Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Anwendung von Frischzellen beim Menschen im Arzneimittelgesetz (AMG) verbieten. Heilpraktikern und anderen Angehörigen nichtärztlicher Heilberufe soll es zudem künftig untersagt werden, verschreibungspflichtige Medikamente selbst herzustellen.
Ein entsprechender Referentenentwurf sei derzeit in Arbeit, bestätigt das BMG. Er ist am Freitag vorgestellt worden. Das Gesetz würde auch ein florierendes Geschäft trockenlegen.
Die Süddeutsche Zeitung zitiert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit den Worten: „Patienten müssen sicher sein, dass ihnen Arzneimittel nicht schaden.“
Nach Schätzungen des BMG stellen in Deutschland rund 400 Heilpraktiker und Ärzte Organextrakte tierischen Ursprungs her, vulgo: Frischzellen. Offenbar werden Frischzellen vielfach in Privatkliniken, Behandlungszentren oder Hotels verabreicht.
Ein Gutachten des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) konnte allerdings keine klaren Zahlen über Herstellung, Vermittlung und Anwendung von Frischzellen in Deutschland ermitteln. Die Situation in Deutschland gestalte sich „wenig transparent“, schreibt das Institut.
Zwar müssten es Ärzte und Heilpraktiker laut § 67 Arzneimittelgesetz kundtun, wenn sie Frischzellen aufbereiten und verwenden. Aber die Meldeformulare sind je nach Bundesland uneinheitlich, manche Anwender melden bei den Landesbehörden, manche bei den lokalen Behörden, manche gar nicht. Thüringen und Berlin geben kaum Meldungen an, Hamburg und Baden-Württemberg dagegen sehr viele. Kurz: Das Meldeverhalten sei „nicht konsistent“, so das Gutachten.
Klar ist: Käme das Gesetz durch, dürfte auch ein vermutlich einnahmenstarker Geschäftszweig absterben. Denn weil die Frischzellen-Kur in vielen Ländern bereits verboten ist, kommen die Patienten aus dem Ausland nach Deutschland, „vorwiegend aus dem asiatischen Raum“, wie das BfArM schreibt.
„Die amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention) sprechen in diesem Zusammenhang von ‚Xenotourismus‘“, so das Gutachten. Auch der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser vom Arznei-Telegramm bestätigt das. „Die Patienten kommen zum Teil auch aus den USA und Australien hierher.“
Selbst Adenauer und ein Papst nahmen Frischzellen
„Frischzellen-Kuren gibt es schon seit Ende des 2. Weltkrieges“, sagt Becker-Brüser. „Schauspieler, Sportler, selbst Bundeskanzler Konrad Adenauer und Papst Pius XII. schworen darauf.“ Dabei fehlen Belege für den Nutzen, nur Anekdoten preisen die Frischzellen-Kuren – während die gefährlichen Folgen mehr oder weniger verschwiegen wurden, so der Arzneimittel-Experte.
Frischzellen sind frisch gewonnene Zellen aus Säugetieren, die den Patienten möglichst innerhalb von 20 Minuten nach Entnahme etwa aus einem geschlachteten Schaf verabreicht werden sollen. Der Stoff soll einen „Anti-Aging-Effekt“ entfalten oder das Immunsystem stärken können. Allerdings sind diese Effekte umstritten.
Negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis
Frischzellen können aber gefährlich sein. So kam es 2014 in Rheinland-Pfalz zu einem Q-Fieber-Ausbruch in mehreren landwirtschaftlichen Betrieben. Betroffen war auch eine Schafherde, deren Tiere als Spender für Frischzellen herangezogen wurden, so das BMG auf Nachfrage. „In der Folge erkrankten mehrere Patienten und mehrere Mitarbeiter der behandelnden Einrichtungen.“ Becker-Brüser warnt vor Infektionen, anaphylaktischen Reaktionen und Lähmungen.
Laut BfArM weisen Injektion, Infusion oder Implantation von Frischzellen ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis auf. Das BMG fürchtet vor allem die Übertragung von Krankheitserregern im Zuge der Frischzellenkur. Zusätzlich bestünden „schwerwiegende immunologische Risiken. Diese Arzneimittel sind deshalb als bedenklich anzusehen“, so das BMG auf Anfrage. „Belastbare klinische Prüfungen fehlen.“
1997 wurden Frischzellen schon einmal verboten – aber nur als Fertigpräparat. Die Anbieter reagierten mit einer Verfassungsbeschwerde. Das Ergebnis: Frischzellen konnten weiter verwendet werden, aber nur als Injektion direkt nach der Gewinnung aus einem Schlachttier. „Damit verschwanden die vielleicht noch besser zu kontrollierenden Fertigpräparate vom Markt“, sagt Becker-Brüser. Es werde interessant sein, wie das fertige Gesetz das Verbot formulieren wird, sodass es auch greift, so der Experte.
Heilpraktiker: Keine Therapieversuche mehr mit nicht zugelassenen Wirkstoffen
Neben dem Verbot von Frischzellen dürfen auch verschreibungspflichtige Arzneimittel künftig nicht mehr von Angehörigen nichtärztlicher Berufe, wie zum Beispiel Heilpraktikern, ohne behördliche Erlaubnis hergestellt werden – so will es der Referentenentwurf.
Anlass für die Initiative sind Vorkommnisse wie der Tod von 3 Krebspatienten in der Praxis eines Heilpraktikers im Nordrhein-Westfälischen Brüggen-Bracht nahe der holländischen Grenze. „Als mögliche Todesursache wird die Infusion eines Arzneimittels mit dem Stoff 3-Bromopyruvat (3-BP) diskutiert, das sich im Ausland in der Grundlagenforschung und experimentellen Phase der Entwicklung befand und das der Heilpraktiker selbst hergestellt hatte“, so das BMG. Die Herstellung war dem Heilpraktiker erlaubt. Sie soll nun verboten werden.
Becker-Brüser begrüßt das Vorhaben. „Das Problem sind eigentlich die Therapieversuche mit Wirkstoffen, die noch keine Zulassung haben und vielleicht nie eine erhalten werden“, erklärt er. Trotzdem sind manche Stoffe in den Ruf geraten, wirksam zu sein. Diese Stoffe seien bei Heilpraktikern in den falschen Händen, weil ihnen die profunde Ausbildung fehle. „Sie können weder die Risiken der Behandlung mit solchen Stoffen erkennen noch die Konsequenzen ihrer Tätigkeit abschätzen.“
Auch viele Ärzte und Kliniken bieten Frischzellenkuren an
Ursula Hilpert-Mühlig, Präsidentin des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker (FDH), kritisiert in einer Stellungnahme, dass über die Frischzellen-Kuren vor allem im Hinblick auf Heilpraktiker gesprochen werde. Zwar wendeten auch Heilpraktiker Frischzellen an, „doch ihre Zahl dürfte weitaus geringer sein als die der Ärzte“, so Hilpert-Mühlig in ihrer Stellungnahme.
Vor allem „Schönheits- und Kurkliniken unter ärztlicher Leitung“ böten die Frischzellen-Kuren an, hieß es. Im Übrigen bestätigt sie „eine große Nachfrage von Patienten aus aller Welt. Solcher Gesundheitstourismus ist ein lukrativer Wirtschaftsfaktor auch für die Standorte solcher Kliniken.“
Und was die erlaubnisfreie Herstellung von verschreibungspflichtigen Medikamenten angeht: So müssen Heilpraktiker schon heute anzeigen, welche Substanzen sie für die erlaubnisfreie Herstellung von Medikamenten verwenden, betont die Verbandspräsidentin. Sollten also die Heilpraktiker nicht erlaubte Substanzen melden, „kann die Behörde sofort eingreifen.“
Wie dem auch sei – der Gesetzgeber bleibt den Heilpraktikern gegenüber offenbar misstrauisch. So teilt das BMG mit: „Der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode sieht im Sinne einer verstärkten Patientensicherheit vor, das Spektrum der heilpraktischen Behandlung zu überprüfen.“
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Diesen Artikel so zitieren: BMG-Plan zur Arzneimittel-Sicherheit: Frischzellen sollen verboten werden – viele Risiken, kein Nutzen - Medscape - 21. Nov 2018.
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