Pandemie-Vorhersage: Viel Geld für nutzlose Forschung?

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

22. November 2018

Berlin – Kaum eine andere Frage beschäftigt derzeit Virologen weltweit so sehr wie diese: Wann und wo wird wohl die nächste große Pandemie ausbrechen? Die Hoffnung ist, mögliche Pandemie-Erreger zu identifizieren, noch bevor es zum Pandemie-Ausbruch kommt. Wie bedrohlich solche Virus-Epidemien sein können, zeigen nicht nur die Erfahrungen mit Viren wie Ebola und Zika, die den Forschern vorher schon bekannt waren, sondern auch Epidemien wie HIV, MERS oder SARS, die quasi aus dem Nichts kamen.

Falsche Forschungsanreize, unseriöse Versprechen

Es gibt weltweite Forschungsprojekte wie das „Globale Virom Project“, die durch die genetische Entschlüsselung einer Vielzahl von Viren dem Ziel der Pandemie-Prävention näherkommen wollen. Doch: „Dieser Ansatz wird kaum funktionieren“, meinte Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité und Entdecker des SARS-Erregers, auf dem World Health Summit (WHS) 2018 [1].

„Das sind leere Versprechen. Wir sind in der Virologie sehr weit entfernt davon, solche Voraussagen treffen zu können“, zeigte sich Drosten skeptisch. „Wir sind etwa so weit, wie die Meteorologie vor der Erfindung des Wetterballons. Damals schaute man nach oben, sah, dass dunkle Wolken aufziehen und dachte, es wird wohl bald regnen“, so sein Vergleich.

 
Ich finde es falsch, wenn die großen Geldgeber im Moment von der Wissenschaft verlangen, die nächste Pandemie vorauszusagen. Prof. Dr. Christian Drosten
 

Dass die Virologie in Sachen Voraussage noch in den Kinderschuhen stecke, sei unter internationalen öffentlichen und privaten Geldgebern zu wenig bekannt. Diese schrieben weltweit Forschungsprojekte zur Voraussage von Pandemien aus. Doch diese Aufgabe könnten Wissenschaftler noch gar nicht lösen. So komme es zu zum Teil unseriösen Forschungsversprechen von Seiten der Wissenschaft, um an die Gelder zu kommen.

„Ich finde es falsch, wenn die großen Geldgeber im Moment von der Wissenschaft verlangen, die nächste Pandemie vorauszusagen,“ kritisierte der Virologe. Damit zwinge man die Forschung in eine bestimmte Richtung und setze sie unter Druck. „Würde es eine Ausschreibung in Milliardenhöhe dazu geben, wie Menschen unsichtbar gemacht werden können, gäbe es wahrscheinlich auch Gruppen, die Förderanträge schreiben“, vermutete er.

Drosten steht mit seinen Einwänden nicht allein. Auch eine Gruppe australischer Forscher um den Evolutionsbiologen und Virologen Prof. Dr. Edward C. Holmes von der Universität Sydney (Australien) hat unlängst in Nature und auch im Open-Access-Journal Open Biology der Royal Society dargelegt, welch geringen praktischen Wert etwa das Next-Generation-Sequencing (NGS) einer Vielzahl neu identifizierter Viren habe, wenn es um die Voraussage von Pandemien gehe.

1,6 Millionen Viren in Tieren sollen genetisch charakterisiert werden

Die australische Forschungsgruppe führt besagtes „Global Virome Projekt“ an, dessen Vertreter 2019 rund 1,2 Milliarden US-Dollar Förderung beim US-National Insitute of Allergy and Infectious Diseases angefragt hätten, was rund einem Viertel des Gesamtbudgets von 4,8 Milliarden Dollar entspricht. Dieses Projekt will 1,6 Millionen Viren in Tieren genetisch charakterisieren, mit dem Ziel, dann vorhersagen zu können, welche davon eventuell auf Menschen überspringen könnten.

 
Würde es eine Ausschreibung in Milliardenhöhe dazu geben, wie Menschen unsichtbar gemacht werden können, gäbe es wahrscheinlich auch Gruppen, die Förderanträge schreiben. Prof. Dr. Christian Drosten
 

170 Millionen Dollar an US-Entwicklungsgeldern seien seit 2009 in die Frage investiert worden, ob eine pandemische Bedrohung präventiv abgewendet werden könne, so Holmes und seine Kollegen.

Allein die schiere Anzahl der Viren auf der Welt mache es unmöglich, Hinweise auf die nächste Pandemie zu geben, argumentieren Holmes und seine Kollegen. Bestimmen zu wollen, welche von 1,6 Millionen Viren im Tier dazu fähig sind, auf den Mensch überzugehen, die sich dann auch auf andere Menschen übertragen können, würde zudem viele Jahrzehnte an Labor und Zellkultur-Arbeit verschlingen.

Drosten kritisiert ebenfalls solche Ansätze: „Es bringt kaum etwas, möglichst viele unbekannte oder seltene Viren in Tieren bzw. Nutztieren zu identifizieren und dann überwachen zu wollen, ob sie auf den Menschen übergreifen. Daraus kann man nicht ableiten, dass man eine Pandemie im Frühstadium erwischt. Das wird nicht passieren, weil wir nicht die ganze Welt überwachen können“, sagte er gegenüber Medscape.

 
Es bringt kaum etwas, möglichst viele unbekannte oder seltene Viren in Tieren bzw. Nutztieren zu identifizieren und dann überwachen zu wollen, ob sie auf den Menschen übergreifen. Prof. Dr. Christian Drosten
 

Außerdem: Nicht jeder Wechsel vom Tierreservoir zum menschlichen Wirt führe zu einer Pandemie, denn solche sporadische Vorkommnisse seien vermutlich sehr häufig. „Es ist wohl eher der Normalfall, dass ungewöhnliche Viren immer wieder auf die Menschen übergehen, ohne dass eine Pandemie ausgelöst wird“, sagte der Berliner Virologe.

Holmes und seine Kollegen verweisen als Beispiel auf Influenza-Viren: Einige Subtypen zirkulierten etwa seit den 1950er Jahren in Pferden und seit den frühen 2000er auch in Hunden, ohne dass sie bisher in menschlichen Populationen aufgetaucht seien. „Diese Viren sind nie beim Menschen entdeckt worden und werden es wahrscheinlich auch nie – aus uns unbekannten Gründen“, so die Forscher. Auch habe man noch nicht ausreichend verstanden, was das Virus dazu bringe, den Wirt zu wechseln.

Drosten stimmte zu: Was letztlich die Pandemie auslöse – in einer Kette beginnend vom Virus im Tierreservoir bis zum Übergang auf (einzelne) Menschen über einen begrenzten Ausbruch bis letztlich hin zur Pandemie – sei wohl eher ein zufälliger Prozess, vermutete er.

Mechanismen der Virusausbreitung erforschen

„Die Frage ist also irrelevant, ob ein Virus sporadisch in einem Tierreservoir auftritt. Die eigentliche Forschungsfrage ist: Was muss eigentlich passieren, damit aus den ungewöhnlichen Einzelinfektionen im Menschen tatsächlich auch Infektionsketten und Pandemien entstehen? Welche Mechanismen spielen eine Rolle, wenn sich das Virus ausbreitet?“, formulierte der Forscher.

 
Es ist wohl eher der Normalfall, dass ungewöhnliche Viren immer wieder auf die Menschen übergehen, ohne dass eine Pandemie ausgelöst wird. Prof. Dr. Christian Drosten
 

Ein möglicher Parameter der Virusanpassung könnte zum Beispiel die durchschnittlich übertragene Virusdosis von Mensch zu Mensch sein, sagte er. In diesem Fall wäre es in der Praxis egal, welches Virus in einem Krankenhaus grassiere – man müsse nur dafür sorgen, dass es zu einer verringerten Übertragung der Virusdosis komme. „Unnötig ist es in diesem Fall, das Virus nachzuverfolgen, sondern es muss mehr auf die Infektionskontrolle geachtet werden“, erklärte Drosten.

Wenn jedoch bestimmte Viren anpassungsfähiger als andere seien, müsse man sich auf diese konzentrieren. In diesem Fall lasse sich praktischer Nutzen daraus ziehen, Krankenhauspatienten grundsätzlich durch Next Generation Sequencing (NGS) auf alle Viren zu testen. „Jeder einzelne Fall müsste getestet werden, damit wir erkennen können, welches Virus in der Bevölkerung zirkuliert – denn Krankenhauspatienten spiegeln die Bevölkerung wider.“ Diese maximale Diagnostik sei auch in nächster Zukunft machbar und finanzierbar, meinte er.

Künftig müsse mehr in die Grundlagenforschung investiert werden, um solche Fragen zu beantworten, forderte der Virologe. Fördern müsse man insbesondere die Forschung der Evolutionsbiologie von Erregern.

 

Kommentar

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