München – Beim führenden europäischen Krebskongress sollen Meilenstein-Studien präsentiert werden, die die Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren, triple-negativem Brustkrebs, Nierenzellkarzinomen und Eierstockkrebs drastisch verändern könnten [1].
Der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2018 Congress findet von 19. bis 23. Oktober in München statt. Fast 20.000 Teilnehmer aus mehr als 130 Ländern weltweit werden erwartet. Es ist einer der größtes medizinischen Kongresse, die jemals in der bayerischen Hauptstadt ausgerichtet wurden.
Insgesamt werden an den 5 Kongresstagen mehr als 2.050 Abstracts präsentiert, zu Themen wie Immuntherapien, Zukunftstechnologien, Biomarker, Grundlagen- und translationale Forschung sowie Prävention. Auch die Kongress-Poster werden sich beim mit einer Vielzahl wichtiger Fragen beschäftigen, etwa ob Immuntherapien auch bei HIV-Patienten mit Krebs sicher sind. Oder ob Twitter eine verlässliche Informationsquelle für Krebspatienten ist oder ob Jugendliche und junge Erwachsene in klinischen Studien ausreichend repräsentiert sind.
Unter dem Motto „Securing access to optimal cancer care“ wird sich der ESMO 2018 auch um die Zusammenarbeit zwischen Pflegepersonal und Ärzten sowie um das Thema Patienten-Anwaltschaft drehen.
Immuntherapien für immer mehr Krebsarten
Die wissenschaftliche Kongresspräsidentin des ESMO 2018, Prof. Dr. Solange Peters von der Klinik für Onkologie am Universitätsspital Lausanne, Schweiz, betont im Gespräch mit Medscape, dass trotz der Vielfalt an Themen doch einige Schwerpunkte im Kongressprogramm gebe, wie etwa die Immuntherapie.
„Jahr für Jahr erweitern wir unser Wissen über die Anwendung von Immuntherapien und weiten deren Einsatz in die frühen Therapielinien hinein aus“, sagt sie. Dies sei „eine Errungenschaft”, da sich gezeigt habe, dass Immuntherapien nicht nur Verbesserungen im Vergleich zur traditionellen Chemotherapie böten, sondern neue Daten auch darauf hinwiesen, dass sie bei immer mehr Krebsarten eingesetzt werden könnten.
„Bei diesem Kongress bringen wir z.B. Immuntherapien für Kopf-Hals-Tumoren an die vorderste Front, wir gehen zum Nierenzellkarzinom und zum Brustkrebs und das ist wirklich eine Erkrankung, von der man bislang angenommen hat, dass sie nicht auf Immuntherapien anspricht“, kommentiert sie.
Peters fährt fort: „Wir bauen unser Wissen darüber, wie wir Immuntherapien in jeder einzelnen Indikation besser einsetzen können, immer weiter aus. Und in diesem Jahr würde ich sagen, bringen wir diese Strategien zu vielen Erkrankungsarten, wenn auch noch nicht zu allen.“
Parallel dazu werden die molekulare Charakterisierung und personalisierte Krebsmedizin bei Krankheiten wie Lungen- und Brustkrebs immer weiter verfeinert, „dort fangen wir an, Phosphoinositid-3-Kinase (PI3)-, Checkpoint-, CD4/6- und HDAC-Inhibitoren einzusetzen“, sagt sie.
Einfachere Erstlinientherapie bei Kopf-Hals-Tumoren
Viele der spannendsten Abstracts werden im Rahmen der 3 Präsidentensymposien, jeweils am Samstag-, Sonntag- und Montagnachmittag, präsentiert. Anders als in den vergangenen Jahren seien die Themen der diesjährigen Präsidentensymposien heterogen, sagt Peters, doch nichtsdestotrotz unterstrichen sie, was im Hinblick auf Therapiestandards neu und im Wandel sei. „Angefangen bei den Immuntherapien. Ich denke, die spannendsten Daten dazu kommen aus dem Bereich der Kopf-Hals-Tumoren“, so die Kongresspräsidentin.
Bis dato stellen sich die Daten zum Einsatz von Immuntherapien in den späten Therapielinien bei Kopf-Hals-Tumoren als widersprüchlich dar. Doch das könnte sich alles mit der Präsentation der KEYNOTE-048-Studie zu Pembrolizumab in der Erstlinientherapie bei rezidiviertem oder metastasiertem Plattenepithelkarzinomen im Kopf- und Halsbereich ändern.
„In dieser Studie versuchen die Autoren, die bei Lungenkrebs erzielten Ergebnisse zu reproduzieren“, so Peters. Interessant sei dies, da es sich um sehr ähnliche Erkrankungen handele, basierend auf dem Rauchverhalten, der Mutationslast und anderen Aspekten.
„Das ist extrem spannend und es könnte die Erstlinienstrategie für diese Patienten komplett verändern. Denken Sie daran, die Erstlinientherapie von metastasierten Kopf-Hals-Tumoren ist hart, [die Immuntherapie] könnte die Behandlung einfacher und effektiver machen“, sagt Peters. Es sei zwar davon auszugehen, dass es künftig vergleichbare Studien geben werden, doch dies sei die erste Studie zu einer Immuntherapie in der Erstlinie bei Kopf-Hals-Tumoren, betont sie.
Erstmals ein Immuntherapie-Erfolg bei Brustkrebs?
Die andere „komplette Revolution“, die beim ESMO 2018 erwartet wird, betrifft Brustkrebs-Erkrankungen. Es wird die IMpassion130-Studie zu Atezolizumab in Kombination mit Nab-Paclitaxel – im Vergleich zu Placebo in Kombination mit Nab-Paclitaxel – bei zuvor unbehandeltem metastasiertem triple-negativen Mammakarzinom präsentiert.
„Das ist das erste Mal, dass etwas Signifikantes für eine Immuntherapie bei Brustkrebs gezeigt werden könnte“, sagt Peters. „Bis jetzt galt die Entität Brustkrebs als refraktär gegenüber Immuntherapien, als eine der Erkrankungen, bei der Checkpoints kaum aktiv sind.“
Sie betont, dass triple-negative Erkrankungen im Hinblick auf Immuntherapien schon immer die vielversprechendste Untergruppe von Mammakarzinomen gewesen seien Doch die neuen Daten könnten „ein Signal dafür sein, dass Immuntherapien bei einigen Brustkrebsarten wirken könnten … – ein völlig neues Paradigma“, ergänzt sie.
Immuntherapie in der Erstlinie beim Nierenzellkarzinom – in Europa auch ein Politikum
Eine weitere berichtenswerte Präsentation ist die JAVELIN Renal 101-Studie zu Avelumab mit Axitinib versus Sunitinib bei fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom. Dieses Thema sei, so Peters, „in Europa hochpolitisch“, „da mit einer guten Immuntherapie die Anwendung von Sunitinib (Sutent®, Pfizer), das wir immer noch als Erstlinientherapie beim Nierenzellkarzinom einsetzen, in Frage gestellt wird.“
Sie fährt fort: „Wir haben schon zuvor gesehen, dass man Atezolizumab und Bevacizumab als Erstlinientherapie bei Nierenzellkarzinom einsetzen könnte, und man könnte die Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab verwenden, wie in einer im vergangenen Jahr beim ESMO-Kongress präsentierten Studie zu sehen war.
Der politische Aspekt an der Sache ist: Während die Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab etwa in den USA und der Schweiz für die Erstlinientherapie des Nierenzellkarzinoms zugelassen wurde, lehnte die Europäische Arzneimittel-Agentur diese Indikation ab, „so dass die beste Kombination, die wirklich einige Überlebensvorteile gezeigt hat, für Patienten in Europa immer noch nicht verfügbar ist“, so Peters.
Folglich sei jede Studie, die den Effekt einer Erstlinien-Immuntherapie untersuche, „sehr wichtig, um potentielle Akteure für Patienten in Europa zu unterstützen, denn bislang haben sie dazu keinen Zugang“.
Endlich etwas Neues gegen Eierstockkrebs
Eine potentielle Revolution in der Krebsmedizin könnte auch in der Präsentation der SOLO-1-Studie stecken. In dieser Studie wurde bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom mit BRCA-Mutation eine Erhaltungsmonotherapie mit Olaparib erprobt – nach einer platin-basierten Chemotherapie.
Peters sagt, dass es „lange her“ sei, dass neue Strategien bei Eierstockkrebs irgendwelche guten Ergebnisse gezeigt hätten. Wenn die mit Spannung erwarteten Daten den Erwartungen gerecht würden, könnten sie „zu einem kompletten Wandel in der Behandlung des Ovarialkarzinoms mit BRCA1-Mutation führen“.
Weg von der Chemotherapie
Peters erklärt, die „Hoffnung“ sei immer gewesen, Immuntherapien nutzen zu können, um bei Tumoren, „die ausreichend immunogen sind“ von der Chemotherapie wegzukommen. Ausreichend immunogen bedeute üblicherweise ausreichend abnormal für das Immunsystem.
Zu diesen Tumoren gehören z. B. Lungenkrebs, Kopf-Hals-Tumoren, Blasenkrebs und Melanome, die alle durch eine hohe Mutationslast gekennzeichnet sind. „Bei diesen Erkrankungen hoffe ich, dass wir einen Punkt erreichen, an dem wir die Chemo vielleicht nicht loswerden, aber sie als Salvage-Therapie in die zweite oder dritte Linie zurückdrängen können, aber das geht wirklich nur bei den besonders immunogenen Erkrankungen“, sagt Peters.
Bei anderen Krebsarten, wie Brust- und Darmkrebs, hätten Immuntherapien dagegen nur ein geringes Potential, es sei denn man kombiniere sie vielleicht mit einer Chemotherapie oder anderen Krebsmedikamenten, um die Reaktion des Immunsystems auf den Krebs zu verstärken.
Verlierer ist die personalisierte Immuntherapie
Trotz all dieser Fortschritte, die zeigen, dass Immuntherapien bei mehreren Krebsarten als Erstlinienmonotherapien eingesetzt werden können, hätten Marktkräfte dazu geführt, dass das Konzept der personalisierten Immuntherapie sehr gelitten habe, so Peters.
Das gelte selbst für den Lungenkrebs, „eine Erkrankung, bei der man sich vorstellen könnte, zu Strategien ohne Chemo überzugehen, wenn man gute Biomarker findet und die Patienten gut auswählt“, sagt sie. Doch: „Der Markt und der Wettbewerb zwischen den Pharmaunternehmen haben aus der personalisierten Krebsmedizin ein Konzept für Jedermann gemacht, so dass es nun erlaubt ist, allen Patienten mit Lungenkrebs eine Kombination aus Checkpoint-Inhibitor und Chemo zu geben.“
Das sei „sehr frustrierend, denn eigentlich möchten wir etwas wie eine Immuntherapie geben und dafür bei der Chemo sparen, aber an diesem Punkt sind wir nicht, denn der Markt hat uns eine Strategie für eine große Patientenzahl übergestülpt.“
„Aber ich hoffe, dass – wenn die Wissenschaft noch etwas mehr Gelegenheit hatte, voran zu kommen – eine Zeit kommen wird, in der wir immunogene Erkrankungen für 1, 2 oder 3 Therapielinien ohne Chemo behandeln. Es bedarf noch etwas mehr akademischer Arbeit, da bin ich mir ziemlich sicher, bevor wir in der Lage sein werden, die beste Strategie für jeden Patienten zu identifizieren.“
Kongress im Kongress
Im Rahmen des ESMO 2018 findet auch der 2-tägige Jahreskongress der European Oncology Nursing Society (EONS11) statt. Er wird sich vor allem den Themen Symptom-Management und Patientensicherheit durch eine bessere Pflege und Zusammenarbeit von Pflegepersonal und Ärzten widmen.
Auch Patientenanwaltschaft ist ein Schwerpunkt der Tagung, die am Freitag, 19. Oktober, mit dem Symposium „Knowledge is power: Educating patients and advocates“ beginnt. Unter anderem wird es in der Sitzung um die zentrale Rolle gehen, die die Patienten in den Bemühungen der ESMO spielen, den Zugang zu einer optimalen Krebstherapie zu gewährleisten.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Revolutionäre“ Daten – vor allem zur Immuntherapie – erwartet: Der ESMO 2018 könnte ein Meilenstein in der Krebstherapie werden - Medscape - 19. Okt 2018.
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