Wer häufiger zu Bio-Lebensmitteln greift, verringert dadurch möglicherweise sein Krebsrisiko um bis zu 25%. Eine solche Assoziation haben Dr. Julia Baudry vom Centre de Recherche Epidémiologie et Statistique an der Sorbonne Paris Cité und ihre Mitautoren in einer großen Kohortenstudie ausgemacht. Basis war eine Kohorte mit knapp 70.000 Teilnehmern.
„Obwohl unsere Studienergebnisse bestätigt werden müssen, könnten mehr Bio-Lebensmittel eine vielversprechende Präventivstrategie gegen Krebs sein“, schreiben die Autoren in JAMA Internal Medicine [1].
„Hier handelt es sich um eine interessante Studie, die Hinweise auf mögliche Vorteile nicht belasteter Lebensmittel gibt, aber schlussendlich keine Beweise liefert“, sagt Prof. Dr. Dr. Michael Leitzmann im Gespräch mit Medscape. Er ist Direktor des Instituts für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Universität Regensburg. „Das Thema hat bisher keiner bearbeitet.“
Als großen Pluspunkt sieht Leitzmann das prospektive Design. Anders als bei Fall-Kontroll-Studien werde sichergestellt, dass Patienten zu Beginn noch keine Krebserkrankung hätten. „Auch die große Kohorte und der semiquantitative Ansatz sprechen für Baudrys Arbeit.“
Dem stünden aber auch mehrere Schwächen gegenüber: „Zum einen sind die aufgenommenen Probanden nicht unbedingt repräsentativ für die Bevölkerung“, kommentiert der Experte. „Vielleicht verhalten sich Personen, die Bio-Lebensmittel bevorzugen, auch ansonsten gesundheitsbewusster.“ Dies könne sich z.B. durch mehr Sport oder durch weniger Zigarettenkonsum äußern.
„Außerdem haben die Autoren keine Pestizide bestimmt“, ergänzt Leitzmann. „Wir wissen nicht, wie hoch die Belastung wirklich war.“ Er fordert deshalb weitere Studien, bewertet das Thema jedoch als „äußerst relevant“.
Ernährungsgewohnheiten von knapp 70.000 Probanden erfasst
Welchen Wert Bio-Lebensmittel aus medizinischer Sicht bieten, ist Baudry zufolge zwar immer wieder Thema wissenschaftlicher Untersuchungen, jedoch nicht in Zusammenhang mit Krebserkrankungen. Deshalb hat sie Daten der NutriNet-Santé-Studie ausgewertet.
Jeweils 2 Monate nach der Aufnahme wurden die Probanden (erwachsene Franzosen) gebeten anzugeben, wie oft sie bestimmte Bio-Lebensmittel konsumieren. Dazu zählten u.a. Obst, Gemüse, Sojaprodukte, Milchprodukte, Fleisch und Fisch, Eier, Getreide, Brot und Getreide, Mehl, pflanzliche Öle und Gewürze, Fertiggerichte, Kaffee, Tee, Wein, Kekse, Schokolade, Zucker und Marmelade. Nahrungsergänzungsmittel wurden ebenfalls abgefragt.
Die Matrix umfasste mehrere Aussagen zur Häufigkeit: meistens, gelegentlich, nie (weil zu teuer), nie (weil nicht verfügbar), nie (aus mangelndem Interesse), nie (weil Produkte aus welchem Grund auch immer vermieden werden), nie (aus keinem der genannten Gründe). Bei jedem Produkt gab es 2 Punkte für „die meiste Zeit“, 1 Punkt für „gelegentlich“ und 0 Punkte für „nie“. Das führte zu einer Skala mit 0 bis 32 Punkten.
Assoziation mit Krebserkrankungen
Baudry berücksichtigte Probanden mit ausgefülltem Fragebogen für Bio-Lebensmittel (n=95.123), aber ohne maligne Erkrankungen mit Ausnahme von Basalzellkarzinomen (n=89.711). Zuletzt blieben 68.946 Personen mit regelmäßig erfassten 24-Stunden-Daten übrig, davon waren 78% Frauen.
Nach einem mittleren Follow-up von 4,5 Jahren waren insgesamt 1.340 neue Krebserkrankungen aufgetreten. Darunter waren 459 Mammakarzinome (34,3%), 180 Prostatakarzinome (13,4%), 135 Melanome oder spinozelluläre Karzinome (10,1%), 99 Kolonkarzinome (7,4%), 47 Non-Hodgkin-Lymphome (3,5%) und 15 weitere Lymphome (1,1%).
Um Assoziationen mit dem Konsum biologischer Lebensmittel zu zeigen, teilte Baudry alle Konsumenten anhand steigender Punktewerte in 4 Gruppen (Quartile 1 bis 4) ein. Ein hoher Konsum stand mit niedrigeren Krebsrisiken in Verbindung. Die Hazard Ratio (HR) für Quartil 4 vs. Quartil 1 lag bei 0,75. Als HR für einen Anstieg um 5 Punkte wurde 0,92 errechnet.
Die Belastung mit Pestiziden bleibt unklar
In einem begleitenden Kommentar verweisen Elena C. Hemler vom Department of Nutrition der Harvard T.H. Chan School of Public Health, Boston, und ihre Mitautoren auf die große Stichprobe und das prospektive Design als Stärken der Studie [2].
Schwächen sehen die Kommentatoren vor allem bei der Frage, welche Qualität Bio-Lebensmittel wirklich haben. In Frankreich gibt es ähnlich wie in Deutschland etliche Standards mit unterschiedlichen Grenzen für Pestizidrückstände.
Bereits 2015 habe die internationale Krebsagentur IARC (International Agency for Research on Cancer) die Pestizide Glyphosat, Malathion und Diazinon als „wahrscheinlich karzinogen“ für Menschen (Gruppe 2A) bewertet. Bei beruflicher Exposition ist Malathion mit Prostatakrebs und Diazinon mit Lungenkrebs assoziiert. Alle 3 Substanzen stehen mit Non-Hodgkin-Lymphomen in Verbindung.
„In der Allgemeinbevölkerung ist eine geringe Belastung mit Pestiziden weit verbreitet, und der primäre Expositionsweg ist die Ernährung“, schreiben Hemler und ihre Kollegen. Sie warnen, mehr Bio-Lebensmittel zwangsläufig mit einer geringeren Pestizidaufnahme gleichzusetzen. Dies sei nicht zwangsläufig korrekt. „Besser wäre, Metaboliten im Urin zu erfassen und dann einen Bezug zu Krebserkrankungen herzustellen“, schreiben sie.
Ihr Fazit: „Die Sorge über mögliche Risiken von Pestiziden sollte beim Verzehr von konventionellem Obst und Gemüse momentan keine Rolle spielen, zumal ökologische Produkte oft teuer und für viele Bevölkerungsgruppen unzugänglich sind.“
Ärzten oder Konsumenten raten die Editorialisten: „Während der Zusammenhang zwischen Krebsrisiken und Bio-Lebensmitteln noch ungewiss ist, gibt es zwingende Beweise dafür, dass die Verbesserung anderer Faktoren wie Körpergewicht, körperliche Aktivität und Ernährung insgesamt das Krebsrisiko senken kann.“ Die American Cancer Society empfiehlt z.B. wenig rotes bzw. verarbeitetes Fleisch, wenig Zucker und wenig raffinierte Getreideprodukte. Dafür sollten mehr Obst, Gemüse und Vollkornprodukte auf dem Speiseplan stehen.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Geringeres Krebsrisiko mit Bio-Lebensmitteln? Eine prospektive Kohortenstudie lässt dies vermuten - Medscape - 29. Okt 2018.
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