Tödliche Trauer? Wann ein „gebrochenes Herz“ tatsächlich zum Broken-Heart-Syndrom führen kann – neue Studiendaten

George W. Citroner

Interessenkonflikte

26. November 2018

Der Tod eines geliebten Menschen ist ein tragisches und letztlich unvermeidliches Ereignis, dem wir alle uns irgendwann stellen müssen. Geschichten über Ehepartner, die einander innerhalb von Tagen oder sogar Stunden in den Tod folgen, sind keine Seltenheit. Eine aktuelle Untersuchung könnte erklären, welche physiologischen Zusammenhänge dahinterstecken.

An der Rice University im texanischen Houston hat man jetzt herausgefunden, dass Personen, die Mühe haben, ihre Trauer infolge des Verlustes eines geliebten Menschen zu überwinden, mitunter so starke Entzündungsreaktionen zeigen, dass sich daraus Herzschäden entwickeln können.

„Ich war erstaunt, wie oft Personen, die einen geliebten Menschen wie etwa den Ehepartner verloren haben, ein viel größeres Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt aufwiesen als andere. Sie schienen buchstäblich an gebrochenen Herzen zu sterben. Ich wollte verstehen, wie es dazu kommen kann“, sagte der Studienleiter Dr. Chris Fagundes, Juniorprofessor der Psychologie an der Rice University, gegenüber Medscape.

„In einem früheren Beitrag fanden wir heraus, dass die Entzündungsparameter bei Hinterbliebenen signifikant höher waren. In dieser Studie haben wir untersucht, ob das Ausmaß der Trauer die am stärksten gefährdeten Personen identifizieren kann“, sagte Fagundes. Die Studie wurde im Oktober 2018 in der Zeitschrift Psychoneuroendocrinology online veröffentlicht.

 
Ich war erstaunt, wie oft Personen, die einen geliebten Menschen verloren haben, ein viel größeres Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt aufwiesen als andere. Sie schienen buchstäblich an gebrochenen Herzen zu sterben. Dr. Chris Fagundes
 

Entzündungen als Ausdruck von Schuldgefühlen

„Frühere Untersuchungen an großen Stichproben stellten fest, dass die Sterblichkeit und die Herzinfarkthäufigkeit bei Hinterbliebenen höher waren als bei anderen. Dies ist jetzt die erste Studie, die versucht vorherzusagen, wer in einer Gruppe von Hinterbliebenen am stärksten gefährdet ist“, sagte Fagundes.

An der Studie nahmen 99 Personen teil, die ihren Ehepartner höchstens 2 Wochen vor der Beurteilung verloren hatten. Die Teilnehmer mussten vor dem Verlust mindestens 3 Jahre mit ihrem Partner verheiratet gewesen sein. Der Grund dafür ist, dass Hinterbliebene nach einer solchen Zeit laut der Literatur zur Bindungstheorie Erwachsener als „vollständig gebunden“ gelten.

Die Erhebung erfolgte mithilfe eines Fragebogens, der im Institut oder auch zuhause ausgefüllt werden konnte. Es wurden demografische, klinische und anthropometrische Daten wie Gewicht, Körpergröße und Taillenumfang erhoben. An den Morgenstunden wurden zwischen 7:30 und 11:00 Uhr Blutproben am nüchternen Patienten entnommen, um tägliche Schwankungen erkennen zu können.

Die Teilnehmer wurden gefragt, ob sie Krankheitssymptome haben, da eine Erkrankung zu einer Erhöhung der Entzündungsmarker führen kann. Die Untersucher forderten die Teilnehmer zudem auf, mindestens 48 Stunden vor der Beurteilung keine anstrengenden körperlichen Aktivitäten mehr auszuführen.

Um das Ausmaß der Trauer zu messen, verwendeten die Forscher das Inventory of Complicated Grief (ICG). Das ICG misst 19 verschiedene trauerbezogene Symptome und bietet Informationen über eine Reihe von Symptomen einer komplizierten Trauer. Die interne Konsistenz des 19-Punkte-ICG ist hoch (Cronbachs Alpha = 0,94).

Die Untersucher betrachteten Personen mit einem ICG-Wert ≥ 25 als in hohem Maß trauernd. Personen mit einem solchen Ergebnis waren in einem signifikant schlechteren psychischen und physischen Zustand, in ihrem sozialen Funktionieren eingeschränkt und klagten über mehr Schmerzen.

Zur Bestimmung der Prävalenz von Depressionen wurde die Center for Epidemiologic Studies Depression Scale verwendet. Aufgrund ihres engen Zusammenhangs zu Entzündungen (α = 0,91) wurde sie als Kontrollgröße in die Regressionsmodelle aufgenommen.

 
Diese Studie liefert wichtige Informationen, die das Verständnis von Trauer als eigenständigem klinischem Bild und von den Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern, die mit ihr verbunden sind. Dr. Iram Kazimi
 

Zur Bestimmung des Zytokinspiegels wurden Zellkulturen aus Vollblut verwendet. Zytokine sind Proteine, die als molekulare Botenstoffe wirken und verschiedene Funktionen wie auch das Entzündungsgeschehen regulieren. Eine unangemessene oder überschießende Produktion bestimmter Zytokine kann zu Krankheiten führen.

Die Forscher bewerteten die Zytokine insgesamt und analysierten anschließend jedes Zytokin einzeln. IL-6, TNF-α und IFN-γ erwiesen sich dabei als die proinflammatorischen Zytokine, die sowohl in adjustierten als auch in nicht adjustierten Modellen mit einem höheren Trauergrad in Zusammenhang stehen.

Die Ergebnisse bestätigen, dass verheiratete Hinterbliebene, die stärker trauern, ein höheres Entzündungsniveau haben als solche, die eine weniger schwere Trauer erleben, sagt Fagundes.

Tödliches Phänomen

Dr. Victoria Shin, Kardiologin am Torrance Memorial Medical Center in Kalifornien, kommentierte die Ergebnisse für Medscape. Sie verwies darauf, dass „das Broken-Heart-Syndrom ein reales Phänomen ist“ – und auch als Tako-Tsubo-Kardiomyopathie oder Stress-Kardiomyopathie bezeichnet wird. Es ist bekannt, dass die Erkrankung eine Reaktion auf stressausösende Ereignisse ist und mit einem Anstieg von Entzündungsmarkern und dem Stresshormon Adrenalin verbunden ist.

Nach Angaben der American Heart Association (AHA) bewirkt das Broken-Heart-Syndrom eine kurzfristige Herzmuskelschwäche, die so ausgeprägt sein kann, dass sie sogar einen tödlichen Verlauf nimmt ( Medscape berichtete ). Shin, die nicht an der Studie beteiligt war, ergänzte, dass Trauer und Stress die Stresshormon-Produktion erhöhen, worauf der Blutdruck und die Herzfrequenz ansteigen.

„Langfristig führt dies zur Hypertonie, wodurch sich bei Patienten mit entsprechendem Risiko die Wahrscheinlichkeit für Schlaganfall und Herzrhythmusstörungen erhöht. Es kann sogar zu einer Plaque-Ruptur mit nachfolgendem Herzinfarkt kommen“, sagte Shin.

„Wir wissen, dass eine Entzündung einer späteren Depression vorangehen kann. Daher könnte sie tatsächlich als Marker für diejenigen Menschen verwendet werden, die eine komplizierte Trauer erleben, welche viel länger als normal andauert“, sagt Fagundes. Er verweist darauf, dass die Studie auch Raum für die Möglichkeit der Prävention etwa mit Statinen schaffe, um das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko zu senken.

Auch Dr. Iram Kazimi, Psychiater an der McGovern Medical School des UTHealth in Houston und ebenfalls nicht an der Studie beteiligt, kommentierte die Ergebnisse für Medscape. Sie erklärte, dass Trauer, die über einen längeren Zeitraum andauere ohne nachzulassen, als komplizierte oder unbewältigte Trauer gilt.

„Zu den Symptomen können das intensive Trauern, die Suche nach der Schuld für den Tod bei sich selbst sowie das Gefühl, mit dem geliebten Menschen einen Teil des eigenen Selbst verloren zu haben, gehören. Diese Studie liefert wichtige Informationen, die unser Verständnis von der Trauer als eigenständiges klinisches Bild und von den speziellen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die mit ihr verbunden sind, fördern“, sagt Kazimi.

„Diese Studie hilft zu belegen, wie eng Körper und Geist miteinander verbunden sind. Unsere engen Beziehungen sind sehr bedeutend für unsere psychische Gesundheit und sie können sich wirklich in klinisch relevanter Weise auf unsere gesamte Physiologie auswirken“, fügt sie hinzu.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

Kommentar

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