Erweiterte ambulante Versorgung statt Krankenhaus: KBV will unrentable ländliche Kliniken in ambulante Zentren umwandeln

Christian Beneker

Interessenkonflikte

17. Oktober 2018

Das Krankenhaus Springe in der Nähe von Hannover wäre vielleicht ein Kandidat gewesen. Oder das Krankenhaus Zeven bei Bremen. Beide Häuser waren zu klein und unrentabel. Deshalb musste Springe 2015 schließen und in diesem Sommer schloss auch das Zevener Martin-Luther-Krankenhaus. Nun hat ein Gutachten unter anderem der Universität Bayreuth deutschlandweit rund 190 solcher Einrichtungen gezählt, die, anstatt geschlossen zu werden, in so genannte Intersektorale Gesundheitszentren (IGZ) umgewandelt werden könnten [1].

Dr. Andreas Gassen

Die Rede ist von kleinen Zentren, in denen niedergelassene Ärzte weniger schwer erkrankte Patienten über eine so genannte erweiterte ambulante Versorgung (EAV) behandeln können. „Es bedeutet, dass die Zentren auch über Bettenabteilungen verfügen, in denen Patienten bei Bedarf über Nacht bleiben können“, erläutert Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die das Gutachten in Auftrag gegeben hat.

Mit den IGZ will der Autor Prof. Dr. Andreas Schmid, Gesundheitsökonom von der Bayreuther Universität, 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen – erstens die kleinen Standorte retten – und mit ihnen die Jobs der Klinik-Angestellten – und zweitens die Versorgung auf dem Lande stärken.

 
Die Menschen nur deshalb in eine Klinik zu schicken, weil es kein anderes niederschwelliges Angebot der ärztlichen Überwachung und Pflege gibt, ist nicht nur wirtschaftlich absurd. Prof. Dr. Andreas Schmid
 

Es könnten weit mehr Eingriffe ambulant erfolgen, wenn sichergestellt wäre, dass die Patienten anschließend überwacht und betreut würden, argumentiert Gassen. „Die Menschen nur deshalb in eine Klinik zu schicken, weil es kein anderes niederschwelliges Angebot der ärztlichen Überwachung und Pflege gibt, ist nicht nur wirtschaftlich absurd“, erklärt er. „Es entspricht auch nicht den heutigen medizinischen Möglichkeiten oder den Wünschen der Patienten.“

IGZ „bewusst ambulant verankert“

Der Plan: Die Ärzte würden in den neu strukturierten ambulanten Einrichtungen der IGZ allgemeinmedizinische, internistische und chirurgische Grundversorgung anbieten. Schmid denkt dabei an Behandlungsanlässe wie akute Bronchitis, Pneumonie, Diabetes-Entgleisungen oder Schmerzeinstellung.

„Wir gehen von etwas mehr als 1.000 Behandlungsfällen pro IGZ im Jahr aus“, sagt Schmid zu Medscape. Die Pflege arbeitet rund um die Uhr, die Ärzte während der Sprechzeiten, ansonsten bleiben sie in Rufbereitschaft. Die Patienten sollen nicht länger als 5 Tage in der EAV bleiben. Kooperationen mit Niedergelassenen können das Angebot erweitern, z.B. um ambulante Operationen.

„Wir haben die IGZ bewusst in der ambulanten Versorgung verankert, damit Krankenhausträger die Einrichtungen nicht als Staubsauger für z.B. orthopädische Eingriffe benutzen können, also einzig, um neue Behandlungsfälle im Krankenhaus zu generieren“, erklärt Schmid.

Die IGZ sollen dagegen allgemeinmedizinische und internistische Grundversorgung für solche Fälle anbieten, die weniger lukrativ sind und die die Krankenhäuser deswegen loswerden wollen, so Schmid.

Die Vergütung für die Ärzte soll hoch genug sein, um „ein nachhaltiges Wirtschaften des IGZ zu ermöglichen“ heißt es in der Studie, und niedrig genug, um die IGZ für die Kassen attraktiv zu machen. Schmid denkt dabei an Fallpauschalen im Rahmen eines IV-Vertrages, deren Höhe sich aus den Tagespauschalen der stationären Reha herleiten soll und aus den Krankenhaus-DRGs. „Damit würde sich das Ganze tragen und auch ein positives Geschäftsergebnis erhalten, so haben wir es errechnet.“

 
Wir gehen von etwas mehr als 1.000 Behandlungsfällen pro IGZ im Jahr aus. Prof. Dr. Andreas Schmid
 

Niedergelassene können nicht zusätzlich ein MVZ stemmen

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert das Konzept mit harschen Worten. Zwar sei unklar, wie viel Geld aus dem ambulanten Sektor in die IGZ abfließen würde, sagt Joachim Odenbach, Sprecher der DKG, zu Medscape. „Aber uns geht es nicht darum Pfründe zu sichern, sondern eine gute Versorgung.“

Die Autoren der Studie hätten wenig Verständnis gezeigt für den tatsächlichen Versorgungsbedarf der ländlichen Regionen, unterstreicht Dr. Gerald Gaß, Präsident der DKG. Die Krankenhäuser auf dem Lande leisteten ohnedies bereits umfassende ambulante Versorgung zumal in den Notaufnahmen, argumentiert er. 90% der ambulanten Notfallversorgung auf dem Land erledigten die Krankenhäuser. „Ohne diesen Beitrag der Krankenhäuser sähe es in vielen Regionen Deutschlands bereits sehr düster aus.“

Dabei sei die ambulante Versorgung Sache der KVen und ihrer Vertragsärzte. „Wie sollten die niedergelassenen Ärzte denn ein zusätzliches IGZ stemmen, wo sie schon mit der normalen ambulanten Versorgung Probleme haben?“, fragt Odenbach.

Stattdessen will die DKG die ambulante Versorgung ihrerseits in die Mauern der Kliniken holen und damit genau den umgekehrten Weg gehen, wie der Vorschlag in Schmids Studie.

„Die Deutsche Krankenhausgesellschaft macht sich seit vielen Jahren dafür stark, dass in den ländlichen Regionen die ambulante fachärztliche Versorgung in vollem Umfang auf die dortigen Krankenhaus-Standorte übertragen wird“, betont Gaß, „und damit auch der Sicherstellungsauftrag und die notwendigen Finanzvolumina von der Kassenärztlichen Vereinigung auf diese Kliniken übergeht. Letztlich würde damit nur ordnungspolitisch das vollzogen, was heute bereits längst Realität ist“, sagt der DKG-Präsident.

Das sieht etwa die KV Niedersachsen (KVN) ganz anders. „Wir haben eine funktionierende ambulante Versorgung vor Ort“, sagt Detlef Haffke, Sprecher der KVN. Die IGZ seien daher von der Idee her nicht schlecht aber von der Umsetzung her aufwändig und schwierig. Denn die Erfahrung in Niedersachsen zeige, dass die Kommunen gerne niedergelassene Ärzte als Gründer von MVZs oder ähnlichen Einrichtungen wie eines GZI sähen. Haffke: „Aber da schien uns die Bereitschaft niedergelassener Ärzte nicht groß, die dazu nötigen finanziellen Entscheidungen mitzutragen.“

Im Übrigen, werde es eine schwierige Angelegenheit, wenn die ohnedies überlasteten Landärzte auch noch ein IGZ und die entsprechende Patientenversorgung zu stemmen hätten. Hier ist die KVN in ihrem Urteil nahe bei der DKG. Das IGZ wird den Arztmangel auf dem Land nicht heilen können, räumt auch Schmidt ein.

Man müsse alle in einer Region mitnehmen, so Schmid. Er denkt z.B. an die Ärzte, die zwar im Ruhestand sind, aber noch arbeiten wollen. Oder an die Ärzte, die bei der Schließung eines Hauses nicht an andere Krankenhäuser gehen, „sondern sich die Arbeit in einem GIZ vorstellen können“, sagt Schmidt.

 
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft macht sich seit vielen Jahren dafür stark, dass in den ländlichen Regionen die ambulante fachärztliche Versorgung in vollem Umfang auf die dortigen Krankenhaus-Standorte übertragen wird. Dr. Gerald Gaß
 

In den Krankenhäusern Springe und Zeven war mit der Schließung nicht alles vorbei. In Zeven eröffnet anstelle des geschlossenen Martin-Luther-Krankenhauses bald ein Medizinisches Versorgungszentrum.

Das Krankenhaus Springe dagegen hat seine Zukunft schon hinter sich. Als es 2015 schließen musste, blieb nur eine Notfallambulanz zurück. Doch auch sie erwies sich als zu teuer. Nun sollen Haus und Grundstück verkauft werden.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....