Bariatrische OP bei Typ-2-Diabetes: Lässt sich mit dem Skalpell auch Schlaganfall- und kardiovaskuläres Risiko senken?       

Kurt-Martin Mayer

Interessenkonflikte

9. November 2018

Patienten mit starkem Übergewicht (BMI ab 35) und Typ-2-Diabetes können offenbar von chirurgischen Eingriffen zur Verkleinerung des Magenvolumens nicht nur hinsichtlich der Gewichtsreduktion profitieren. Eine große, retrospektive Langzeitstudie in den USA ergab 5 Jahre nach bariatrischer OP auch eine um 40% geringere Rate von Herzinfarkten und Schlaganfällenund und eine um 67% geringere Mortalität im Vergleich zur „Standardtherapie“ [1].

Prof. Dr. Stephan Martin

Doch genau an der Qualität dieser „Standardbehandlung“ entzünden sich die Zweifel an der Aussagekraft der Arbeit. Die medikamentöse Therapie sei so mangelhaft gewesen, dass die Überlegenheit der bariatrischen Chirurgie in diesem Studiendesign nicht überraschend komme, meint Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf und Medscape-Diabetes-Blogger. Martin kritisiert die viel zu häufige Gabe von Insulin in der Kontrollgruppe, die eher noch zu einer Gewichtszunahme beitrage. Dieser Missstand sei, so Martin, in Deutschland sogar noch ausgeprägter als in den USA.

 
Bei den meisten Menschen mit Diabetes und starkem Übergewicht können Lebensstiländerungen und Medikamente nicht so erfolgreich die kardiovaskulären Risiken reduzieren. Dr. David Arterburn
 

3 Viertel der Studienteilnehmer Frauen

Unter der Leitung des Internisten Dr. David Arterburn verglichen Autoren mehrerer Kliniken des Non-Profit-Krankenversicherers Kaiser Permanente retrospektiv die Daten von 20.235 Patienten in den Vereinigten Staaten.

5.301 hatten sich einer bariatrischen Operation unterzogen (mehrheitlich Roux-en-Y-Magenband sowie Magenschlauchbildung und verstellbares Magenband). 14.934 bildeten die Kontrollgruppe, die die übliche Behandlung mit Medikamenten und Lebensstil-Interventionen erhielt.

Das Durchschnittsalter lag bei 50 Jahren. Geschlechtsverteilung (zu 3 Viertel weiblich) und mittlerer BMI (44,7 in der operierten, 43,8 in der nicht operierten Gruppe) unterschieden sich kaum.

Nach 5 Jahren hatten 2,1% der operierten Studienteilnehmer ein makrovaskuläres Ereignis erlebt (akuter Myokardinfarkt, instabile Angina Pectoris, PTCA oder Bypass-Operation), 4,3% waren es in der Kontrollgruppe. Unter den Operierten erhielten nur 1,6% neu die Diagnose koronare Herzkrankheit, unter den nicht Operierten aber 2,8%. Der Unterschied bei den Schlaganfällen und TIAs (0,7 versus 1,7%) erreichte keine statistische Signifikanz.

Kernfaktor Gewichtsreduzierung

„Bei den meisten Menschen mit Diabetes und starkem Übergewicht können Lebensstiländerungen und Medikamente nicht so erfolgreich die kardiovaskulären Risiken reduzieren“, wird Seniorautor Arterburn in einer Pressemitteilung des Forschungsinstituts von Kaiser Permanente zitiert. Die Studienergebnisse legen laut Arterburn nahe, dass bariatrische Eingriffe Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern und auch das Mortalitätsrisiko allgemein senken können.

 
Essen ist bei diesen Menschen eben häufig ein Suchtverhalten. Prof. Dr. Stephan Martin
 

Ob dies so richtig ist, bezweifelt allerdings der Düsseldorfer Diabetesexperte Martin. Die Kaiser Permanente-Studie beweise lediglich einmal mehr, dass Körpergewicht und Diabetes zusammenhingen. Bemühungen zur Gewichtsabnahme würden bei diesen Patienten aber oft durch die antidiabetische medikamentöse Therapie, insbesondere die Gabe von Insulin, zunichte gemacht. Behandlungen, in denen versucht werde, Patienten mit Diät und begleitenden Fitnessprogrammen zu helfen, seien dagegen noch viel zu selten und würden jedenfalls im deutschen Gesundheitswesen zu schlecht vergütet.

Die Wirksamkeit derartiger Interventionen belegt nach Martins Ansicht z.B. die Look AHEAD-Studie (Bekanntlich verglich die Studie 2 Behandlungsgruppen bei insgesamt 5.145 übergewichtigen und adipösen Diabetikern: einmal eine intensive Lebensstil-Intervention und eine Gruppe mit bloßer Beratung in Gesundheitsfragen. In einer neuen Analyse der Studiendaten habe sich ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Gewichtsabnahme durch die Intervention und dem kardiovaskulären Risiko der Typ-2-Diabetiker gezeigt, erläutert Martin.

Er sieht auch aus anderen Gründen nur limitierte Indikationen für die bariatrische Chirurgie. Auf mittlere und lange Sicht fehlten die Kapazitäten, jeden Patienten mit einem hohen BMI – also ab etwa 35 kg/m² – zu operieren. Auch zögen derartige Eingriffe vielfältige Komplikationen nach sich, so sei z.B. die ausreichende Versorgung mit Vitaminen und Nährstoffen aufgrund der drastisch verringerten Kapazität des Magens gefährdet, manche Patienten litten auch unter schweren psychischen Problemen nach dem Eingriff.

„Essen ist bei diesen Menschen eben häufig ein Suchtverhalten“, erläutert Martin gegenüber Medscape. Er verweist auch auf Daten, nach denen Menschen nach einer Magenverkleinerung eine vermehrte Neigung zu Alkoholismus und Suiziden entwickeln.

Kritik an „limitiertem“ Zugang zur bariatrischen Chirurgie

In einem JAMA-Editorial zu der neuen Studie schreiben Dr. Adam C. Sheka, Dr. Keith M. Wirth und Dr. Sayeed Ikramuddin, allesamt Chirurgen von der Unversity of Minnesota, USA, sie zeige, dass auch bei guter Kontrolle des Diabetes das makrovaskuläre Risiko der Patienten hoch bleibe. Die bariatrische Chirurgie könne hier womöglich hilfreich sein. Dessen ungeachtet sei der Zugang zu bariatrischen Operationen vielerorts sowohl für Privatversicherte als auch für Medicaid-Patienten „limitiert“.

 
In Anbetracht des Ausmaßes der Adipositas-Epidemie stellt insbesondere eine adäquate Nachsorge ein sozioökonomisches Problem dar. Prof. Dr. Goran Marjanovic
 

In Deutschland belaufe sich die Zahl der bariatrischen Operationen auf mittlerweile 15.000 pro Jahr, schreibt Prof. Dr. Goran Marjanovic, Leiter des Zentrums für Metabolische und Adipositaschirurgie an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Freiburg, in einer aktuellen Pressemitteilung des Universitätsklinikums.

In einem Beitrag in der Zeitschrift Der Chirurg werfen Marjanovic und Kollegen das Problem auf, dass fast jeder Operierte „lebenslange“ Nachsorge an einem Adipositas-Zentrum benötige. Die Zentren müssten sich mit der exponentiell steigenden Nachsorgefrequenz „auseinandersetzen“, bemerken sie und appellieren: „In Anbetracht des Ausmaßes der Adipositas-Epidemie stellt insbesondere eine adäquate Nachsorge ein sozioökonomisches Problem dar, welches nur im interdisziplinären Setting unter struktureller Integration in das komplexe Gesundheitssystem gelöst werden kann.“ Dieser „Schneeballeffekt“ belaste die Adipositaszentren.

 

Kommentar

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