Warum sollten Patienten den medizinischen oder gesundheitlichen Rat eines russischen Bots beachten? Vielleicht, weil sie nicht wissen, dass es ein Bot ist?
Im folgenden Kommentar für Medscape erklärt Dr. Bruce Y. Lee am Beispiel der Impfdebatte, wie sich internationale Internet-Firmen unbemerkt auf den Plattformen sozialer Medien in die Diskussion über heikle Themen einmischen. Sie nützen fingierte Internet-Identitäten, um in sozialen Medien, wie Twitter und Facebook, in Kommentarspalten oder Online-Foren gezielt die öffentliche Meinung zu manipulieren. Nicht nur in der Politik, sondern auch bei Gesundheitsthemen sorgen sie für Chaos und Verwirrung.
Der Autor ist Experte für Digital Health und Dozent für International Health an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health sowie an der Johns Hopkins Carey Business School in den USA. Er schreibt Bücher und regelmäßig Artikel für verschiedenste Print- und Onlinemedien wie Time, Forbes, The Guardian, STATNEWS.com oder die MIT Technology Review. Er dokumentiert die beunruhigende Entwicklung mit einer Studie und motiviert Ärzten mit wichtigen Tipps, immer wieder zu versuchen, Ihre Patienten mit valider Information zu erreichen.
Ein „Bot“, kurz für „Internet-Bot“ oder „Web-Roboter“, ist kein Mediziner. Es handelt sich um eine Software, die automatisierte, sich wiederholende Aufgaben über das Internet ausführt. Sie wird zum Beispiel für gezielte Werbemaßnahmen eingesetzt und scheinbar auch zur „Gesundheitsberatung“. Wenn man in sozialen Netzwerken unterwegs ist, ist man wahrscheinlich schon einmal einem solchen Bot begegnet.
Das Internet und die sozialen Medien haben auch in der Medizin und dem Gesundheitswesen viele neue und spannende Möglichkeiten eröffnet. Aber sie führten auch zu einer explosionsartigen Diarrhö an Fehlinformationen über Gesundheitsthemen.
Obwohl einige dieser Fehlinformationen unbeabsichtigt sind, hat eine kürzlich im American Journal of Public Health veröffentlichte Studie gezeigt, dass viele Fake-News auch durchaus mit Absicht verbreitet wurden. Genau wie bei der echten Diarrhö kann eine absichtlich in Umlauf gebrachte Fehlinformation ganz verschiedene Formen annehmen, schwer aufzuhalten sein und für gesundheitliche Probleme sorgen.
Verseuchtes Twitter
Die Studie konzentrierte sich auf über 250 Tweets zum Thema Impfungen. Forscher der George Washington University, der University of Maryland und der Johns Hopkins University fanden bei der Überprüfung dieser Tweets zum Thema Impfungen sowohl starke pro- als auch contra-gefärbte Nachrichten.
Sie wurden von Juli 2014 bis September 2017 von Accounts verschickt wurden, die mit der russischen „Agentur für Internet-Forschung“ (engl. Internet Research Agency) verbunden sind. Richtig, es handelt sich hierbei um die gleiche Troll-Agentur, die von einer US Grand Jury der Einmischung in die US-Wahlen 2016 beschuldigt wurde. Diese Agentur gilt auch als Urheber rassistischer Nachrichten für und gegen ethnische Minderheiten in den sozialen Medien.
Würden Sie jemandem zuhören, der gleichzeitig sagt: „Lassen Sie sich impfen, aber vermeiden Sie Impfungen“? Sie verbreiten mit großer Vehemenz widersprüchliche Aussagen. Die Twitter-Accounts wiesen viele verschiedene Absender auf, sodass es für den Leser nicht erkennbar war, dass diese stark unterschiedlichen Meinungen alle aus derselben Quelle stammten.
Was hat diese russische Troll-Agentur mit Impfstoffen zu tun?
Sorgen sich die Russen tatsächlich um die Gesundheit der US-amerikanischen Bevölkerung? Der Zweck dieser Botschaften könnte darin bestehen, die Auseinandersetzungen zu diesem Thema anzufachen und die Amerikaner gegeneinander aufzuhetzen, indem sie eine Debatte erzeugen, wo es gar keine geben sollte. Einfach um ein wenig Chaos verbreiten. Dabei haben Impfstoffe Milliarden von Leben gerettet und verbessert, ohne dass es praktikable Alternativen gäbe. Aber warum wir hier heimlich manipuliert?
Gesellschaftliche Auseinandersetzungen können ein Land schwächen. Chaos kann für Ablenkungen sorgen, die es anderen, z.B. ausländischen Unternehmen oder Regierungen, ermöglichen, sich einzuschalten und ihre Vorteile daraus zu ziehen, wenn sie etwa beeinflussen wollen, wer in politische Ämter gewählt wird. Dies kann aber auch auf Unternehmen zutreffen, die ihre Marktanteile und ihre Marktkontrolle ausweiten wollen..
Auch illegale, unethische oder schädigende Geschäftspraktiken sowie Spionage-Aktivitäten lassen sich viel besser verbergen, wenn die Gesellschaft mit anderen Themen zu sehr beschäftigt ist. Ein Vergleich: Wenn in Ihrem Zimmer die totale Unordnung herrscht, ist es schwieriger, den Überblick zu behalten. Oder: Wenn Sie sich mit einem Mannschaftskameraden streiten, wird ihr Team das Spiel eher verlieren.
Ein großes Ablenkungsmanöver?
Der Einsatz von Bots ist nur ein Beispiel dafür, dass Gesundheitsmeldungen auch aus anderen Gründen verwendet werden können, als zur Verbesserung der Lebensqualität. Weil die Gesundheit jeden angeht, lassen sich solche Themen zu vielerlei Zwecken instrumentalisieren: um Auseinandersetzungen zu schüren und Chaos zu verbreiten, um berühmt zu werden oder einfach Geld mit dem Verkauf von bestimmten Waren und Dienstleistungen zu verdienen.
Der wirtschaftliche Vorteil kann ein direktes oder auch ein indirektes Ziel sein. Wer Zweifel an etablierten und wissenschaftlich begründeten medizinischen Prinzipien sät, kann Menschen davon überzeugen, sich mit Alternativen wie Nahrungsergänzungsmitteln oder nicht evidenzbasierten Therapiemethoden zu befassen. Alex Jones (ein US-amerikanischer ultra-rechter Verschwörungstheoretiker, die Red.) ist z.B. jemand, der Verschwörungstheorien zu Gesundheitsfragen in Umlauf bringt und herrschende wissenschaftliche Prinzipien infrage stellt – und gleichzeitig Nahrungsergänzungsmittel und Gesundheitsprodukte verkauft.
Was können Sie als Mediziner gegen die Fehlinformationen unternehmen?
Bauen Sie ein Vertrauensverhältnis zu Ihren Patienten auf. Das ist das Wichtigste, was Sie tun können. Patienten sind eher bereit, zuzuhören und ehrlich zu sein, wenn sie jemanden schon seit vielen Jahren kennen und vertrauen. Ohne eine solche Beziehung sind Sie für Ihren Patienten nur ein großes Stethoskop auf Beinen.
Befassen Sie sich selbst mit Gesundheitsinformationen aus sozialen Netzwerken. Um angemessen reagieren zu können, müssen Sie verstehen, was da passiert. Wenn Sie „auf Youtube twittern“ und Facebook für eine Gesichtserkennungssoftware halten, werden Sie ihren Patienten gegenüber schnell unglaubwürdig und kommen als Quelle für valide Gesundheitsinformationen schon bald nicht mehr in Betracht.
Seien Sie mehr als eine reine Datenbank und ein Krankheitsmanager. Ihr Wert drückt sich nicht in der Menge an Informationen aus, die Sie sich in den Kopf stopfen, um sie dann auf Kommando wieder auszuspucken. Sie sind auch mehr als ein Techniker, der bestimmte Verfahren durchführen kann. Sie sind vielmehr Zuhörer, Lehrer, vertrauenswürdiger Berater und fördern als Anwalt Ihrer Patienten das Verständnis für die eigene Gesundheit.
Sprechen Sie mit Ihren Patienten über die sozialen Netzwerke und die Quellen der Gesundheitsinformationen. Diese Themen nicht anzusprechen, bedeutet das kleine Männchen zu ignorieren, das auf den Schultern Ihrer Patienten sitzt und ihnen ständig Dinge ins Ohr flüstert. Sie können mit ihnen besprechen, wo sie am ehesten seriöse und zuverlässige Informationen bekommen und wie sie am besten die tagtäglich ungefiltert auf sie einprasselnden Informationen verarbeiten können.
Verurteilen Sie Ihre Patienten nicht und machen Sie sich nicht über sie lustig, weil sie sich mit bestimmten Quellen befassen. Der sicherste Weg, Ihre Patienten zu verlieren ist es, sie zu verurteilen. Sie machen zweifellos auch Fehler, wenn Sie Entscheidungen treffen und Informationsquellen nutzen. Andernfalls wäre jede ihrer Beziehungen, jeder Arbeitsvertrag, den Sie unterschrieben haben, jeder Kauf und jeder ausgefüllte Lottoschein ein voller Erfolg gewesen.
Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre Entscheidungen zu erklären. Gehen Sie nicht automatisch davon aus, dass die Patienten Ihnen aufmerksam zuhören, nur weil Sie Arzt sind.
Nennen Sie zuverlässige Quellen für Gesundheitsinformationen. „Hören Sie nur auf das, was ich Ihnen sage“ ist kein akzeptabler Rat. Geben Sie Ihren Patienten (Internet-)Adressen von nützlichen, seriösen und aktuellen Informationsquellen an die Hand.
Überdenken Sie Ihre eigenen Methoden der Gesundheitskommunikation. Vielleicht können Sie Ihren Patienten ja außerhalb der Dienstzeiten Informationen und Informationsquellen z.B. über Twitter oder Facebook vermitteln.
Bemühen Sie sich um mehr Zeit mit den Patienten. Alle aufgeführten Punkte erfordern ein Mehr an Zeit. Fünfzehn Minuten sind vielleicht genug Zeit, um auf die Toilette zu gehen und ein paar Texte zu verschicken, aber für echte Interaktionen und einen sinnvollen Informationsaustausch reichen sie nicht aus. Wenn die Patienten die Dauer und Interaktion mit ihren Gesundheitsdienstleistern als nicht befriedigend erleben, wenden sie sich zuhause eben ihren sozialen Netzwerken und anderen Quellen zu.
Ihr Rat ist einer von Vielen. Denken Sie daran, wenn Sie mit Ihren Patienten sprechen, dass Sie nur eine Stimme im Chor der Meinungen und fragwürdigen Gesundheitsinformationen sind. Sie muss sich daher mehr denn je hell und klar über die der anderen erheben.
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Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Fake-News-Angriffe über Twitter: Russische Anti-Impf-Bots stiften Verwirrung – 10 Tipps, damit der Patient auf Ihren Rat hört - Medscape - 10. Okt 2018.
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