Genetik oder Ernährung – was hat mehr Einfluss auf den Harnsäurespiegel? Aussagekräftige Daten sind bisher rar, jetzt zeigt eine große Metaanalyse: Im Gegensatz zu genetischen Effekten ist die Ernährung bei gesunden Menschen nur mit geringen Schwankungen des Serum-Harnsäurespiegels assoziiert: Variationen des Harnsäurespiegels standen danach zu maximal 0,3% mit Speisen und Getränken, aber zu 23,9% mit Polymorphismen im Erbgut in Verbindung.
Dies berichten Dr. Tanya J. Major von der Abteilung für Biochemie der Universität von Otago, Neuseeland, und ihre Kollegen im British Medical Journal [1]. Für ihre Metaanalyse haben sie Querschnittsdaten von 16.760 Personen ausgewertet.
„Hier handelt es sich um eine methodisch gute, breit angelegte Arbeit“, sagt Prof. Dr. Hannes Lorenz zu Medscape. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Der Experte spricht von einer „Bestätigung klinischer Erfahrungswerte“.
Lorenz: „Übertrieben gesprochen hat nicht jeder Gicht-Patient zu viel Bier getrunken, entscheidender ist die Genetik.“ Er weist auf Unterschiede hin: Majors Arbeit habe nur gesunde Menschen erfasst. „In der Klinik sehen wir Patienten mit Gicht. Bei ihnen sind neben Pharmakotherapien sehr wohl Empfehlungen zur Ernährung erforderlich.“ An diesem Punkt spiele die Genetik keine Rolle mehr.
Welche Lebensmittel beeinflussen den Harnsäurespiegel?
Hintergrund von Majors Arbeit war die bekannte Tatsache, dass erhöhte Werte von Harnsäure im Serum (Hyperurikämien) ein bekannter Risikofaktor für Gicht sind. Sie stehen auch mit chronischen Nierenerkrankungen, Hypertonien und mit dem metabolischen Syndrom in Verbindung. Das Gleichgewicht zwischen Biosynthese und Ausscheidung kann sowohl durch genetische Faktoren als auch durch Umweltfaktoren verändert werden.
Zwillingsstudien legen Major zufolge nahe, dass genetische Faktoren 25% bis 60% der Variabilität von Harnsäurespiegeln erklären. „Bis heute gibt es keine systematische Analyse des Beitrags unserer Ernährung zu Serum-Harnsäurespiegel mit ausreichend großen Daten“, schreibt die Erstautorin.
Deshalb haben die Wissenschaftler Daten aus mehreren US-Querschnittsstudien mit 16.760 gesunden Probanden europäischer Herkunft (8.414 Männer und 8.346 Frauen) analysiert. Über Fragebögen wurden Ernährungsgewohnheiten, sprich 63 Lebensmittel, erfasst. Der Harnsäurespiegel im Serum wurde mit gängigen Labortests gemessen. Über genomweite Assoziationsstudien (GWAS) identifizierten sie 30 Abschnitte im Erbgut, die mit höheren Harnsäurespiegeln assoziiert sind.
Die Autoren fanden heraus, dass mehrere Lebensmittel mit erhöhten Serum-Harnsäurespiegeln assoziiert sind. Dazu zählen Bier, Likör, Wein, Kartoffeln, Geflügel, Softdrinks und Fleisch (Rind, Schwein oder Lamm).
Eier, Erdnüsse, Getreideprodukte, Magermilch, Käse, Schwarzbrot, Margarine und manche Früchte (Zitrusfrüchte ausgenommen) standen mit niedrigeren Werten in Verbindung.
Genetik schlägt Ernährung beim Harnsäurespiegel
Selbst bei nachgewiesener Assoziation sei der Effekt von Lebensmitteln jedoch gering gewesen, schreibt die Erstautorin. Weniger als 1% der Variation des Harnsäurespiegels im Serum lasse sich über Lebensmittel erklären. Bei der DASH-Diät waren es 0,28%, und bei einer gesunden Ernährung, wie von US-Fachgesellschaften empfohlen, nur 0,15%. Noch schlechter schnitt die Mittelmeerdiät (0,06%) ab.
Im Unterschied dazu fanden Major und ihre Kollegen starke Einflüsse des Erbguts. Sie erklären schätzungsweise 23,9% der Variabilität von Harnsäurespiegeln mit genetischen Einflüssen.
„Wir identifizierten wenig überraschend Korrelationen zwischen Harnsäurespiegeln und vielen Lebensmitteln, die zuvor signifikante Assoziationen gezeigt hatten“, kommentiert Major in einem Blog des BMJ . „Vor allem fanden wir heraus, dass kein Nahrungsmittel mehr als 1 Prozent der Variation des Harnsäurespiegels in unserer Studienpopulation erklärt.“
Die Erstautorin ergänzt: „Im Gegensatz dazu erklärten genetische Varianten die Unterschiede beim Harnsäurespiegel deutlich besser.“ Die am stärksten assoziierte genetische Variante aus dem SLC2A9-Gen sei für rund 4% aller Variationen verantwortlich. „Es überraschte uns nicht, dass genetische Faktoren einen größeren Einfluss auf das Serum-Urat haben als diätetische Faktoren“, so Major weiter. „Was uns erstaunt hat, war die Größenordnung dieses Unterschieds.“
Ergebnisse wahrscheinlich auf Gicht übertragbar
Als wesentliche Stärke nennen die Autoren die Größe ihres Datensatzes. Dem steht als Schwäche gegenüber, dass Ernährungsgewohnheiten nur per Fragebogen erfasst worden sind: eine bekannte Fehlerquelle epidemiologischer Studien.
Die Autoren warnen außerdem, ihre Ergebnisse auf Personen mit Gicht zu übertragen, da in ihrer Kohorte keine Patienten waren. Menschen mit Nierenerkrankungen oder Diuretika wurden ebenfalls ausgeschlossen. Zukünftige Studien sollten diese Gruppen einschließen, um auch bei Risikogruppen Aussagen zu treffen.
In einem begleitenden Kommentar relativieren diese Einschränkung Dr. Lorraine Watson und Edward Roddy vom Arthritis Research UK Primary Care Centre, Research Institute for Primary Care and Health Sciences an der Keele University in Staffordshire [2]: „Trotz der vorsichtigen Formulierung der Autorin, ihre Ergebnisse nicht zu extrapolieren, ist es unwahrscheinlich, dass sich Ursachen von Hyperurikämien in den untersuchten Populationen wesentlich von denen mit klinisch nachgewiesener Gicht unterscheiden.“
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Diesen Artikel so zitieren: Ernährung bei Gicht: Warum der Rat, weniger Bier zu trinken, oft nicht viel bringt – die Gene sind einfach stärker - Medscape - 25. Okt 2018.
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