In Deutschland haben 26,3% der Kinder und Jugendlichen Übergewicht oder Adipositas. 16,1% aller Kinder haben mindestens eine allergische Erkrankung, etwa allergische Rhinitis, Asthma bronchiale oder Neurodermitis. Außerdem zeigen 20,0% psychische Auffälligkeiten. Und innerhalb eines Jahres musste nahezu jedes 5. Mädchen (19,4%) und jeder 7. Junge (15,2%) wegen eines Unfalls behandelt werden.
Diese Zahlen stammen aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), die im Journal of Health Monitoring des Robert Koch-Instituts veröffentlicht wurden [1].
„Da wir in Deutschland keine epidemiologischen longitudinalen Daten wie in den skandinavischen Ländern haben, sind wir als Pädiater über die KiGGS-Daten sehr dankbar, auch im Sinne präventiver Ansätze“, sagt PD Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin (DGKJ), im Gespräch mit Medscape. „Die Ergebnisse entsprechen auch ‚gefühlten Wahrheiten‘ aus der Praxis.“
Aus Sicht der Prävention nennt Rodeck Übergewicht in jungen Jahren als größte Herausforderung. „Bei sozial benachteiligten Familien hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder vom Dreifachen auf das Vierfache erhöht – verglichen mit sozial gut gestellten Familien.“
Der Experte warnt: „Wir hängen gerade eine ganze Bevölkerungsgruppe ab, die in ihrem Ernährungs- und damit Gesundheitsverhalten gravierende Fehler macht und die man mit dem Ziel einer besseren Gesundheitskompetenz stärker als bisher präventiv begleiten muss.“ Große Veränderungen gebe es im Vergleich zur KiGGS-Basiserhebung generell aber nicht.
Für die 2. KiGGS-Welle wurden zwischen 2014 und 2017 Gesundheitsdaten von rund 15.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland erhoben. Sie lassen sich mit der 1. KiGGS-Studie, der Basiserhebung, aus den Jahren 2003 bis 2006 vergleichen.
Hohe Krankheitslast durch allergische Erkrankungen
Bei allergischen Erkrankungen geben Wissenschaftler als 12-Monats-Prävalenzen für Heuschnupfen 8,8%, für Neurodermitis 7,0% und Asthma bronchiale 3,5% an. Jedes 6. Kind (16,1%) leidet an mindestens einer allergischen Erkrankung.
Außerdem sind 37,1% aller 3- bis 17-Jährigen gegen die Allergenmischung SX1 sensibilisiert. Sie enthält Hausstaubmilben, Katzenschuppen, Hundeschuppen, Lieschgras, Roggen, Cladosporium herbarum, Birke und Beifuß. Allergische Erkrankungen seien „auf hohem Niveau stabil geblieben“, heißt es im Artikel.
Psychische Erkrankungen leicht rückläufig
Deutlich besser sieht es bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten aus. In der KiGGS-Basiserhebung waren noch 20,0% aller Teilnehmer betroffen. Die Prävalenz lag jetzt bei 16,9%, was vor allem auf rückläufige Trends bei den Altersgruppen zwischen 9 und 17 Jahren zurückzuführen ist.
Als wichtigste Erkrankung wurde die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) detailliert betrachtet. Bei KiGGS-2 hatten 4,4% aller 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen ADHS als ärztliche Diagnose erhalten. Das ist etwa ein Prozentpunkt weniger als bei der Basiserhebung. Dieser Rückgang betrifft ausschließlich Jungen zwischen 3 bis 8 Jahren.
Unfallverletzungen
Für Kinder und Jugendliche sind Unfälle die häufigste Todesursache, aber auch die häufigste Ursache für langfristige Beeinträchtigungen. Im Vergleich zu älteren Daten hat sich die Verletzungsprävalenz nicht verändert. Innerhalb von 12 Monaten wurden 17,4% aller 1- bis 17-Jährigen wegen eines Unfalls ärztlich behandelt.
Unfälle betrafen Jungen signifikant häufiger als Mädchen (19,4% versus 15,2%). Ältere Kinder und Jugendliche verunglückten etwas häufiger als jüngere, insgesamt waren die Unterschiede jedoch gering.
Übergewicht und Adipositas
Um das Körpergewicht zu bewerten, arbeiteten Forscher mit Referenzsystemen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der International Obesity Task Force (IOTF). Gemäß WHO-Definition hatten 1,6% der 5- bis 17-Jährigen Untergewicht, 26,3% Übergewicht oder Adipositas und 8,8% Adipositas.
Legt man IOTF-Vorgaben zugrunde, ergab sich bei 10,0% Untergewicht, bei 19,3% Übergewicht einschließlich Adipositas und bei 4,7% Adipositas. „Im Zeitverlauf ist nach nationalem wie internationalem Referenzsystem kein weiterer Anstieg der Übergewichts- und Adipositas-Prävalenzen zu beobachten, sie liegen aber weiterhin auf einem hohen Niveau“, schreiben die Autoren.
Soziale Situation und Gesundheit
Die neuen KiGGS-Daten belegen auch die bekannte Assoziation zwischen niedrigem sozioökonomischem Status und Krankheiten. Bei den 12-Monats-Prävalenzen für Asthma bronchiale und Heuschnupfen zeigten sich nur schwache Zusammenhänge. Deutlich ausgeprägter war der Zusammenhang bei psychischen Auffälligkeiten oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
Bei Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Status war das Risiko um das 2,8- bis 4,4-Fache höher als bei gleichaltrigen mit höherem sozioökonomischem Status. Adipositas tritt in der vulnerablen Gruppe ebenfalls 4-mal häufiger auf.
„Um allen Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, sollten Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention bereits früh im Lebenslauf ansetzen und zielgruppenbasiert zugeschnitten werden“, fordern die Autoren.
Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: KiGGS-Daten bestätigen „gefühlte Wahrheiten aus der Praxis“: Übergewicht nimmt vor allem in sozial schwachen Familien zu - Medscape - 16. Okt 2018.
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