Wer gleich reagiert, hat gute Chancen: Intensive Gewichtsreduktion nach Diabetes-Diagnose verhilft oft in die Remission

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

15. November 2018

Ein intensives Gewichtsreduktionsprogramm – beginnend mit einer Formula-Diät – eröffnet Patienten mit einem erst seit wenigen Jahren bestehenden Typ-2-Diabetes gute Chancen, auch ohne Medikamente die Symptome ihrer Erkrankung bis hin zu einer Remission zu verbessern.

Prof. Dr. Andreas Pfeiffer

Das zeigt die britische DiRECT-Studie, über die Prof. Dr. Andreas Pfeiffer vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Adipositas-Gesellschaft in Berlin berichtet hat [1].

Studie unter realen Bedingungen

„Das Neue an dieser Studie ist die Deutlichkeit und Reproduzierbarkeit, mit der sie den günstigen Einfluss einer Gewichtsreduktion in den Anfangsjahren eines Diabetes belegt“, sagte Pfeiffer, der auch die Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Ernährung der Berliner Charité, Campus Benjamin Franklin, leitet. „So führte eine Gewichtsabnahme um 15 kg und mehr bei 85 Prozent der Patienten zu einer Remission bzw. Normalisierung des HbA1c-Werts.“ Doch auch bereits bei geringerer Gewichtsreduktion bestand diese Chance.

 
So führte eine Gewichtsabnahme um 15 kg und mehr bei 85 Prozent der Patienten zu einer Remission bzw. Normalisierung des HbA1c-Werts. Prof. Dr. Andreas Pfeiffer
 

„Die wichtige Konsequenz dieser unter realen Praxisbedingungen vorgenommenen Studie ist, dass wir auch hierzulande einem großen Teil der Diabetespatienten mit einer kürzeren Diabeteslaufzeit anbieten sollten, eine solche Remissions-Chance wahrzunehmen“, so Pfeiffer.

Jeder Zweite schaffte es bis zur Remission

Für die in Lancet publizierte Studie waren in 49 allgemeinärztlichen Praxen in Schottland und England insgesamt 306 übergewichtige oder adipöse Patienten (BMI 27 bis 45 kg/m2) rekrutiert worden, deren Diabetes seit weniger als 6 Jahren bestand. Die Hälfte von ihnen (Interventionsgruppe) wurde einem Gewichtsreduktionsprogramm unterzogen, mit zunächst ausschließlicher Formula-Diät über 3 bis 5 Monate. Angestrebtes Ziel war es, im Beobachtungszeitraum von einem Jahr 15 kg oder mehr zu verlieren.

Selbst wenn dies nur rund einem Viertel der Interventionsgruppe gelang, waren die Studienergebnisse beeindruckend: So schaffte es insgesamt fast jeder 2. Patient (46%) bis zu einer Remission, definiert als HbA1c-Wert von weniger als 6,5% (<48mmol/mol). Dies war auch bei einem Gewichtsverlust von „nur“ 10 kg der Fall, während die Diabetesremission nach 5 kg immerhin noch bei 20% lag.

Motivation lohnt bis 5 Jahre nach Krankheitsbeginn

„Formula-Diäten sind sehr effektiv; und nach unseren Erfahrungen ist damit eine Gewichtsreduktion von 15 kg bereits in 8 bis 12 Wochen bei mehr als 90% der Patienten zu erreichen. Der Hunger sistiert dabei schon nach einem Tag, da der Körper auf Fettverbrennung bzw. Ketose umschaltet“, sagte Pfeiffer. Formula-Diätprodukte bestehen größtenteils aus Eiweiß, essenziellen Fettsäuren, Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralstoffen, sodass alle erforderlichen essenziellen Nährstoffe enthalten sind und überwiegend Fett abgebaut wird – sie werden als Fertigpulver angerührt.

Eine günstige Motivationslage für die damit zu beginnende Ernährungsumstellung besteht nicht nur bei der Mitteilung der Erstdiagnose eines Diabetes, sondern auch noch bis etwa 5 Jahre danach. So lässt sich im Arzt-Patienten-Gespräch die Gewichtsabnahme als Alternative zu dauerhafter Medikation oder gar zur bariatrischen Chirurgie erläutern.

 
Innerhalb der ersten etwa 5 Jahre der Krankheit kann eine Einschränkung der täglichen Nahrungszufuhr auf 500 bis 800 kcal schnell zu einer annähernden Normalisierung der Blutzuckerregulation führen. Prof. Dr. Andreas Pfeiffer
 

„Innerhalb der ersten etwa 5 Jahre der Krankheit“, so der Ernährungsmediziner, „kann eine Einschränkung der täglichen Nahrungszufuhr auf 500 bis 800 kcal schnell zu einer annähernden Normalisierung der Blutzuckerregulation führen, sodass Blutzuckerspiegel von 200 bis 300 mg/dl in den Bereich von etwas über 100 mg/dl abfallen.“ Um die Insulinsekretion durch die Betazellen wieder zu verbessern und eine gute Insulin-Empfindlichkeit zu erhalten, sei aber eine deutliche Gewichtsabnahme notwendig.

Strategie gegen Rückfälle

Die große Herausforderung ist freilich, das reduzierte Körpergewicht auf Dauer beizubehalten. Hierzu ist Pfeiffer zufolge ein intensives Nachsorgeprogramm mit Ernährungsberatung notwendig (entsprechende Beratungen und Kurse werden von den meisten Krankenkassen bezuschusst). „Die Patienten brauchen ein klares Konzept, sollten sich mindestens 3-mal wöchentlich wiegen und eine Strategie parat haben, wenn die Waage wieder 1 kg mehr anzeigt. Das kann z.B. der Einschub einer kurzen Formula-Diät-Phase, das tägliche Weglassen einer Mahlzeit oder tägliches Joggen sein“, erläuterte Pfeiffer.

Auf diese Weise schafften es etwa 30% der Patienten, ihr Gewicht auch über Jahre hinweg auf dem reduzierten Level zu halten. Ein sehr wichtiger Faktor dabei sei die Psyche: „Man muss es wirklich wollen, eine neuerliche Gewichtszunahme durch Lebensstiländerung bzw. bewusste Ernährung und ausreichend Bewegung zu verhindern.“ Zur Unterstützung der Selbstkontrolle können auch Organisationen wie die Weight Watchers oder Selbsthilfegruppen nützlich sein.

Messung der Insulinsekretion empfohlen

„In der ärztlichen Praxis sollte vor der Empfehlung einer Gewichtsreduktion mittels Formula-Diät möglichst geklärt werden, ob der Patient noch über eine ausreichende Insulinsekretion verfügt. Denn nur dann hat er auch eine gute Chance, dass die Gewichtsabnahme den Blutzuckerspiegel wieder in Richtung des Normalwerts bringt“, riet Pfeiffer im Gespräch mit Medscape. Hierfür seien Insulin und C-Peptid im Serum zu bestimmen. „Dem Patienten muss weiterhin klar gesagt werden, dass das Abnehmen an sich zunächst nicht so schwer ist, aber nur bei konsequenter Durchführung zum Erfolg führen kann.“

In der britischen Studie waren bei allen Teilnehmern der Interventionsgruppe eventuell bereits zuvor verordnete Antidiabetika abgesetzt worden. „Das ist auch sinnvoll“, so Pfeiffer, „da das Fasten bzw. die Formula-Diät sonst zu einer zu starken Absenkung der Glukosewerte führen können.“ Selbstverständlich sollte die Gewichtsreduktion im weiteren Verlauf mit regelmäßigen Kontrollen des Blutzuckerspiegels verbunden sein.

An der Berliner Charité wird derzeit eine spezielle Diabetes-Remissionsambulanz eingerichtet, in der u.a. eine Ärztin und eine Ernährungsberaterin tätig sind. „Um den Entschluss zur Gewichtsabnahme und Lebensstiländerung bei unseren Patienten zu verstärken, lassen wir sie eine entsprechende Willenserklärung unterschreiben“, so Pfeiffer. Nützlich ist diese vor allem dann auch bei dem nicht ganz einfachen (schrittweisen) Übergang von der Formula-Diät zu ausgewogener „normaler“ Kost, um den erreichten Abnehm-Erfolg zu erhalten.

 

Kommentar

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