Telemedizinisches Angebot „docdirekt“ kommt für ganz Baden-Württemberg – bisherige Erfahrungen sind positiv

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

31. Oktober 2018

Die Möglichkeit der Fernbehandlung über „docdirekt“ soll bald in ganz Baden-Württemberg zur Verfügung stehen. Das teilt die KV Baden-Württemberg (KVBW) mit. Das telemedizinische Modellprojekt, mit dem Ärzte Patienten auch ausschließlich via Telefon, Smartphone, Smartphone-App oder PC behandeln können, ist die Antwort der KV BW auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wie Medscape berichtet hatte, war docdirekt bereits am 16. April 2018 in den beiden Modellregionen Tuttlingen und Stuttgart gestartet.

„Das Projekt ist problemlos angelaufen, und die Erfahrungen aller Beteiligten sind durchweg positiv. Wir haben uns deshalb entschieden, dieses Angebot allen GKV-Versicherten in Baden-Württemberg anzubieten“, erklärt Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVBW.

 
Das Projekt ist problemlos angelaufen, und die Erfahrungen aller Beteiligten sind durchweg positiv. Dr. Johannes Fechner
 

Der einfachste Weg, docdirekt zu nutzen, führt über die docdirekt-App, die bei Google Play oder im App Store heruntergeladen werden kann. Patienten können sich auch über die docdirekt-Homepage der KVBW anmelden. Alternativ kann man das docdirekt-Center der KVBW auch unter der Telefonnummer 0711 / 965 897 00 erreichen. Anfragen von Patienten werden von Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr entgegengenommen.

So funktioniert es

Eine speziell geschulte medizinische Fachangestellte (MFA) erfasst zunächst die Personalien und die Symptome und klärt die Dringlichkeit. Der Tele-Arzt nimmt mit dem Patienten Kontakt auf und berät online. Ist am selben Tag ein persönlicher Arztbesuch notwendig, vermittelt die Terminservicestelle der KVBW schnellstmöglich einen Termin bei einem niedergelassenen Haus- oder Facharzt.

Die Teleärzte bei docdirekt erhalten für jeden Anruf extrabudgetär 25 Euro. Die patientennah erreichbaren Portalpraxen (PEP) können für die an sie vermittelten Patienten einen Fallwertzuschlag von 20 Euro ansetzen und die Leistungen außerhalb des Regelleistungsvolumens abrechnen. Für gesetzlich versicherte Patienten ist docdirekt kostenfrei, Privatversicherte können docdirekt dagegen nicht nutzen.

Bislang verzeichnet die docdirekt-App 1.200 Downloads. Im August 2018 meldeten sich 70 Patienten über docdirekt und wurden an Tele-Ärzte vermittelt. „Wobei die Zahl der Anfragen der Patienten schwankt“, erklärt Kai Sonntag, Sprecher der KV Baden-Württemberg. „In den Sommerferien hatten wir weniger Anfragen zu verzeichnen, Jahreszeit-bedingt und mit Beginn der Erkältungssaison nimmt die Zahl zu.“

Die Tele-Patienten verteilen sich zu je einem Drittel auf die Kanäle Videochat, Telefon und App. Und es ist durchaus nicht so, dass docdirekt vornehmlich von jungen Patienten genutzt wird. „Das sind ganz unterschiedliche Altersgruppen, auch die Altersgruppe 70+ ist vertreten, Patienten im mittleren Alter und Familien mit Kindern. Allerdings haben wir einen leichten Männer-Überschuss bei der Nutzung“, berichtet Sonntag.

Tele-Ärzte müssen an Schulung teilnehmen

Derzeit sind 40 erfahrene niedergelassene Hausärzte oder Kinder- und Jugendärzte als Tele-Ärzte bei docdirekt im Einsatz. „Als wir vor einem Jahr gestartet sind, haben wir auf Veranstaltungen direkt für die Tätigkeit als Tele-Arzt geworben und bekamen guten Zuspruch, schnell waren es 35 Tele-Ärzte, aktuell sind es 40“, berichtet Sonntag. Darüber hinaus liegen der KVBW weitere Interessensbekundungen vor.

 
Das erfordert ein gewisses Engagement. Kai Sonntag
 

Weil noch nicht abzusehen ist, ob jeder Interessent dann auch als Tele-Arzt einsteigt, sucht die KVBW aber noch weitere interessierte Ärzte. Mit der Zusage ist es nämlich nicht getan. Die Arbeit als Tele-Arzt setzt voraus, dass eine entsprechende Infrastruktur bereitgestellt wird und die Interessenten an einer kostenfreien telemedizinischen Schulung der KVBW teilnehmen. Teil der Schulung ist auch eine sehr spezielle, strukturierte Fragetechnik, denn es macht einen Unterschied, ob man einen Patienten nur am Telefon hört oder ihm gegenübersitzt. Im Verlauf des Projekts können weitere Nachschulungen notwendig werden, die für die weitere Teilnahme verpflichtend sind. „Das erfordert ein gewisses Engagement“, erklärt Sonntag.

Für Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KVBW, ist die Ausweitung von docdirekt zukunftweisend: „Es drängen viele Anbieter – auch aus dem Ausland – für die telemedizinische Beratung auf den Markt. Mit docdirekt haben die Patienten in Baden-Württemberg ein seriöses Angebot für eine Online-Beratung – kostenfrei, sicher und qualitativ hochwertig.“

E-Rezept-Modell „GERDA“ soll im Frühjahr starten

Noch ist die Verordnung von Arzneimitteln wegen fehlender gesetzlicher Rahmenbedingungen und technischer Umsetzung elektronisch nicht möglich, aber in absehbarer Zeit ist auch das gelöst: „GERDA – Geschützter E-Rezept Dienst der Apotheken“, soll im Frühjahr landesweit starten, so Sonntag.

Die KV erwartet durch das e-Rezept-Modell „GERDA“ einen zusätzlichen Schub für docdirekt. GERDA wird vom Ministerium für Soziales und Integration mit rund einer Million Euro gefördert.

Weil die Berufsordnung eine telemedizinische Behandlung ohne vorherigen persönlichen Kontakt zwischen Patient und Arzt eigentlich untersagte, hatte die Landesärztekammer (LÄK) Baden-Württemberg sie im Sommer 2016 geändert. Paragraf 7 Absatz 4 der Berufsordnung der LÄK Baden-Württemberg erlaubt seitdem die ausschließliche Fernbehandlung in Modellversuchen zu erproben. Inzwischen hat auch der Ärztetag das Fernbehandlungsverbot gelockert (wie Medscape berichtete).

Kein Ersatz, aber eine wertvolle Ergänzung

Auf dem Portal „Lass dich nieder“ berichten die Allgemeinmedizinerin Dr. Martina Hartmann und Kinderarzt Sven Supper von ihren Erfahrungen. Nach Suppers Einschätzung eignet sich die Pädiatrie grundsätzlich gut für eine Online-Sprechstunde, vor allem der Videochat sei sinnvoll, zum Beispiel bei Hautproblematiken. Aus seiner Sicht liegt das große Potenzial der Telemedizin darin, als zusätzliches Angebot Praxen und Kliniken zu entlasten:

„Oft wollen Eltern nur eine kurze Frage stellen oder brauchen Beratung zu Themen wie Impfung, Ernährung oder kleineren Problematiken wie einem eingewachsenen Zehennagel ihres Säuglings. Hier kann die Telemedizin künftig ansetzen und es solchen Patienten ersparen, den Weg in die Praxis zu machen. Und damit kommen die schwerer erkrankten Patienten in den Wartezimmern schneller dran“, so Supper.

An ihre Grenzen stoße die Telemedizin bei Fällen, in denen er den Bauch abtasten, die kleinen Patienten abhören oder in Hals und Ohren schauen müsste. Auch bei 40 Grad Fieber sei ein persönlicher Kontakt mit einem Arzt nicht zu ersetzen.

In vielen Fällen könne der Videochat durchaus mit einer analogen Sprechstunde mithalten, meint auch Hartmann. Sie berichtet von einer Patientin mit Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall, die weder bei ihrem Hausarzt noch bei einem Orthopäden einen Termin bekommen hatte. „Im Videochat konnte ich sie dieselben Bewegungsabläufe wie in der Praxis durchführen lassen. Der Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall hat sich bestätigt und wir konnten sie an einen Orthopäden vermitteln, der sie weiter behandelt hat.“

 
Eine reine Behandlung über Telefon oder Internet ist nicht in allen Fällen möglich und wünschenswert. Doch als Ergänzung ist sie sehr viel wert. Dr. Martina Hartmann
 

Wünschenswert fände Hartmann ein zweites Gespräch mit den docdirekt-Patienten oder ein Feedback über die App: „Ich würde gern erfahren, wie es den Menschen ergangen ist. Schließlich hatten wir einen persönlichen Kontakt.“

Hartmann ist überzeugt, dass die Telemedizin eine wichtige Rolle in der medizinischen Behandlung der Zukunft einnehmen werde. Sie sagt: „Eine reine Behandlung über Telefon oder Internet ist nicht in allen Fällen möglich und wünschenswert. Doch als Ergänzung ist sie sehr viel wert.”

 

Kommentar

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