Chicago/USA – Millionen Menschen schlucken täglich Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren, in der Hoffnung sich gesundheitlich etwas Gutes zu tun. Die Studienlage zum Nutzen der Supplementierung im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs ist widersprüchlich – aber überwiegend trist. Eine der größten randomisierten, placebokontrollierten Studien zu diesem Thema ist dieses Wochenende bei den Scientific Sessions der American Heart Association (AHA) in Chicago vorgestellt worden – und liefert zumindest für das Gros der Bevölkerung keine ermutigenden Ergebnisse [1].
Kein Herz- und Krebsschutz?
Erstautorin Dr. JoAnn E. Manson vom Brigham and Women's Hospital, Boston, USA, berichtete, dass „weder die Einnahme von Vitamin D noch die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren die Studienteilnehmer über 5 Jahre vor einer kardiovaskulären Erkrankung oder Krebs geschützt hat“. Allerdings habe es in einigen Subgruppen und bei einigen sekundären Endpunkte Hinweise auf einen Nutzen gegeben, etwa bei Menschen, die nur wenig Fisch essen.
In die Vitamin D and Omega-3-Trial (VITAL) waren fast 26.000 Menschen eingeschlossen, um die vieldiskutierte Frage nach dem Nutzen von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren zu klären. Doch es ist – mal wieder – nicht gelungen, einen protektiven Effekt der beiden Supplemente zu zeigen. Dies galt zumindest für das Erreichen der beiden primären Endpunkte: schwere kardiovaskuläre Erkrankungen und invasive Krebserkrankungen [2,3].
Keine Überraschung
„Überraschend sind diese Ergebnisse nicht wirklich – angesichts der vorangegangenen Studien“, sagte Manson auf Nachfrage von Medscape. So hat zum Beispiel erst dieses Jahr ein Review von 30 Studien mit mehr als 18.000 Teilnehmern keine Evidenz gefunden, die darauf hindeutet, dass eine Vitamin-D-Supplementierung die Krebsinzidenz oder die Krebsmortalität reduziert, auch nicht in der Langzeitnachbeobachtung.
In der VITAL-Studie erhielten die Studienteilnehmer – Männer ab 50 Jahren und Frauen ab 55 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung – in 4 Gruppen eingeteilt:
entweder 2.000 IU Vitamin D3 (Cholecalciferol) und 1 g Omega-3-Fettsäuren (EPA+DHA; Omacor/Lovaza, GlaxoSmithKline),
2.000 IU Vitamin D3 und ein Placebo,
1 g Omega-3-Fettsäuren und ein Placebo
oder 2 Placebo-Kapseln am Tag.
Nachbeobachtet wurden sie im Mittel 5,3 Jahre. Zeitgleich zum Kongress erschien die Studie im New England Journal of Medicine [4].
Statistisch nicht signifikant
Insgesamt erkrankten 1.617 Studienteilnehmer an Krebs – 793 in der Vitamin-D-Gruppe und 824 in der Placebogruppe. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Nicht anders bei der Herz-Kreislauf-Gesundheit: Ein schweres kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod) trat bei 805 Teilnehmern auf – 396 in der Vitamin-D-Gruppe und 409 in der Placebogruppe. Auch hier war der Unterschied statistisch nicht signifikant.
Von den mit Omega-3-Fettsäuren behandelten Studienteilnehmern erkrankten 820 an Krebs – im Vergleich zu 797 in der Placebogruppe. Und kardiovaskuläre Erkrankungen traten bei 386 der mit Omega-3-Fettsäuren supplementierten Teilnehmer auf, verglichen mit 419 in der Placebogruppe.
Während sich bei den primären Endpunkten keine Assoziation mit der Einnahme von Vitamin D oder Omega-3-Fettsäuren zeigte, fielen einige sekundäre Endpunkte und Subgruppenanalysen durch positive Effekte auf.
Verringert sich das Herzinfarktrisiko?
Beim Kongress berichtete Manson, dass „das Herzinfarktrisiko bei den Patienten, die Omega-3-Fettsäuren erhielten, um 28% reduziert war, wenn die ersten beiden Jahre Nachbeobachtung aus der Analyse ausgeschlossen wurden“. Auch bei Teilnehmern, die weniger als 1,5 Portionen Fisch pro Woche verzehrten, zeigte sich eine Risikoreduktion – um 19%. Wiesen Studienteilnehmer mehr als 2 kardiovaskuläre Risikofaktoren auf, sank das Risiko in Assoziation mit der Vitamin-D-Einnahme um 63%. Und Afro-Amerikaner hatten sogar ein um 77% geringeres Risiko.
„Die Studie liefert somit Evidenz dafür, dass die Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren das Herzinfarktrisiko verringern kann“, so Manson. „Da sich das Schlaganfallrisiko nicht verändert hat, wurde der primäre Endpunkt nicht erreicht, aber ich denke, es ist auch wichtig, sich die einzelnen Komponenten anzusehen.“
Sie ergänzte, dass es bei den Teilnehmern in der Vitamin-D-Gruppe außerdem „ein Signal für eine Reduktion der Krebsmortalität“ gegeben habe – um 25%, wenn die beiden ersten Jahre der Nachbeobachtung ausgeschlossen wurden.
Ausgangsversorgung berücksichtigen

Dr. Johannes Scholl
Der deutsche Präventionsmediziner Dr. Johannes Scholl, Rüdesheim am Rhein, spricht sich dafür aus, bei der Beurteilung der Studienergebnisse die Ausgangsversorgung der Studienteilnehmer nicht außer Acht zu lassen: „Wer regelmäßig und ausreichend Fisch isst, braucht keine Omega-3-Fettsäuren zusätzlich einzunehmen. Wer dagegen Fisch nicht ausstehen kann oder im Durchschnitt weniger als 1,5 Portionen pro Woche verzehrt und dies nicht ändern will oder kann, sollte über eine Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren nachdenken“, lautet seine Empfehlung.
Der fehlende Schutzeffekt von Vitamin D in der VITAL-Studie sei dagegen nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar, ergänzt Scholl, denn „aufgrund der landesweiten Rekrutierung der Studienteilnehmer auch aus den „Sonnenschein-Staaten“ der USA gab es in der Studienpopulation nur wenige Menschen mit einem relevanten Vitamin-D-Mangel.
Angesichts der hohen Rate von Vitamin-D-Mangel bei deutschen Patienten und der gesicherten Wirksamkeit zur Osteoporose-Prävention bei Frauen will der Facharzt für Innere Medizin seinen Patienten daher hier auch weiterhin raten, im Winterhalbjahr Vitamin D einzunehmen.
Keine wissenschaftliche Evidenz
Für Dr. Steven E. Nissen, Direktor des Department of Cardiovascular Medicine an der Cleveland Clinic, Cleveland, USA, sind die Ergebnisse von „Subanalysen von Subanalysen und sekundären Endpunkten“ allerdings erst einmal nur „hypothesen-generierend, aber keine wissenschaftliche Evidenz“, wie er im Gespräch mit Medscape betonte. Sie sollten „nicht zu Veränderungen von Empfehlungen oder der klinischen Praxis“ führen.
Die Studie habe eine Basis für weitere Forschungsarbeiten geschaffen, die sich zum Beispiel spezifisch mit dem Effekt von Fischöl-Kapseln bei schwarzen Menschen beschäftigen könnten, ergänzt er.
Höhere Dosis erforderlich?
Nissen weist außerdem darauf hin, dass die VITAL-Studie eine niedrige Dosis Omega-3-Fettsäuren untersucht habe – wie auch schon andere, negativ ausgefallene Studien vor ihr. Dass die Dosis der Knackpunkt sein könnte, darauf weist die ebenfalls beim Kongress in Chicago vorgestellte IMPROVE-IT-Studie hin (wir berichteten), in der reine Eicosapentaensäure (EPA) in einer Dosierung von 4 g täglich bei Teilnehmern mit erhöhten Triglyzeriden überprüft worden war.
In einem begleitenden Editorial schreiben Dr. John F. Keaney Jr, University of Massachusetts Medical School, Worcester, und Dr. Clifford J. Rosen, Maine Medical Center Research Institute, Scarborough, beide USA, dass die Studienergebnisse gerade zur rechten Zeit kämen, da es „an Studiendaten zum Effekt einer Omega-3-Supplementierung zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung mangelt“.
„Aufregende sekundäre Endpunkte“ nicht überbewerten
Diese Wissenslücke habe VITAL nun geschlossen. Außerdem liefere die Studie, „mit genügend Power um eine um 15% niedrigere Krebsinzidenz zu detektieren und 10-mal mehr Teilnehmern als in anderen Studien, nun auch eine definitive Antwort“, was die Frage nach der Krebsprotektion angehe.
Die primären Endpunkte seien zwar nicht erreicht worden, „aber andere Aspekte der Studie sind erwähnenswert“. Keaney und Rosen beziehen sich dabei zum Beispiel auf die Tatsache, dass die Supplementierung über eine große Spanne von Vitamin-D-Ausgangswerten keinen Nutzen zeigte.
„Die sekundären Endpunkte werden noch viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen“, schreiben die beiden Mediziner, warnen aber – ebenso wie Nissen – davor, diese Ergebnisse als Evidenz anzusehen. „Die medizinische Literatur ist voller aufregender sekundärer Endpunkte, die in darauffolgenden ausreichend gepowerten, randomisiert-kontrollierten Studien als primäre Endpunkte gescheitert sind.“
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: VITAL mit Vitamin D und Omega-3? An primären Endpunkten gescheitert, aber Hinweise, dass es einigen doch nutzen könnte … - Medscape - 13. Nov 2018.
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