde versucht, eine Infektionskrankheit mit einer neuartigen, risikoreichen Methode zu verhindern, obwohl es ja schon Schutzmöglichkeiten gebe.

Politisches Eingreifen gefordert

Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, spricht gegenüber dem SMC von einem „Weckruf für Politik und Gesellschaft“. Mit der Erzeugung von genveränderten Menschen liege der Beweis vor, dass Forscher tatsächlich rote Linien überschritten hätten. „Es wurden offenbar gesunde, lebensfähige Embryonen manipuliert, und die Folgen für die betroffenen Individuen werden möglicherweise erst in Jahrzehnten zutage treten“, so Hacker.

 
Eine Diskussion, die in verbindlichen Regeln für die Anwendung von Genscheren mündet, ist dringlicher erforderlich als zuvor. Prof. Dr. Jörg Hacker
 

Veränderungen würden vererbt und hätten unvorhersehbare Auswirkungen über das Individuum hinaus. Aus dem Experiment – sollte es sich bewahrheiten – leitet er folgende Forderung ab: „Eine Diskussion, die in verbindlichen Regeln für die Anwendung von Genscheren mündet, ist dringlicher erforderlich als zuvor.“

Super-GAU für die Wissenschaft

„Sollte es sich bewahrheiten, dass ein mithilfe von CRISPR genmanipuliertes Baby erzeugt worden ist, wäre dies für die Wissenschaft ein Super-GAU“, ergänzt Prof. Dr. Peter Dabrock. Der Theologe ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. „Dass ausgerechnet am Tag vor dem weltweiten Wissenschaftsgipfel, der über den verantwortlichen Umgang mit dem Genome Editing beim Menschen berät, ein solches Experiment bekannt wird, kann ja fast nur als Affront gegenüber dem Ansinnen verantwortlicher Wissenschaft gewertet werden.“ Der „Second International Summit on Human Genome Editing“ findet vom 27. bis 29. November 2018 in Hongkong statt.

 
Sollte es sich bewahrheiten, dass ein mithilfe von CRISPR genmanipuliertes Baby erzeugt worden ist, wäre dies für die Wissenschaft ein Super-GAU. Prof. Dr. Peter Dabrock
 

Dabrock moniert, man habe sich nicht an international vereinbarte Standards innerhalb der Wissenschaftscommunity gehalten. Gleichzeitig zeige sich aber auch, dass es nicht ausreiche, wissenschaftliche Verhaltenscodizes zu formulieren, wenn sich nicht alle an diese halten.

„Politik und Zivilgesellschaft auf globaler Ebene müssen sich mehr Klarheit verschaffen, was da passiert, und ernsthaft zu debattieren beginnen, ob wir für solche Forschungen nicht weltweit verbindliche Standards benötigen“, so Dabrock. Es stünde Deutschland gut an, eine solche Debatte zu fördern. Ansonsten sei ein „irreparabler Vertrauensverlust in einer der vielversprechendsten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte“ zu befürchten.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....