Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) empfiehlt neben 3 Indikationserweiterungen 6 neue Medikamente zur Zulassung – darunter erstmals einen Antikörper gegen anfallsartige Schwellungen beim hereditären Angioödem und die erste EU-weite Therapieoption für nicht dystrophische Myotonien [1].
Eines der 6 beim Oktober-Meeting des Ausschusses empfohlenen Arzneimittel ist Takhzyro® (Lanadelumab; Shire Pharmaceuticals Ireland Limited), der erste monoklonale Antikörper zur Vorbeugung wiederkehrender Schwellungen beim hereditären Angioödem. Er soll für Patienten ab 12 Jahren zugelassen werden.
Seltener Schwellungen
Lanadelumab erkennt und bindet an Kallikrein-Proteine, deren Aktivität letztlich für die potenziell lebensbedrohlichen Schwellungen – etwa wenn sie in den Atemwegen auftreten – verantwortlich ist. Der Antikörper blockiert das Kallikrein-Kinin-System und reduziert so die Häufigkeit der anfallsartig auftretenden Schwellungen.
Er wird alle 2 bis 4 Wochen subkutan injiziert und stellt, so der CHMP, eine Verbesserung gegenüber den derzeitigen Therapieoptionen dar, die entweder intravenös oder deutlich häufiger subkutan appliziert werden müssen. Deshalb hatte der Ausschuss im Vorfeld auch einem beschleunigten Begutachtungsprozess für das Arzneimittel zugestimmt.
Nutzen und Sicherheit von Lanadelumab wurden in einer klinischen Phase-3-Studie mit 125 Patienten untersucht. Nach 26 Wochen zeigte sich bei den mit dem Antikörper behandelten Patienten eine signifikante Reduktion der Häufigkeit und der Schwere der Schwellungen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren lokale Reaktionen an der Injektionsstelle von geringer Intensität.
Gegen seltene Erkrankungen
Aufgrund der Seltenheit des hereditären Angioödems – es betrifft weniger als 0,5 von 10.000 Menschen in der EU – wurde Lanadelumab bereits 2015 Orphan-Status gewährt. Bestätigt das Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) zum Zeitpunkt der Zulassung den Orphan-Status, bedeutet dies, dass der Hersteller es in der EU 10 Jahre lang exklusiv vermarkten darf.
Auch das zweite Medikament auf der aktuellen Liste der Zulassungsempfehlungen genießt Orphan-Status. Mit Namuscla® (Mexiletin-Hydrochlorid; Lupin Europe GmbH) sollen nicht dystrophische Myotonien bei erwachsenen Patienten behandelt werden. Es wird die erste EU-weit zugelassene Therapieoption sein. In Frankreich ist der Wirkstoff Mexiletin bereits seit 2010 zugelassen.
Nicht dystrophische Myotonien werden von Störungen in Ionenkanälen verursacht, die eine Schlüsselrolle in der An- und Entspannung von Muskeln spielen.
Neue Aufgabe für altes Arrhythmikum
Mexiletin wurde in Europa als Antiarrhythmikum bereits in den 1970er-Jahren zugelassen. Es blockiert Natriumkanäle in Muskelzellen, wodurch die Kontraktionsrate und auch die Steifigkeit abnimmt, zu der es kommt, wenn der Muskel zu lange anspannt.
Die Empfehlung des CHMP basiert auf den Ergebnissen einer Phase-3-Studie mit Patienten mit nicht dystrophischen Myotonien sowie Literaturdaten. Diese zeigen, dass eine Behandlung mit dem Wirkstoff Muskelsteifigkeit lindert.
Das Medikament verfügt über ein gut etabliertes Sicherheitsprofil; die häufigsten Nebenwirkungen sind gastrointestinale Störungen wie Sodbrennen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und Unterleibsschmerz. Eine andere, seltener auftretende Nebenwirkung von Mexiletin ist, dass es Herzrhythmusstörungen auslösen oder bestehende Arrhythmien verschlimmern kann. Um dieses Risiko zu minimieren, schlägt der CHMP Maßnahmen wie die Auferlegung bestimmter Kontraindikationen und regelmäßige Kontrollen der Herzfunktion vor.
Dengue-Impfstoff für tropische Territorien
Ebenfalls für die Zulassung empfohlen wird das tetravalente, attenuierte Dengue-Lebendvakzin Dengvaxia® (Sanofi Pasteur). Es wird der erste in der EU zugelassene Impfstoff zur Prävention von Dengue-Fieber sein, welches durch die Dengue-Serotypen DENV-1, DENV-2, DENV-3 und DENV-4 verursacht wird. Der Impfstoff soll für Menschen von 9 bis 45 Jahren zugelassen werden, die in endemischen Gebieten leben und bereits einmal eine Dengue-Virus-Infektion hatten.
Der Impfstoff wird nicht für Kontinental-Europa und Territorien außerhalb der Tropen zugelassen werden, da Denguefieber in diesen Regionen nicht endemisch ist. Eine Reihe von EU-Übersee-Territorien befänden sich aber in endemischen Gebieten und könnten von diesem Impfstoff profitieren, so die Begründung des CHMP.
Der Dengue-Impfstoff wurde in 31 klinischen Studie untersucht, vorwiegend in endemischen Gebieten in Lateinamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum. Insgesamt wurde er bei mehr als 41.000 Personen im Alter von 9 Monaten bis 60 Jahren erprobt, die mindestens eine Dosis des Vakzins erhielten. Die Studiendaten zeigen, dass der Impfstoff bei 9- bis 45-Jährigen einen Schutzeffekt hat.
Nur nach vorheriger Dengue-Infektion
Bei Menschen, die noch nie mit Dengue infiziert waren, besteht allerdings die Gefahr einer klinischen Dengue-Erkrankung mit Hospitalisierung, wenn die Impflinge sich in der Folge mit Dengue-Virus infizieren. Der CHMP empfiehlt deshalb, den Einsatz des Vakzins auf Menschen mit durch Laborwerte bestätigte vorherige Dengue-Virus-Infektion zu beschränken.
Außerdem sollen außerhalb von endemischen Gebieten lebende Menschen, die in endemische Gebiete reisen, nicht damit geimpft werden, da es dafür an Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten fehle. Um das Risiko zu minimieren, soll zudem Aufklärungsmaterial für Ärzte und medizinisches Personal herausgegeben werden.
Neue Grippeimpfung, COPD-Erhaltungstherapie und ein Biosimilar
Flucelvax Tetra® (zellbasiertes, inaktiviertes Influenza-Oberflächen-Antigen; Seqirus Netherlands B.V.), ein Grippeimpfstoff für Erwachsene und Kinder ab 9 Jahren,
Bevespi Aerosphere® (Glycopyrronium/Formoterolfumarat-Dihydrat; AstraZeneca AB) zur Erhaltungstherapie bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und
das Herceptin®-Biosimilar Ogivri® (Trastuzumab; Mylan S.A.S) zur Behandlung von Mamma- und Magenkarzinomen.
Neue Indikationen
Über die Zulassungsempfehlungen für neue Medikamente hinaus spricht sich der CHMP auch für Indikationserweiterungen für 3 Arzneimittel aus:
Kalydeco® (Ivacaftor; Vertex Pharmaceuticals [Europe] Ltd): Das Mukoviszidose-Medikament in Granulat-Form (50 oder 75 mg) soll schon ab einem Alter von 12 Monaten eingesetzt werden dürfen – bisher war es erst ab 2 Jahren indiziert – bei Kinder zwischen 7 und 25 kg mit einer der folgenden Mutationen im CFTR-Gen: G551D, G1244E, G1349D, G178R, G551S, S1251N, S1255P, S549N oder S549R.
Keytruda® (Pembrolizumab; Merck Sharp & Dohme B.V.): Die Indikation des Krebsmedikamentes wird erweitert um die adjuvante Therapie von Melanomen mit Lymphknotenbeteiligung bei erwachsenen Patienten, die sich bereits einer kompletten Resektion unterzogen haben.
NovoSeven® (Eptacog alfa [aktiviert]; Novo Nordisk A/S): Das Arzneimittel wird zur Behandlung und Prävention von Blutungen bei Operationen oder anderen invasiven Eingriffen eingesetzt, unter anderem bei Patienten mit Glanzmann-Thrombasthenie. Bislang war es aber nur bei den Glanzmann-Thrombasthenie-Patienten indiziert, die Antikörper gegen GP IIb-IIIa und/oder HLA aufwiesen und sich aktuell oder in der Vergangenheit als refraktär gegenüber Plättchentransfusionen erwiesen haben. Ab Inkrafttreten der Indikationserweiterung müssen die Patienten zum einen keine Antikörper gegen GP IIb-IIIa und/oder HLA mehr aufweisen, zum anderen müssen sie nicht mehr unbedingt plättchenrefraktär sein. Das Mittel kann dann auch zum Einsatz kommen, wenn Plättchenpräparate nicht ohne Weiteres verfügbar sind.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: Neue Arzneien gegen das hereditäre Angioödem sowie nicht dystrophische Myotonien – und ein Dengue-Impfstoff - Medscape - 19. Okt 2018.
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