Bürgerversicherung durch die Hintertür: Bremen übernimmt bei der Beamtenbeihilfe das Hamburger Modell

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. November 2018

Die gesetzlich versicherten Beamten in Bremen sollen zukünftig nicht mehr den kompletten Kassenbeitrag selbst zahlen müssen, sondern die Hälfte der Beiträge vom Land erstattet bekommen. Die Bremer Regierungskoalition aus SPD und Grünen will ihnen künftig einen „pauschalen Beihilfezuschuss“ von 50% auf den Kassenbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anbieten. In einem entsprechenden Dringlichkeitsantrag haben die SPD- und Grünen-Fraktionen die Bürgerschaft jetzt aufgefordert, vom Senat einen entsprechenden Gesetzentwurf zu verlangen und die Sache durchzurechnen.

Weil GKV-versicherte Beamten den kompletten Krankenkassen-Beitrag selbst aufbringen müssen, wählen sie meistens die Alternative zur GKV, indem sie sich zur Hälfte privat versichern und zur anderen Hälfte die Beihilfe durch das Land in Anspruch nehmen. In Bremen erhalten sie über die Beihilfe so genau 50% der anfallenden Kosten von ihrer privaten Krankenversicherung erstattet und 50% vom Land.

Dass nun die GKV-versicherten Beamten keine Unterstützung durch die Beihilfe erhalten, findet die Bremer Koalition politisch falsch. „Durch diese Regelungen leistet der Staat einen strukturellen Beitrag zur Schwächung des solidarischen Pflicht-Versicherungssystems“, heißt es in dem Dringlichkeitsantrag. Mit der neuen Regelung wären die gesetzlich versicherten den privat versicherten Beamten gleichgestellt, und die jungen Beamten hätten beim Berufsantritt eine echte Wahlmöglichkeit, hieß es.

Das Geschäftsmodell der PKV beenden

Tatsächlich sehen die Regierungsfraktionen in Bremen in dem Vorstoß „einen wichtigen Einstieg, um die indirekte Bevorzugung des Geschäftsmodells der privaten Krankenversicherung zu beenden und die solidarische Pflichtversicherung zu stärken.“

In Bremen zahlen derzeit 1.622 Beamte ihren gesetzlichen Versicherungsbeitrag selbst (Stand 12/ 2017). Das sind 20% der Beihilfe-berechtigten Beamten in Bremen. Die SPD-Fraktion rechnet mit jährlich 900 neu angestellten Staatsdienern. Im ersten Jahr müsste Bremen 400.000 Euro zusätzlich für den pauschalen Beihilfe-Zuschuss allein der Neueinstellungen aufbringen, wenn nur die Hälfte von ihnen die GKV plus pauschalem Zuschuss wählen.

 
Wir sehen darin einen wichtigen Einstieg, um die indirekte Bevorzugung des Geschäftsmodells der privaten Krankenversicherung zu beenden und die solidarische Pflichtversicherung zu stärken. Regierungsfraktionen in Bremen
 

Erhielten zudem alle Beamte, die bereits in der GKV sind, künftig den neuen Landeszuschuss, so müsste das ohnedies klamme Bremen jährlich weitere 4,4 Millionen Euro zusätzlich auf den Tisch legen, so die Rechnung der Fraktion.

Das zusätzliche Geld werde in Bremen „aus politischen Gründen“ aufgebracht, sagt Matthias Koch, Sprecher der Bremer SPD Bürgerschaftsfraktion. An der Weser will man also einen Pflock für die Bürgerversicherung einschlagen.

Entlastung für Beamte mit Familien und mit Vorerkrankungen

Vor allem würde der neue „pauschale Beihilfezuschuss“ GKV-versicherte Beamte mit Familie entlasten und solche Versicherte, die von der PKV wegen bestehender Vorerkrankungen nicht aufgenommen werden. Diese Gruppen dürften am häufigsten die GKV-Option gezogen haben.

Kein Wunder – eine Familienversicherung gibt es bei der PKV nicht, alle Mitglieder einer Familie müssen einzeln versichert werden. Eine zu 100% selbst finanzierte Familienversicherung bei der GKV zum Beispiel dürfte oft immer noch günstiger sein, als die Hälfte aller Behandlungskosten von Familienmitgliedern einzeln privat zu versichern und die andere Hälfte über die Beihilfe zu erhalten.

 
Wir finden die Initiative richtig. Jörn Hons
 

Mit dem Schritt würde sich das Land Bremen seiner Nachbarstadt Hamburg anschließen. Dort wurde die Initiative als „Hamburger Modell“ eingeführt und ist als „Gesetz über die Einführung einer pauschalen Beihilfe zur Flexibilisierung der Krankheitsvorsorge“ seit dem 1. August 2018 in Kraft.

Die GKV an der Weser begrüßt den Vorstoß. „Wir finden die Initiative richtig“, sagt Jörn Hons, Sprecher der AOK Bremen/ Bremerhaven. Wie sich aber das Modell dann langfristig für die GKV rechnet, weiß auch Hons nicht. „Natürlich haben Beamte einen Leistungsanspruch.“ Und wie hoch er ausfällt, bleibe abzuwarten, so Hons.

PKV-Verband: „Beim Hamburger Sonderweg gibt es fast nur Verlierer“

Die privaten Versicherer sind begreiflicherweise gegen das Hamburger Modell. Ihnen würden durch Neu-Beamte, die sich für den GKV-Zuschuss entscheiden, Kunden verlorengehen. Immerhin sind rund 50% aller PKV-Kunden Beihilfeberechtigte; ihre Gruppe könnte also schrumpfen. „Beim Hamburger Sonderweg gibt es fast nur Verlierer“, sagt denn auch Stefan Reker, Pressesprecher des PKV-Verbandes. „Für alle Steuerzahler ist er mit höheren Belastungen verbunden.“

Reker geht davon aus, dass alle Länder mit der neuen Regelung draufzahlen würden. Und Richtung GKV meint er, die Beamtenfamilien würden der GKV zu teuer: „Für die gesetzlich Versicherten würde es ebenfalls teurer, weil mit den Beamtenfamilien unter dem Strich mehr Kosten als Einnahmen in die GKV kämen.“

 
Beim Hamburger Sonderweg gibt es fast nur Verlierer. Für alle Steuerzahler ist er mit höheren Belastungen verbunden Stefan Reker
 

Auch der Bremer Beamtenbund kritisiert das Vorhaben. „Es wird nur die Beitragsseite berücksichtigt“, sagt Carl Otto Spichal vom Bremer Beamtenbund. „Die werden in die GKV gedrängt, wo die Versorgung schlechter ist. Unsere Hoffnung ist, dass die Beamten nicht so einfach die neue Möglichkeit wahrnehmen werden.“

Diese Hoffnung könnte sich erfüllen, wenn man Richtung Elbe blickt. Nach Angaben von Rudolf Klüver, dem Vorsitzenden des Hamburger Beamtenbundes, haben sich seit der Einführung des Zuschusses in Hamburg zum 1.8.2018 nur rund 30 von 1.000 neu eingestellten Beamten für die GKV unter den neuen Bedingungen entschieden. Von den 2.400 bereits freiwillig in der GKV versicherten Beamten zählte der Bund rund 150 Wechsler. Allerdings könnte diese Zahl noch stärker steigen, weil die meisten Beamten aus dieser Gruppe Ruheständler seien, hieß es. „Und die sind noch gar nicht alle informiert worden.“

 

Kommentar

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