Die Immuntherapie in der Onkologie boomt. Bei mehr als 14 unterschiedlichen malignen Erkrankungen haben Checkpoint-Inhibitoren die Prognose deutlich verbessert. „Angesichts steigender Verschreibungsraten ist für Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen wichtig, auch über die Nebenwirkungen Bescheid zu wissen“, schreiben Dr. Douglas B. Johnson vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, und seine Mitautoren in JAMA Insights [1].
Das Team hat die wichtigsten unerwünschten Effekte dieser Onkologika-Gruppe für einen Übersichtsbeitrag zusammengefasst. Hier die 7 für die Praxis wichtigsten Nebenwirkungen:
1. Colitis
Bei etwa 25% aller Ipilimumab- und bei bis zu 5% aller Anti-PD-1/PD-L1-Therapien tritt eine Darmentzündung als potenziell lebensbedrohliche Komplikation auf. Typisches Symptom ist wässriger Durchfall bei mehr als 90% der Betroffenen. Bauchschmerzen und Blutungen sind mit bis zu 20% deutlich seltenere Symptome. Warten Ärzte zu lange mit der Behandlung, drohen schwere Dehydrierung oder Perforationen des Darms.
Milde Formen mit weniger als 6 zusätzlichen Stuhlgängen können mit Trinklösungen zur Rehydrierung und Antidiarrhoika wie Loperamid behandelt werden. Schwerem oder langanhaltendem Durchfall lässt sich mit hochdosierten Steroiden begegnen. Noch stärkere Diarrhöen mit Störungen des Elektrolyt-Gleichgewichts rechtfertigen eine stationäre Aufnahme mit Volumenersatz-Therapie und intravenöser Steroidgabe.
Bringen diese Maßnahmen nach 3 bis 5 Tagen keinen Erfolg, raten Johnson und seine Kollegen, die Immuntherapie zu variieren und alternativ Infliximab bzw. Vedolizumab einzusetzen. Er warnt, eine immunvermittelte Colitis nicht mit Chemotherapie-induzierten Nebenwirkungen zu verwechseln.
Mit Biopsien lässt sich zeigen, ob Checkpoint-Inhibitoren hinter den Beschwerden stecken. Hier fallen intraepitheliale Neutrophile auf. Es kommt ebenfalls zur kryptoglandulären Apoptose. Fehlen solche Hinweise, ist es nicht nötig, den Checkpoint-Inhibitor zu wechseln oder Steroide zu verabreichen. Meist reicht Loperamid aus, ggf. wird Octreotid oder in seltenen Fällen Opiumtinktur empfohlen.
2. Pneumonitis
Im Artikel nennen Johnson und seine Mitautoren Lungenentzündungen als weitere potenziell lebensbedrohliche Komplikation. 2 bis 5% aller Patienten entwickeln nach der Gabe von Checkpoint-Inhibitoren eine Pneumonitis. Im CT zeigen sich wenig spezifische milchglasähnliche Veränderungen („Ground Glass Opacity“) bzw. interstitielle Verdickungen.
Zur Therapie eignen sich hochdosierte Steroide. Fieber und produktiver Husten sind ungewöhnlich. Sie deuten eher auf eine infektiöse Ätiologie hin und stellen den Zusammenhang mit Checkpoint-Inhibitoren infrage.
3. Hautreaktionen
Deutlich häufiger sind mit bis zu 30% unerwünschte Hautreaktionen wie Pruritus, Akne oder toxisch-epidermale Nekrolysen (TEN). Leichte Entzündungen sprechen auf topische Steroide wie Hydrokortison oder Triamcinolon an.
Bewährt haben sich auch Antihistaminika wie Cetirizin oder Diphenhydramin. Bei schweren Reaktionen helfen hochdosierte systemische Steroide.
4. Endokrine Dysfunktionen
Checkpoint-Inhibitoren beeinflussen auch endokrine Drüsen. Eine Hypophysitis (Entzündung der Hypophyse) tritt bei bis zu 10% aller Anti-CTLA-4-Therapien auf. Ansonsten ist die Komplikation eher selten. Patienten berichten über Müdigkeit, Kopfschmerzen und sonstige Anzeichen einer Hypotonie. Per Bildgebung lässt sich die Verdachtsdiagnose bestätigen. Andere Ursachen wie Hirnmetastasen sind vor Therapiebeginn auszuschließen. Bei Entzündungen empfiehlt das Autorenteam systemisches Hydrocortison oder Prednison.
Es warnt vor einer Hypothyreose als weiterer Komplikation der Immuntherapie – bis zu 20% aller Patienten entwickeln diese endokrine Dysfunktion. Sie erhalten Schilddrüsenhormone. Hyperthyreosen sind selten und werden symptomatisch mit Propranolol therapiert, gehen früher oder später jedoch in eine Hypothyreose über.
5. Hepatitis
Hepatitis tritt bei 1% der Therapien mit PD1/PD-L1-Inhibitoren und bei 10% der Therapien mit CTLA-4-Inhibitoren auf. Patienten klagen über Müdigkeit, Übelkeit, Ödeme oder Gelbsucht – bei unauffälligen Laborparametern. Hochdosierte Steroide sind meistens wirksam. Bei therapierefraktären Beschwerden greifen Ärzte auf Mycophenolat-Mofetil zurück.
Leberversagen ist selten (< 1%), lässt sich aber mit Immunglobulin oder Anti-Thymozytenglobulin (ATG) therapieren.
6. Myokarditis
Mit einer Häufigkeit unter 1% ist die Myokarditis eine seltene, aber gefährliche Nebenwirkung der Checkpoint-Immuntherapie. Sie tritt oft zusammen mit einer Skelettmuskel-Myositis auf. Die Mortalität schwankt zwischen 20% und 50%. Fulminante Fälle finden sich meist im 1. Monat nach Therapiebeginn. Ärzte sollten auf Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen achten. Troponin eignet sich dabei als diagnostischer Marker. Im EKG fällt meist ein Herzblock auf, der zu ventrikulären Arrhythmien führen kann. Um eine Myokarditis zu bestätigen, eignen sich Kardio-MRT oder Myokard-Biopsien.
In lebensbedrohlichen Fällen kann eine Immunsuppression mit Immunglobulin oder Anti-Thymozytenglobulin angezeigt sein. Johnson und seine Kollegen schreiben, der optimale Behandlungsplan sei momentan jedoch unklar.
7. Neurotoxizität
Weitere seltene Ereignisse (< 1%) lassen sich auf die Neurotoxizität zurückführen. Beim Guillain-Barré-Syndrom und bei der Myasthenia gravis raten Johnson und seine Mitautoren zum schnellen Management mit Immunglobulin, Plasmaaustausch und systemischer Steroidgabe.
Aufgrund des fulminanten Verlaufs einer Enzephalitis empfehlen sie, nicht nur hochdosierte Steroide zu geben, sondern auch antimikrobielle Therapien in Betracht ziehen, um keine Zeit bis zur endgültigen Abklärung zu verlieren. Denkbar sind nicht nur unerwünschte Effekte der Checkpoint-Inhibitoren als Ursache, sondern auch Infektionen, Rückenmarkskompression oder Hirnmetastasen.
Mehr forschen, mehr verstehen
Für die Zukunft rechnen die Autoren mit deutlich höheren Fallzahlen bei den Nebenwirkungen der Immuntherapie aufgrund steigender Verordnungen. Ihre Forderung: „Fundierte Studien sind notwendig, um die Pathophysiologie unerwünschter Effekte zu verstehen, um Patienten mit dem höchsten Risiko zu identifizieren und um evidenzbasierte Therapien zur Behandlung der Toxizität zu entwickeln.“
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Immuntherapie bei Krebs: Immer mehr Patienten unter Checkpoint-Inhibitoren – kennen Sie alle unerwünschten Effekte? - Medscape - 6. Nov 2018.
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