Inhaltsstoff der Cannabis-Pflanze als Therapieoption bei Psychose? Schon eine Dosis Cannabidiol normalisiert Hirnfunktion

Interessenkonflikte

16. Oktober 2018

Eine Einzeldosis Cannabidiol (CBD) kann psychotische Symptome lindern und die Gehirnfunktion normalisieren – darauf deuten jedenfalls die Ergebnisse einer neuen Studie hin [1]. Die Ergebnisse wurden mittels funktioneller Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRI) gewonnen.

„In dieser Studie zeigen wir, dass eine Einzeldosis CBD – eine nicht süchtig machende, natürlich vorkommende Substanz, die im Extrakt der Cannabis-Pflanze vorhanden ist – Anomalien der Gehirnfunktion in wichtigen Hirnregionen – dem Striatum, dem medialen temporären Kortex und dem Mittelhirn – normalisieren kann. Das sind Regionen, von denen wir wissen, dass dort bei Menschen mit Psychose Anormalien der Hirnfunktion auftreten, die eine zentrale Rolle bei der Erhöhung des Risikos der Entwicklung einer Psychose spielen“, sagt der Hauptautor Dr. Sagnik Bhattacharyya Neurowissenschafter und Psychiater am Institute of Psychiatry, Psychology and Neuroscience, King's College London, Großbritannien, gegenüber Medscape Medical News. Der Befund könnte die Wirksamkeit von CBD bei der Linderung psychotischer Symptome erklären.

 
In dieser Studie zeigen wir, dass eine Einzeldosis CBD … Anomalien der Gehirnfunktion in wichtigen Hirnregionen … normalisieren kann. Dr. Sagnik Bhattacharyya
 

„Die wichtigste Take Home Message in diesem Stadium ist, dass diese Studie die gegenwärtige Evidenz bestätigt, dass CBD eine vielversprechende Behandlung sein könnte, da sie auf die an einer Psychose beteiligten Hirnregionen abzielt. Allerdings sind weitere Studien erforderlich, bevor es für den klinischen Routineeinsatz bereit sein kann“, sagt er. Die Studie wurde online in JAMA Psychiatrie veröffentlicht.

Antipsychotische Wirkung von CBD bereits bekannt

Bekanntlich könne der regelmäßige Konsum von Cannabis das Risiko für Psychosen erhöhen. Es sei auch bekannt, dass Psychosen mit Veränderungen im Endocannabinoid-System assoziiert sind, schreiben die Autoren.

Der Cannabinoid-Rezeptor 1 ist im Gehirn „allgegenwärtig“; er reguliert die Funktion von Neurotransmittern, darunter Dopamin und Glutamat, deren Funktionen in der Psychose als gestört gelten. Der Bestandteil von Cannabis der das Psychose-Risiko erhöht, ist Tetrahydrocannabinol (THC). Andererseits verursacht CBD – einer der wichtigsten nicht-psychotischen Bestandteile von Cannabis – „weitgehend gegenläufige neuronale und Verhaltenseffekte“.

Die Autoren verweisen auf frühere Forschungen, die gezeigt haben, dass Personen mit klinisch hohem Psychose-Risiko klinisch signifikante psychotische Symptome erleben, die denen von Patienten mit ausgeprägter Psychose ähneln und ein hohes Maß an Belastung mit sich bringen.

Mehrere präklinische Modelle gehen davon aus, dass die Psychose wohl mit einer gestörten Aktivität im medialen Temporallappen (MTL) einhergeht, welche dann die subkortikale Dopamin-Dysfunktion über dopaminerge Signalwege auf das Striatum und das Mittelhirn überträgt.

Frühere Neuro-Bildgebungsstudien bei Personen mit klinisch hohem Psychose-Risiko deuten auf einen möglichen Zusammenhang mit einer Veränderung der parahippocampalen Struktur und Funktion sowie einer erhöhten Dopaminaktivität im Striatum und Mittelhirn hin.

„Wir wussten aus einigen kleinen Studien mit Psychose-Patienten, dass CBD eine antipsychotische Wirkung hat, aber seine Mechanismen bei der Behandlung von Psychosen waren bisher nicht klar. Daher wollten wir untersuchen, wie CBD auf der Ebene der Gehirnfunktion zur Behandlung von Psychosen funktionieren könnte“, erläutert Bhattacharyya.

Er nannte dies ein „besonders wichtiges Thema“, denn „zu verstehen, wie ein Medikament wirken könnte und ob es auf die Krankheitssubstrate des Gehirns wirkt, ist ein entscheidender Schritt, bevor man das Medikament in größeren und teuren klinischen Studien weiter testet, die wiederum notwendig sind, bevor es in der Klinik eingesetzt werden kann".

Eine weitere „Schlüsselmotivation war, dass es derzeit keine sicheren, gut verträglichen Behandlungen gibt, die für diejenigen funktionieren, die ein klinisches hohes Psychose-Risiko haben", und so besteht ein „dringender Therapiebedarf für diese jungen Menschen, da die derzeit verfügbaren Antipsychotika oder psychologischen Behandlungen entweder nicht funktionieren oder nicht sehr gut vertragen werden“, sagt er.

Probanden mit hohem Psychose-Risiko untersucht

Um der Frage nachzugehen, rekrutierten die Forscher 33 Teilnehmer mit hohem Psychose-Risiko, die zuvor noch nicht antipsychotisch behandelt worden waren. Von diesen Patienten erhielten 16 (medianes Alter: 22,43 Jahre; 35% weiblich) eine einzige orale Dosis von CBD 600 mg und 17 (medianes Alter: 23,35 Jahre; 59% weiblich) erhielten ein Placebo. Darüber hinaus bekamen 19 gesunde Kontrollpersonen (medianes Alter: 23,89 Jahre) ebenfalls Placebo. Die 600-mg-Dosis wurde ausgewählt, weil diese Dosis sich zuvor bei Personen mit etablierter Psychose als wirksam gezeigt hatte.

Die Teilnehmer mussten vor der fMRT 96 Stunden lang auf Cannabis, 24 Stunden lang auf Alkohol und 6 Stunden lang auf Nikotin verzichten. Sie waren auch verpflichtet, 2 Wochen vor Studienbeginn auf den Konsum anderer Freizeitdrogen zu verzichten.

3 Stunden nach der Einnahme einer CBD-Kapsel oder einer Placebo-Kapsel, die im Aussehen identisch war, unterzogen sich die Teilnehmer einer fMRT, während sie eine verbale Lernaufgabe durchführten. Dabei wurden 3 Zustände untersucht: Baseline, Kodieren (die Lernphase) und das Erinnern des Gelernten.

Schon eine Dosis ändert MRT-Befund

Bezogen auf die Baseline war der Kodierungszustand bei den Kontrollprobanden mit einer Aktivierung im linken vorderen cingulären Cortex, im rechten Nucleus caudatus, im linken präzentralen Gyrus und im Cuneus verbunden.

Erinnern zeigte bei den Kontrollprobanden im Vergleich zur Baseline eine Aktivierung im linken parahippocampalen und linken transversalen temporalen Gyrus sowie eine verminderte Aktivierung im linken mittleren Hinterhauptbein, im rechten lingualen und im unteren frontalen Gyrus.

Bei den Teilnehmern mit hohem Psychose-Risiko, die Placebo erhielten, wurde beim Kodieren eine reduzierte Aktivierung im rechten Nucleus caudatus im Verhältnis zu den gesunden Kontrollpersonen gefunden und im parahippocampalen Gyrus und Mittelhirn während des Erinnerns.

Zwar war die Aktivierung in der CBD-Gruppe höher als in der Placebogruppe, aber dennoch geringer als bei den gesunden Kontrollprobanden (Gyrus parahippocampalis /Mittelhirn: CBD: Median -0,013; Interquartile Range -0,027 bis 0,002; Placebo: Median -0,007; IQR -0,019 bis 0,008; Kontrollen: Median 0,034; IQR 0,005 bis 0,059).

„Der Aktivierungsgrad in der CBD-Gruppe lag also zwischen dem in den anderen beiden Gruppen“, kommentieren die Autoren. Es gab keine signifikanten Unterschiede in der Aufgabenerfüllung in der Gruppe.

 
Wir waren sehr beeindruckt von der Tatsache, dass bereits eine einzige Dosis Cannabidiol eine Wirkung auf Hirnregionen hatte, die mit Psychosen in Verbindung stehen ... Dr. Sagnik Bhattacharyya
 

„Wir fanden heraus, dass die Teilnehmer mit Psychose-Risiko unter Placebo-Bedingungen in mehreren Regionen eine unterschiedliche Aktivierung im Vergleich zu den Kontrollgruppen zeigten ... dies schloss die 3 Bereiche ein, die für die Pathophysiologie des Psychoserisikos als kritisch erachtet werden: das Striatum (während der verbalen Kodierung) und das MTL und das Mittelhirn (während der verbalen Erinnerung)“, fassen die Autoren zusammen.

„Wir waren sehr beeindruckt von der Tatsache, dass bereits eine einzige Dosis Cannabidiol eine Wirkung auf Hirnregionen hatte, die mit Psychosen in Verbindung stehen und zwar in einer Weise, die ihrer Rolle als Antipsychotikum entspricht“, so Bhattacharyya.

Eine mögliche Alternative zu bisherigen Antipsychiotika

Prof. Dr. Amresh Shrivastava, emeritierter Professor der Western University, London, Ontario, Kanada, der nicht an der Studie beteiligt war, kommentiert die Studie: Hirnscans sind „sehr wichtig, obwohl sie nur ein Weg sind, die Neurobiologie und die Entwicklung der Psychose zu verstehen“. Er stellt fest, dass „der Übergang zur Psychose in der Regel komplex ist und psychosoziale Faktoren beinhaltet, nicht nur biologische“.

Dennoch hebe die Studie die Bedeutung der Fokussierung auf das Cannabinoid-System hervor, da es einen „wichtigen Neuromodulator“ untersuche und einen Schritt in Richtung „potenzieller Einsatz von Cannabinoid-basierten Antipsychotika bei der Behandlung von Psychosen“ darstelle, was „angesichts der metabolischen Nebenwirkungen der derzeit verfügbaren Wirkstoffe ein großer Vorteil sein wird“, betont Shrivastava.

Bhattacharyya berichtet, dass „wir auf der Grundlage dieser Arbeit nun Mittel für die Durchführung einer groß angelegten, multizentrischen klinischen Studie erhalten haben, um zu testen, ob Cannabidiol bei der Behandlung von Symptomen von britischen Patienten mit einem hohen Psychose-Risiko nützlich sein kann. Wenn sie erfolgreich ist, wird sie den endgültigen Beweis für die Rolle von Cannabidiol als antipsychotisches Mittel liefern und den Weg für den Einsatz in der Klinik ebnen“, fügt er hinzu.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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