BERLIN — Kalorienfreie Süßstoffe beeinträchtigen offenbar die Aufnahme und die Kontrolle des Blutzuckers, indem sie das Darmmikrobiom durcheinanderbringen, wie australische Forscher erstmals zeigen konnten. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass künstliche Süßstoffe sich möglicherweise verheerend auf die blutzuckersenkende Medikation von Patienten mit Diabetes auswirken könnten [1].
In einer Studie mit gesunden Freiwilligen, die beim 54th Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Berlin präsentiert worden ist, zeigen Dr. Richard L. Young, Leiter der Intestinal Nutrient Sensing Group an der University of Adelaide, Australien, und seine Kollegen, dass die Einnahme von Süßstoffkapseln im Vergleich zu einem Placebo das Ökosystem Darm zugunsten krankheitserregender Bakterien verändern kann.
Zwei Wochen reichen aus
Bei einer Pressekonferenz sagte Young, dass „zwei Wochen Supplementierung mit Süßstoffkapseln die Glukoseabsorption und die glykämische Reaktion auf Glukose erhöhten und den durch Glukose bedingten Anstieg des Peptidhormons Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) reduzierten“.
„Ich hoffe, ich habe Sie überzeugt, dass [Süßstoffe] Veränderungen im Mikrobiom des Darms auslösen – auch seiner funktionellen Eigenschaften“, fügte er hinzu.
Auf Nachfrage von Medscape, ob – basierend auf ihrem Einfluss auf den GLP-1-Level – Süßstoffe auch die Wirksamkeit von Diabetesmedikamenten beeinflussen könnten, sagte er: „Es besteht definitiv die Möglichkeit einer Wechselwirkung.“
Young wies auf ebenfalls beim diesjährigen EASD-Kongress vorgestellte Poster hin, die zeigen, dass einige der Effekte „einiger GLP-1-Rezeptoragonisten mit Sicherheit durch Veränderungen des Darmmikrobioms vermittelt werden. Dabei handelt es sich um eine ganz neue Phänomenologie“. Er ergänzte: „Ich denke, wenn Mediziner versuchen, Mechanismen zu verstehen, denken sie nicht oft als Erstes an das Mikrobiom.“
Auch die Vorteile berücksichtigen
Um einen Kommentar gebeten, sagte Prof. Ellen E. Blaak, eine der Vorsitzenden der Kongress-Session und Professorin für die Physiologie des Fettstoffwechsels an der NUTRIM School of Nutrition and Translational Research der Universität Maastricht, Niederlande, dass die Ergebnisse „interessant“ seien.
Sie betonte, dass sie gerne mehr Langzeitdaten sehen würde. Allerdings sei es bei solchen Studien wichtig, was als Placebo eingesetzt werde. „Verwendet man mit Zucker gesüßte Getränke als Placebo, werden die Ergebnisse anders ausfallen.“
Blaak merkte außerdem an, dass man die vorteilhaften Effekte künstlicher Süßstoffe in moderaten Mengen nicht außer Acht lassen dürfe, da diese bei der Umsetzung von Lebensstil-Veränderungen helfen könnten. Auf der anderen Seite stünden die potentiell schädlichen Effekte einer zu großen Menge an Süßstoffen. „Ich denke, das Ganze hat zwei Seiten.“
Süßstoffe stören Darmbakterien
Young begann seine Präsentation, indem er feststellte, dass „die meisten [Süßstoffe] erst vor kurzem Bestandteil der Nahrungskette wurden und die Zahl an Süßstoff-Produkten auf dem Markt exponentiell zunimmt.“ Er ergänzte: „Natürlich werden sie zunehmend in Richtung des gesundheitsbewussten Sektors vermarktet.“
Frühere Studien lieferten allerdings Hinweise, dass ein hoher Süßstoff-Konsum mit einer schlechteren glykämischen Kontrolle assoziiert ist und dass der HbA1c-Wert mit zunehmendem Konsum süßstoffhaltiger Getränke ansteigt.
Beim EASD-Kongress im vergangenen Jahr zeigten Young und sein Team - Medscape berichtete – dass Süßstoffe im Vergleich zu Placebo mit einem Anstieg der 3-O-Methyl-Glukose-Absorption um 20% und einem Anstieg der Plasmaglukoselevel um 24% verbunden sind (p <0,05 für beide) – auch dies bei gesunden Freiwilligen. Die Süßstoffe waren im Vergleich zu Placebo außerdem mit einer Reduktion der GLP-1-Level um 34% assoziiert (p <0,05).
Und Experimente mit Mäusen hätten gezeigt, dass eine Supplementierung mit Süßstoffen zu Veränderungen des Darmmikrobioms führten, dass sich mikrobielle Kohlenhydrat-Stoffwechselwege veränderten und die Menge an kurzkettigen Fettsäuren in den Faeces zunähmen, sagte Young.
Er merkte an, dass die Mehrzahl der Humanstudien von begrenzter Dauer gewesen seien und keine davon hätte die Glukoseabsorption gemessen. Für die aktuelle Analyse randomisierten Young und sein Team 40 Probanden ohne Diabeteserkrankung auf eine Placebo- oder eine Süßstoffkapsel mit 92 mg Sucralose und 52 mg Acesulfam – das entspricht etwa der Menge in 1,2 Litern Light-Getränken am Tag.
Die Studienteilnehmer nahmen die Kapseln dreimal täglich über 2 Wochen mit einem standardisierten Abendessen. Am Ende standen für 16 Placebo-Teilnehmer und 17 Teilnehmer im Süßstoffarm vollständige Datensätze zur Auswertung zur Verfügung. Zu Studienbeginn waren die beiden Gruppen hinsichtlich Patienten- und klinischer Eigenschaften vergleichbar.
Weniger „gute“, mehr „schlechte“ Bakterien
Das Darm-Mikrobiom der Teilnehmer wurde vor und nach den 2 Studienwochen anhand von Stuhlproben analysiert. Die Arbeitsgruppe um Young wollte herausfinden, ob die Supplementation mit Süßstoffen das menschliche Darm-Mikrobiom in einer Art und Weise verändern würde, die auf glykämische Veränderungen hindeuten.
„Wir sahen eine ganze Reihe verschiedener Bakterienarten hervortreten … Im Wesentlichen war ein Verlust an gesundheitsförderlichen Bakterien zu beobachten“, erklärte er.
So nahmen z. B. die Konzentrationen an Eubacterium cylindroides ab, ebenso wie die Level an nützlichen und fermentativen Bifidobacterium-, Lactobacillus- und Bacteroides-Populationen ab. Diese Spezies sind mit einer verstärkten Glukoseabsorption assoziiert (p ≤0,001 für alle). Darüber hinaus reduzierten sich die Butyrivibrio-Level. Von diesen Bakterien ist gezeigt worden, dass sie mit einer verlangsamten GLP-1-Freisetzung assoziiert sind (p ≤ 0,001).
„Im Gegensatz dazu sahen wir Zunahmen bei verschiedenen Darmpathogenen, die bei gesunden Menschen normalerweise gar nicht oder nur in geringen Mengen vorkommen“, sagte Young. Insbesondere war eine Zunahme von 11 opportunistischen Darmpathogenen zu beobachten, darunter Klebsiella, Porphyromonas und Finegoldia (p≤0,001 for all).
„Bei gesunden, nicht-diabetischen Probanden reichte eine zweiwöchige Supplementation mit Süßstoffen aus, um die Darmbakterien durcheinander zu bringen und die Häufigkeit derer zu erhöhen, die man bei gesunden Menschen eigentlich nicht findet“, fasste das Team zusammen.
Die beobachtete Abnahme fermentativer Bakterienpopulationen und die Veränderungen von Signalwegen, die von den Bakterien zur Energiegewinnung genutzt werden „deuten darauf hin, dass sich die Fähigkeit des Körpers, den Blutzucker zu regulieren, verschlechtern könnte“, fügten sie hinzu.
Beweis für Kausalität steht noch aus
„Unsere Ergebnisse sprechen für die Annahme, dass solche Süßstoffe die Blutzuckerkontrolle bei gesunden Menschen verschlechtern, indem sie in die Regulation von Glukoseaufnahme und Glukoseverbrauch eingreifen, aber auch durch Veränderungen des Gleichgewichts der Darmbakterien. Dies zeigt deutlich, welche klinische Bedeutung die Verwendung von Süßstoffen in der Ernährung auf die Blutzuckerkontrolle hat.“
Young sagte, dass er und seine Kollegen als Nächstes testen würden, ob die Assoziation zwischen Süßstoffen, den Veränderungen im Darmmikrobiom und den glykämischen Veränderungen kausaler Natur sei. Sie werden zu diesem Zweck „sowohl weitere Experimente mit gesunden Probanden als auch Experimente mit Menschen mit Diabetes durchführen, da diese besonders viel Süßstoffe konsumieren“.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und angepasst.
Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: Stören künstliche Süßstoffe die Blutzucker-Regulation durch Effekte auf Darmbakterien? - Medscape - 12. Okt 2018.
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