REDUCE-IT Studie: Beginnt mit hochdosiertem EPA „eine neue Ära“ in der kardiovaskulären Prävention?

Sonja Böhm / Sue Hughes

Interessenkonflikte

12. November 2018

Chicago/USA – Jetzt ist es sozusagen amtlich. Die REDUCE-IT-Studie hatte schon Ende September für Schlagzeilen gesorgt. Damals hatte die US-Firma Amarin Corporation bekannt gegeben, dass es in der Studie erstmals gelungen sei, mit einem hoch-gereinigten und hoch dosierten Derivat einer Omega-3-Fettsäure (Ethyl-Eicosapentaensäure, EPA; Vascepa®) bei Hochrisiko-Patienten das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis signifikant um 25% zu senken (wir berichteten). Dies in einer Population, die bereits unter einer Statin-Therapie stand (LDL zwischen 41 und 100 mg/dl), aber noch erhöhte Triglyzerid-Werte über 135 mg/dl aufwies.

Nun sind die Studienergebnisse beim Kongress der American Heart Association (AHA) in Chicago, Illinois, im Detail präsentiert und zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden [1,2]. Und die Kardiologen vor Ort zeigten sich mehr als begeistert.

Zufallsergebnis ausgeschlossen

„Die 25-prozentige Reduktion im primären Endpunkt ist per se schon sehr beeindruckend, aber nun präsentieren wir in den detaillierten Resultaten ebenso große und konsistente Reduktionen in zahlreichen weiteren Endpunkten, die zudem extrem statistisch signifikant und robust sind“, betonte Erstautor Prof. Dr.  Deepak L. Bhatt, MD, Brigham and Women's Hospital, Boston, Massachusetts, USA, gegenüber theheart.org / Medscape Cardiology.

Der primäre p-Wert betrage 0,00000001 – und habe damit 7 Nullen, sagte er. Der wichtigste sekundäre Endpunkt aus harten klinischen Ereignissen, nämlich Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär bedingtem Tod, habe einen p-Wert von 0,0000001 – also immer noch 6 Nullen hinter dem Komma. „Ein solches Ausmaß statistischer Signifikanz habe ich in all meinen Jahren, in denen ich klinische Studien mache, noch nie gesehen – da kann niemand mehr von einem zufälligen Ergebnis sprechen“, ergänzte er.    

„Das sind großartige Ergebnisse für die Patienten und sie sollten definitiv zu einer Änderung der klinischen Praxis führen“, so Bhatt weiter. „Es ist der Beginn einer neuen Ära, wir betreten damit eine vollkommen neue Zukunft der Prävention. Dies ist so aufregend, es fühlt sich an wie damals bei den ersten Statin-Studien – als wir erstmal ausgeprägte Effekte über zahlreiche Endpunkte und Subgruppen von Patienten gesehen haben.“  

 
Ein solches Ausmaß statistischer Signifikanz habe ich in all meinen Jahren, in denen ich klinische Studien mache, noch nie gesehen. Prof. Dr. Deepak L. Bhatt
 

Doch nicht nur der Erstautor selbst, auch andere Kollegen zeigten sich beeindruckt. So der Diskutant der Studie bei der offiziellen Präsentation während der „Late-breaking Clinical Trials“-Sitzung in Chicago, Dr. Carl Orringer, Universität von Miami, USA: „Dies ist eine bahnbrechende Studie“, kommentierte der ehemalige Präsident der US-amerikanischen Lipid-Association. „Diese Resultate müssen uns zu denken geben.“

„Die Ergebnisse sind bemerkenswert positiv, mit einer absoluten Reduktion der Zahl schwerer kardiovaskulärer Ereignisse von 4,4 Prozent und damit einer Number Needed to Treat (NNT) um ein Ereignis zu verhindern von nur 21. Und selbst wenn wir nur die härtesten Endpunkte nehmen, kardiovaskulär bedingter Tod, Schlaganfall und Herzinfarkt, beträgt die absolute Risikoreduktion immer noch 3,6 Prozent und die NNT 28,“ so Orringer weiter. „Wir sind gewohnt, die Höhe des LDL als Messlatte für das kardiovaskuläre Risiko zu sehen, aber nun haben wir einen aufregenden neuen Ansatz, um das Risiko von Patienten mit Herzerkrankungen oder Diabetes und hohen Triglyzerid-Werten zu senken.“

 
Das sind großartige Ergebnisse für die Patienten und sie sollten definitiv zu einer Änderung der klinischen Praxis führen. Prof. Dr. Deepak L. Bhatt
 

Alles nur eine Frage der Dosis?

Auch die britische Prof. Dr. Jane Armitage, Universität Oxford, die zur Studienleitung der erst kürzlich beim europäischen Kardiologenkongress vorgestellten ASCEND-Studie gehörte, in der eine Fischöl-Präparation bei Diabetes-Patienten in der Primärprävention keinen Nutzen zeigen konnte (wir berichteten), bezeichnete die REDUCE-IT-Ergebnisse als „interessant und extrem ermutigend“. Es habe sich bei den Patienten mit erhöhten Triglyzeriden ein „eindeutiger Nutzen“ gezeigt. „Wir wissen seit Jahren, dass wir mit hoch dosierten Fischöl-Präparaten die Triglyzeride senken können, aber dies ist die erste Studie, die auch einen klaren klinischen Nutzen belegt – und das ist bedeutsam.“

 
Selbst wenn wir nur die härtesten Endpunkte nehmen, kardiovaskulär bedingter Tod, Schlaganfall und Herzinfarkt, beträgt die absolute Risikoreduktion immer noch 3,6 Prozent und die NNT 28. Dr. Carl Orringer
 

In vielen früheren Studien – auch in ASCEND – hatten die Patienten nur 1 g Fischöl pro Tag erhalten – und damit lasse sich nur ein unerheblicher Effekt auf die Triglyzeride erzielen, so Armitage weiter. „Es scheint, dass hohe Dosierungen des Fischöls nötig sind um – zumindest in dieser Population von Menschen mit hohen Triglyzeriden – einen Benefit zu erzielen.“ Unklar bleibe, wie es sich mit den 2 Dritteln von Hochrisiko-Patienten verhalte, die keine erhöhten Triglyzeride haben. „Aber unsere Erfahrungen aus den Studien mit Fibraten lassen darauf schließen, dass es sich um eine Therapie handelt, die speziell diejenigen mit erhöhten Triglyzeriden ins Visier nehmen muss“, so Armitage weiter.    

An der Placebo-Auswahl entzündet sich Kritik

In der Doppelblind-Studie REDUCE-IT hatten randomisiert die Hälfte der insgesamt 8.179 Patienten 2-mal täglich 2 g (also insgesamt 4 g täglich) des EPA-Präparats eingenommen. Die Placebo-Gruppe erhielt dagegen Mineralöl-Kapseln. An der Auswahl des Placebos entzündete sich dann auch einige Kritik. Denn das Mineralöl könne die Statin-Resorption (alle Teilnehmer waren Statin-behandelt) behindern, hieß es. Außerdem könne es eventuell pro-inflammatorische Wirkungen haben.

Tatsächlich hatten die Teilnehmer der Placebo-Gruppe höhere LDL- und hsCRP-Werte als die EPA-Gruppe. Doch sei dieser Unterschied viel zu gering gewesen, um die ausgeprägten statistisch eindeutigen Unterschiede in den primären und sekundären Endpunkten zu erklären, antwortete Bhatt auf diese Einwände.

 
Wir wissen seit Jahren, dass wir mit hoch dosierten Fischöl-Präparaten die Triglyzeride senken können, aber dies ist die erste Studie, die auch einen klaren klinischen Nutzen belegt. Prof. Dr. Jane Armitage
 

Die Teilnehmer der Studie waren kardiovaskuläre Risiko-Patienten, 70% hatten eine diagnostizierte kardiovaskuläre Erkrankung, gehörten also zur Sekundärpräventions-Klientel, die übrigen 30% hatten zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren wie einen Diabetes. Ihr LDL lag unter Statin-Therapie zwischen 41 und 100 mg/dl, ihre Triglyzeride lagen bei 135 bis 499 mg/dl. Die mediane Beobachtungszeit betrug 4,9 Jahre.

Die Hauptergebnisse:

Endpunkt

EPA (%)

Absolute Ereignisrate

Placebo (%)

Absolute Ereignisrate

Hazard Ratio (95%-Konfidenz Intervall)

p-Wert

primärer Endpunkt: KV Tod, MI, Schlaganfall, koronare Revaskularisierung oder instabile Angina pectoris

17,2

22,0

0,75 (0,68–0,83)

< 0,00000001

Hauptsächlicher sekundärer Endpunkt: KV Tod, MI oder Schalganfall

11,2

14,8

0.74 (0,65–0,83)

< 0,0000001

KV Tod

4,3

5,2

0,80 (0,66–0,98)

0,03

 

In der Publikation im NEJM heißt es, dass alle einzelnen und zusammengesetzten ischämischen Endpunkte in der EPA-Gruppe signifikant seltener waren. Dies gelte auch für den plötzlichen Herztod und Herzstillstand (1,5 vs 2,1% bzw. 0,5 vs 1,0%; Hazar Ratio: 0,69 bzw. 0,52). Nur bei der Gesamtmortalität verfehlte der Unterschied knapp die statistische Signifikanz (absolute Raten 6,7% vs 7,6%; HR: 0,87; 95%-Konfidenzintervall: 0,74–1,02).

Die Nebenwirkungen: Mehr Vorhofflimmern und mehr Blutungen

Was die Nebenwirkungen angeht, zeigte sich in der EPA-Gruppe eine leicht erhöhte Rate an Klinikeinweisungen wegen Vorhofflimmern (3,2 vs 2,1%, p = 0,004) und es traten mehr schwere Blutungen auf (2,7% vs 2,1%, p = 0,06). Studienkommentator Orringer bezeichnete die Sicherheitsdaten als ebenfalls „vielversprechend“. „Den leichten Anstieg beim Vorhofflimmern müssen wir beachten. Aber ich denke, das ist ein akzeptables Risiko, wenn man auf der anderen Seite den großen Nutzen der Therapie betrachtet.“

Die große Diskussion beim AHA-Kongress war natürlich die über die möglichen Mechanismen. Das EPA-Präparat war für die Studie ausgewählt worden wegen seiner Triglyzerid-senkenden Eigenschaften – und auch die Studienpopulation war entsprechend ausgewählt. Vascepa® ist in den USA für die Triglyzerid-Senkung (ab Werten von 500 mg/dl) bereits zugelassen – aber bislang eher ein Nischenprodukt (181 Millionen US-Dollar Jahresumsatz).

Was kann EPA noch, außer Triglyzeride senken?

Doch nach Ansicht von Erstautor Bhatt erklärt die Triglyzerid-Senkung in der Studie nicht die ausgeprägte Risikoreduktion, die erreicht wurde. Insgesamt unterschieden sich die Triglyzeride in den Behandlungsgruppen um rund 20% (18,3% Abnahme mit dem EPA-Präparate, 2,2% Anstieg unter Placebo). Nach epidemiologischen Daten lasse sich durch eine solche Senkung eine Risikoreduktion um 6 bis 7% erwarten, erläuterte Bhatt. „Aber nicht die 25 Prozent, die wir in der Studie gesehen haben.“

Die Teilnehmer hatten einen mittleren Ausgangswert bei den Triglyzeriden von 216 mg/dl. „Das ist nicht gerade super-hoch“, so Bhatt weiter. Er wandte aber auch ein, es könne sich ähnlich verhalten wie beim LDL-Cholesterin. „Was wir heute als normal betrachten, ist vielleicht immer noch viel zu hoch.“

Trotzdem zeigte er sich überzeugt: „Das EPA muss noch über andere Mechanismen wirken.“ Eine Hypothese: Es könnte Zellmembranen stabilisieren und so ließe sich vielleicht das verminderte Risiko für den plötzlichen Herztod und Herzstillstand erklären. Der Effekt auf Herzinfarkte und kardiovaskulär bedingte Todesfälle sei bei einer Triglyzerid-Senkung nicht so überraschend, so der Wissenschaftler weiter. Dass aber auch Schlaganfälle und Revaskularisierungen so vermindert wurden, sei nicht unbedingt erwartet worden.

Zusätzliche anti-thrombotische und anti-entzündliche Effekte?

Auch Kommentator Orringer hielt es für unwahrscheinlich, dass die präventive Wirkung des EPA-Präparates allein auf die Triglyzerid-Senkung zurückzuführen sei. Er erinnerte an die Fibrat-Studien, in denen es nicht gelungen war einen signifikanten Nutzen der Triglyzerid-Senkung insgesamt zu belegen – lediglich in Subgruppen mit deutlich erhöhten Triglyzeriden hätten sich Hinweise auf einen Benefit gezeigt.

Er verwies auf das leicht erhöhte Blutungsrisiko unter dem EPA-Präparat: „Vielleicht hat es ja zusätzliche anti-thrombotische Effekte – und dann ging ja auch das CRP etwas zurück, was ein Hinweis auf anti-entzündliche Wirkungen sein könnte.“ Und auch er sieht in der Reduktion der Fälle an plötzlichen Herztodesfällen einen Fingerzeig auf membran-stabilisierende Effekte.

Hauptkritikpunkt der Studie scheint tatsächlich die Auswahl eines Mineralöl-Präparates als Placebo zu sein. Auch Dr. Steve Nissen, Cleveland Klinik, Ohio, USA, legte im Gespräch mit Medscape den Finger auf diese Wunde: „Die Ergebnisse von REDUCE-IT sind beeindruckend“, sagte er. „Aber es gibt einige Vorbehalte.“ Auch er verweist auf eine mögliche Störung der Statin-Resorption durch das Mineralöl-Präparat und auf mögliche pro-inflammatorische Effekte. Immerhin stieg der hsCRP-Spiegel in der Placebo-Gruppe um 40% an. „Es gibt nicht viele Studien, in denen wir einen so großen Effekt einer Intervention auf das kardiovaskuläre Risiko gesehen haben“, sagte Nissen. „Wir müssen auch sicherstellen, dass die Ergebnisse real sind – und uns um Erklärungen bemühen, wie dieser Benefit zustande kommt.“

Nissen selbst ist Leiter einer noch laufenden Studie (STRENGHTH), mit nahezu identischem Design, in der die Effekte einer hoch dosierten (4 g/Tag) Fischöl-Präparation mit einer Kombination von EPA und Docosahexaensäure (DHA) bei kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten unter Statintherpie und mit hohen Triglyzeriden getestet wird. Hier ist das Placebo allerdings ein Maiskeimöl.

 
Wir müssen auch sicherstellen, dass die Ergebnisse real sind – und uns um Erklärungen bemühen, wie dieser Benefit zustande kommt. Dr. Steve Nissen
 

Das Unternehmen Amarin hat angekündigt, auf Basis der REDUCE-IT-Daten die Zulassung von Vascepa® für die neue Indikation bei der FDA Anfang des kommenden Jahres zu beantragen. Sobald die Zulassung da sei, werde er damit beginnen, seine Patienten, die den REDUCE-IT-Kriterien entsprechen, auch damit zu behandeln, kündigte Orringer an.

 

Kommentar

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