Die ambulante Medizin verändert sich – von der Praxis zum Gesundheitsunternehmen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

7. November 2018

Hamburg – Am Schluss der Diskussion über die Dynamik in der ambulanten Medizin wurden die Teilnehmer beim Gesundheitswirtschaftskongress doch recht deutlich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe mit seinem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) die „Axt an die Wurzel der Medizinischen Versorgungszentren gelegt“, hieß es auf der Veranstaltung „Dynamik in der ambulanten Medizin: Von der Einzelpraxis zum Gesundheitsunternehmen“ [1]. Ein Teilnehmer sprach gar davon, das TSVG sei ein „Killer“, der die ursprüngliche MVZ-Idee sabotiere.

Stein des Anstoßes ist die Absicht des Gesetzgebers, „den Einfluss von Kapital-Investoren ohne medizinisch-fachlichen Bezug zur vertragsärztlichen Versorgung auf die Versorgungsstrukturen zu begrenzen“, wie es im Referentenentwurf heißt. Deshalb dürfen künftig fast keine nicht-ärztlichen Investoren mehr ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gründen.

Junge Ärzte haben keine Lust mehr, Unternehmer zu werden

Angesichts der Veränderungen im ambulanten Bereich sei die Regelung im TSVG Gift für die Entwicklung, so die Teilnehmer auf dem Podium. Denn die ambulante Versorgung wandele sich. „Die Einzelpraxis gibt es bald nicht mehr“, prognostizierte der Hautarzt Prof. Dr. Volker Steinkraus. Er ist Gründer und Leiter des Dermakologikums in Hamburg.

 
Die Einzelpraxis gibt es bald nicht mehr. Prof. Dr. Volker Steinkraus
 

Steinkraus stellte fest, dass sich seine jungen Ärzte unternehmerisch nicht mehr einlassen wollen auf das Abenteuer Selbstständigkeit. „Ihr Privatleben zieht die jungen Leute aus dem Unternehmen, viele arbeiten nur halbtags.“ Mit diesem Nachwuchs werde man in Zukunft anstelle von Einzelpraxen mehr Zusammenschlüsse von 6 bis 8 angestellten Ärzten sehen.

Augenarzt Dr. Dirk Knüppel, Geschäftsführer der Artemis Augenkliniken und medizinischen Versorgungszentren sagte gar: „Junge Ärzte kommen mit ihren Praxen inzwischen auf uns zu und bitten: ‚kauft uns‘.“

Und in Mecklenburg-Vorpommern versuche die Landesregierung die Versorgung in dünn besiedelten Landstrichen verstärkt über MVZ zu organisieren, weil die Einzelpraxen fehlen, berichtete Thomas Rupp, Geschäftsführer der Helios-Kliniken, Schwerin. „Aber selbst dafür finden sie oft keine Ärzte.“ Er berichtete, dass sogar ältere Ärzte ihn ansprechen und nur noch 60% arbeiten wollen.

 
Es müssen nicht unbedingt Ärzte sein, die ein MVZ gründen und organisieren. Prof. Dr. Volker Steinkraus
 

Trennung der Aufgaben in einem MVZ

Unterdessen suchen Investoren nach Alternativen. So stellen sich Unternehmer wie Steinkraus vor, ärztliche und geschäftliche Dinge in einem MVZ personell zu trennen. „Es müssen nicht unbedingt Ärzte sein, die ein MVZ gründen und organisieren“, sagte Steinkraus. Dazu entwickele sich die Medizin viel zu schnell, als dass Ärzte beides könnten – Geschäfte führen und Patienten versorgen.

Eine Trennung der Aufgaben wäre aber nur möglich gewesen, wenn das jüngste Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht durchgekommen wäre. Dann hätten Investoren mit ihrem Geld ein MVZ gründen können, und die Ärzte darin hätten sich um die medizinischen Dinge kümmern können, hieß es. Das TSVG soll voraussichtlich am 21. oder 22. Februar abschließend im Bundestag beraten und beschlossen werden und im Frühjahr 2019 in Kraft treten (wie Medscape berichtete).

So wird das Gesetz wohl Steinkraus Vorstellungen aushebeln. Der Gesetzgeber wolle eben keine Finanzinvestoren in der Medizin, sagt Rupp, „und die Gewinne aus einem MVZ sollen dem medizinischen Bereich nicht verloren gehen“.

 
Vielleicht brauchen ambulante Patienten gar nicht immer den gleichen Arzt. Thomas Rupp
 

Zugleich müsse aber die sich wandelnde Welt der ambulanten Versorgung auch die Patienten mitnehmen, denn auch für sie sei die Versorgung und der Arzt-Patientenkontakt im Zweifel nicht mehr der alte. Durch die flexibleren Arbeitszeiten der Ärzte in einem MVZ haben es die Patienten zum Beispiel bei mehrfachen Arztbesuchen öfter mit immer neuen Ärzten zu tun.

„Vielleicht brauchen ambulante Patienten gar nicht immer den gleichen Arzt“, mutmaßte Rupp. „Vielleicht brauchen sie aber immer den gleichen Ansprechpartner.“ So bleibe der Patient mit seinen Fragen nicht allein und könnte von einem verlässlichen Gegenüber durch die Versorgung verschiedener Ärzte in einem MVZ geführt werden.

Gestaffelter Service für Patienten?

Dr. Barbara Hogan vom Medizinischen Versorgungszentrum an der Elbe in Geesthacht bei Hamburg ging noch weiter: „Wenn die Patienten wissen, dass sie alles zu seiner Zeit erhalten, dann akzeptieren sie auch verschiedene Ärzte.“

 
Die Strukturen der Versorgung müssen sich nach dem richten, was die Patienten brauchen. Dr. Barbara Hogan
 

Voraussetzung sei allerdings, den Service in einem MVZ deutlich weiter auszubauen als bisher. „Die Strukturen der Versorgung müssen sich nach dem richten, was die Patienten brauchen“, sagte Hogan, „und wir müssen sie dann für die Patienten erfinden.“ Wenn etwa eine Patientin nach der Voruntersuchung einen Ansprechpartner erhalte, müsse dieser für sie die nächsten Termine organisieren und die anstehenden Schritte begleiten.

„Das muss man sich vorstellen, wie bei der Wohnungsvermittlung Airbnb“, sagte Hogan. „Der Patient sagt, was er will und eine feste Stelle organisiert das Gewünschte.“ Dass dies ein hoher Anspruch an die Versorgung in einem MVZ ist, weiß auch Hogan: „Bei uns funktioniert das leider auch noch nicht.“

Hogans Vorstellungen trafen auf dem Podium auf wenig Gegenliebe. Rupp brachte stattdessen gestaffelte Beitragssätze und damit auch den gestaffelten Service für die Patienten ins Spiel. „Gold, Silber und Bronze“, sagte Rupp. „Wer den goldenen Beitragssatz bezahlt, bekommt seine Termine sofort. Wer den bronzenen zahlt, muss 6 Wochen warten.“ Niemand auf dem Podium widersprach.

 

Kommentar

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