Druck, Stress, Zeitmangel. Der Marburger Bund sagt: Die Arbeit macht Ärzte krank

Christian Beneker

Interessenkonflikte

6. November 2018

Köln – Die Industrialisierung der Medizin gefährdet das Wohlergehen von Ärzten und Patienten. Der Marburger Bund (MB), Landesverband Nordrhein-Westfalen/Rheinland Pfalz, warnte auf seiner letzten Hauptversammlung in Köln: Die Industrialisierung der Medizin mache die Ärzte krank und verschlechtere so die Patientenversorgung.

Die produktivitätsorientierte Vergütung des DRG-Systems zum Beispiel raube den Ärzten die Zeit für die Patienten und die ärztlichen Kernleistungen, hieß es. In 3 Beschlüssen forderten die 170 Delegierten Bund und Länder dazu auf, in ihren gesundheitspolitischen Entscheidungen das „Primat einer unabhängigen ärztlichen Entscheidung in den Vordergrund stellen“.

Der Landesverband bezieht sich in seiner Kritik auf die Charta „Charter on Physician Well-being“ von Dr. Larissa R. Thomas und ihren Kollegen von der Universität Kalifornien in San Francisco, USA. Nur seelisch gesunde Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten könnten ihren Patienten am besten dienen, heißt es in der Schrift. Eine sinnhafte Arbeit, gute Beziehungen zu den Patienten, positive Teamstrukturen und soziale Bindungen am Arbeitsplatz seien wichtige Faktoren für das Wohlbefinden der Ärzte und ihrer Patienten.

Auch das Wohlergehen der Ärzte muss Ziel der Medizin sein

All das sei aber derzeit in deutschen Krankenhäusern Mangelware, sind die Delegierten des MB überzeugt. Deshalb seien Probleme wie Unzufriedenheit, Burnout-Symptome, „relativ hohe Depressionsraten“ und ein erhöhtes Selbstmordrisiko unter den Ärzten weit verbreitet, hieß es. „Diese Probleme sind mit suboptimaler Patientenversorgung, geringerer Patientenzufriedenheit, vermindertem Zugang zur Versorgung und erhöhten Gesundheitskosten verbunden“, so die Charta.

Mehr noch: Ärzte mit Stress und Burnout kosten auch mehr Geld. Die Autoren der Charta schätzen, dass ein Drittel des von einem Arzt generierten Umsatzes durch Burnout wieder zunichtegemacht werden kann. Kurz: Geht es den Ärzten schlecht, leide auch die Qualität ihrer Arbeit. Um des Wohlergehens der Patienten willen sollte das Wohlergehen der Ärztinnen und Ärzte neben allen anderen ebenfalls zum Ziel ärztlicher Arbeit erhoben werden, meinen die Autoren.

Diese letzte Forderung der Charta, die eigentlich deren Kern ist, macht sich der Marburger Bund allerdings nicht explizit zu eigen. Stattdessen fordert er, dass „die Entscheidungsträger im Bund und den Ländern zukünftig bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen im Gesundheitswesen das Primat einer unabhängigen ärztlichen Entscheidung in den Vordergrund stellen.“

Aber eben das geschehe nicht. „Insbesondere die nun geplante qualitätsorientierte Krankenhausplanung darf nicht zur weiteren Überlastung führen“, heißt es in dem 1. Beschluss des Gremiums. Das Krankenhaus-Strukturgesetz aus dem Jahr 2016 legt eine qualitätsorientierte Bedarfsplanung für Krankenhäuser fest. Derzeit entwickelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entsprechen Qualitätsindikatoren.

 
Insbesondere die nun geplante qualitätsorientierte Krankenhausplanung darf nicht zur weiteren Überlastung führen. Marburger Bund
 

Aber nicht nur die steigenden Anforderungen an die Arbeit machen den MB-Delegierten Sorgen, sondern auch der Druck, den Sparzwang und Profitwille auf die Versorgung ausüben. „Durch immer mehr ökonomische Vorgaben werden ärztliche Entscheidungen in Diagnostik und Therapie immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Die unverzichtbare Zeit für Patienten, die nötige Zeit für eine Zuwendungsmedizin geht verloren“, heißt es in dem Beschluss.

„Es ist auch nicht akzeptabel, dass Klinikärzte täglich aufgefordert werden, Bettenbelegung unter ökonomischen Gesichtspunkten zu steuern.“ Stattdessen müsse ein Vergütungssystem her, dass die tatsächlichen Ausgaben der Versorgung decke und die Qualität sichere, hieß es.

„Unsere Gesellschaft und die Arbeitgeber, aber auch wir Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, der durch die fortschreitende Ökonomie bedingten Überlastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen aktiv entgegen zu wirken und mehr Zeit am Patienten einzufordern“, betonen die Delegierten.

Sie riefen aber auch die Ärzte dazu auf, dem wirtschaftlichen Druck am Arbeitsplatz entgegenzutreten und „der eigenen Gesundheit aber auch der sämtlicher Mitarbeiter eine höhere Priorität einzuräumen“.

Das Selbstbild ändern

Allerdings sind es nicht nur die Umstände, sondern auch die Ärzte selbst, die der Arzt-Gesundheit schaden. Das sagt der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Ahmad Bransi, Chefarzt der Oberbergklinik in Extertal-Laßbruch in Niedersachsen. Hier werden viele Ärzte behandelt, die seelisch aus dem Gleis geraten sind.

„Natürlich leiden sie unter den steigenden Patientenzahlen, unter den Kürzungen und der vielen Arbeit“, sagt Bransi. Aber die widrigen Arbeitsumstände treffen bei Ärzten auch auf bereitwillige Opfer. „Ärzte haben eine hohe Erwartung an sich selbst und meinen immer, helfen zu müssen“, sagt Bransi. „Das ist schon in ihrem Studium so.“

 
Ärzte haben eine hohe Erwartung an sich selbst und meinen immer, helfen zu müssen. Dr. Ahmad Bransi
 

Viele Ärzte erledigten 5 oder 6 Tätigkeiten nebeneinander und gleichzeitig. Das Ergebnis: „Ärzte sind weitaus öfter seelisch krank als der Durchschnitt der Bevölkerung, leiden oft an Suchterkrankungen, und ihre Suizidrate ist dreimal so hoch wie der Durchschnitt der Bevölkerung, zählt Bransi auf.

Die gute Nachricht: Laut Bransi ist es auch für Ärzte immer möglich, die eine oder andere Aufgaben abzugeben. Und auch Ärzte könnten etwas für ihre Gesundheit und ihr seelisches Gleichgewicht tun. „Wir erleben immer wieder, wie Ärzte im Laufe der Therapie beginnen, auf sich zu achten, ihre Freizeit mit Familie und Freunden zu gestalten und dadurch eine höhere Resilienz zu entwickeln“, sagt Bransi.

Vermutlich ist es das, was die „Charter on Physician Well-being“ meint, wenn sie fordert, auch das ärztliche Wohlergehen zum Ziel der Medizin zu erheben.

 

Kommentar

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