Neues Typ-2-Diabetes-Medikament: Twincretin senkt über den Ansatz an 2 Darmhormonen „beispiellos“ Blutzucker und Gewicht

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

30. Oktober 2018

Berlin – Der neuartige duale GIP/GLP-1-Rezeptoragonist Twincretin (LY3298176, Hersteller: Lilly) zeigt bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eine beeindruckende Wirksamkeit. Der Wirkstoff, der über beide Inkretin-Rezeptoren – sowohl für GIP als auch für GLP-1 – seine Wirkung entfaltet, reduzierte in einer Phase-2-Studie den HbA1c-Wert um im Schnitt 2,4% und führte zu einer Gewichtsreduktion von bis zu 11,3 kg.

Dr. Juan Pablo Frias vom National Research Institute in Los Angeles hat die Daten auf dem Annual Meeting der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2018 in Berlin vorgestellte. Zeitgleich ist die Studie im Lancet erschienen [1].

„Die Ergebnisse unserer klinischen Phase-2b-Studie sind beispiellos. Die beeindruckende Blutzucker- und Gewichtsreduktion kann eine neue Behandlungsoption für Menschen mit Typ-2-Diabetes werden“, sagte Frias in Berlin gegenüber Medscape.

 
Die Ergebnisse unserer klinischen Phase-2b-Studie sind beispiellos. Dr. Juan Pablo Frias
 

In einem begleitenden Kommentar im Lancet schreiben Dr. Michael Stumvoll von der Universität Leipzig und Dr. Matthias Tschöp vom Helmholtz-Institut für Stoffwechsel in München [2]: „Die Ergebnisse unterstreichen, dass die Strategie des dualen und 3-fachen Ko-Agonismus vielversprechend ist und das Potenzial besitzt, die Fettleibigkeit- und die Typ-2-Diabetes-Pandemie umzukehren.“ Tschöp hatte die Studienergebnisse in Berlin mit den Worten  kommentiert: „Ja, ich bin von diesen Daten beeindruckt.“

LY3298176 versus Dulaglutid und Placebo

Die randomisierte, doppelblinde Phase-2-Studie fand an 47 Standorten in Europa und den USA statt. Zwischen Mai 2017 und März 2018 wurden 318 Teilnehmer auf eine von 6 Behandlungsgruppen randomisiert. In den 4 Interventionsarmen wurde LY3298176 einmal wöchentlich subkutan in einer Dosis von jeweils 1,5 mg, 5 mg, 10 mg oder 15 mg verabreicht und mit Placebo und subkutan verabreichtem Dulaglutid 1,5 mg (einmal wöchentlich) verglichen.

Die Behandlung dauerte 26 Wochen. Die Teilnehmer waren im Schnitt 57 Jahre alt, hatten einen BMI von 32 und seit 9 Jahren Diabetes. Der Ausgangs-HbA1c-Wert betrug im Schnitt 8%. Der Anteil der Geschlechter war ungefähr gleich.

Unter der höchsten Dosis fast ein Drittel der Patienten normoglykämisch

Nach 26 Wochen hatten zwischen 33 und 90% der mit LY3298176 behandelten Patienten einen HbA1c unter 7% erreicht (52% unter Dulaglutid und 12% unter Placebo) und 15 bis 82% sogar einen HbA1c unter 6% (39% unter Dulaglutid; 2% unter Placebo).

 
Die Ergebnisse unterstreichen, dass die Strategie des dualen und 3-fachen Ko-Agonismus … das Potenzial besitzt, die Fettleibigkeit- und die Typ-2-Diabetes-Pandemie umzukehren. Dr. Matthias Tschöp
 

Erwartungsgemäß ergaben die höheren Dosierungen von LY3298176 (10 und 15 mg) die deutlichsten HbA1c-Reduktionen, wobei 18% der Patienten unter 10 mg und 30% unter 15 mg sogar HbA1c-Werte im Normbereich (unter 5,7%) erreichten. „Der Prozentsatz der Patienten, die eine Normoglykämie erreicht haben, ist besonders beeindruckend. Das war bei einem von 5 unter der 10-mg-Dosis und bei fast einem Drittel unter der 15-mg-Dosis der Fall“, so Frias.

Auch die Gewichtsabnahme war unter dem Twincretin erleichtert. Die damit behandelten Patienten nahmen um bis zu 11 kg ab (vs 0 kg unter Placebo und 2 kg unter Dulaglutid). Nach 26 Wochen hatten zwischen 14 und 71% (in Abhängigkeit von der Dosis) der mit LY3298176 Behandelten ihr Gewicht um mindestens 5% reduziert (vs 22% unter Dulaglutid und 0% unter Placebo). 6 bis 39% erreichten sogar eine Gewichtsabnahme von mindestens 10% (vs 9% unter Dulaglutid und 0% unter Placebo).

„Unter der Dosis von 15 mg lag die Gewichtsreduktion im Schnitt bei über 10 Kilogramm. Es gab eine deutliche Dosis-Wirkungsbeziehung“, berichtete Frias. Auch der Bauchumfang nahm ab (2-10 cm unter LY3298176; 1 cm unter Placebo; 2 cm unter Dulaglutid).

Gastrointestinale Nebenwirkungen, aber keine schweren Hypoglykämien

Übelkeit, Durchfall und Erbrechen zählten zu den häufigsten Nebenwirkungen. Dabei war die Häufigkeit gastrointestinaler Ereignisse dosisabhängig (23,1% unter 1 mg, 32,7% unter 5 mg, 51% unter 10 mg und 66% unter 15 mg LY3298176). In der Dulaglutid-Gruppe litten 46,2% der Patienten unter gastrointestinalen Nebenwirkungen, in der Placebogruppe 9,8%.

„Es gab keine Nebenwirkungen, die unerwartet waren oder normalerweise nicht bei GLP-1-Agonisten auftreten. Am häufigsten waren Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, doch waren diese meist leicht bis mittelschwer in der Intensität und vorübergehend“, berichtete Frias.

Verringerter Appetit war ebenfalls eine Begleiterscheinung, die ebenfalls dosisabhängig auftrat, mit einer Häufigkeit von bis zu 18,9% unter 15 mg LY3298176 (Dulaglutid 5,6%; Placebo 2%).

Es gab keine Berichte über schwere Hypoglykämien. Ein Patient in der Placebogruppe starb an Lungenkrebs, was aber nicht mit der Studienbehandlung assoziiert wurde. „Wichtig aus klinischer Sicht ist, dass keine schweren Hypoglykämie auftraten“, sagte Frias und ergänzte, die Effekte auf Herzfrequenz und Blutdruck seien wie unter Dulaglutid gewesen.

Behandlungsabbrüche waren in der Gruppe mit der höchsten Dosis LY3298176 am häufigsten. „Eine langsame Titration mildert einen Großteil dieses Problems“, so Frias Empfehlung. Er ergänzte: „In meiner Zeit als Prüfarzt und Kliniker habe ich noch nie eine solch ausgeprägte HbA1c-Reduktion bei einem solch hohen Prozentsatz von Patienten gesehen – und niemals so viele, die ihren Blutzuckerspiegel normalisieren konnten.“

Der nächste logische Schritt

Zwar sei Vorsicht geboten, da die Daten nur 26 Wochen umfassten, schränken Stumvoll und Tschöp ein. Dennoch sei die Studie „der nächste logische Schritt, um GLP-1-Mono-Agonisten durch duale oder vielleicht sogar 3-fache Agonisten zu ersetzen. Es ist aber noch zu früh für eine Empfehlung“.

Stumvoll und Tschöp halten weitere Studien für notwendig. So bestehe beispielsweise Klärungsbedarf, ob ein optimiertes Twincretin im direkten Vergleich auch Semaglutid übertrifft, den bislang stärksten GLP-1-Mono-Agonisten. Zu klären sei auch, welche Patienten am meisten von einem dualen GLP-1- und GIP-Agonisten profitierten, sobald diese zu tragfähigen Therapiemöglichkeiten würden.

Sie erinnern auch daran, dass ein erhöhtes Risiko für eine akute Pankreatitis und ein Anstieg der Lipase oder Amylase bei diesen Therapeutika „immer ein Problem sind“ und bei weiteren Studien zu Dual-Inkretin-Analoga genau beobachtet werden müssten.

 

Kommentar

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