Gegen viele Widerstände: Bundeskabinett beschließt Terminservice- und Versorgungsgesetz – die wichtigsten Neuregelungen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. Oktober 2018

Das Bundeskabinett hat das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beschlossen – gegen die Proteste von Verbänden und der ärztlichen Selbstverwaltung [1].

Das Gesetz sei eines, „das sehr konkret im Alltag helfen wird, die Versorgung von gesetzlich Versicherten in Deutschland zu verbessern:“, lobt Spahn die Vorlage, „für einen schnelleren Termin, für eine bessere ländliche Versorgung und eben auch für einen verbesserten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.“

Das sehen die Ärzte ganz anders. Gerade die zusätzlichen Sprechstundenzeiten, die die Niedergelassenen bald vorhalten müssen, ist den Ärzten und ihren Vertretern ein Dorn im Auge.

Mehr Leistungen, mehr Geld

Die wichtigsten Neuregelungen im Einzelnen:

  • Niedergelassene Ärzte müssen künftig 25 Sprechstunden in der Woche anbieten, die Hausbesuche werden eingerechnet. Facharztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Versorgung, wie z.B. konservativ tätige Augenärzte oder Gynäkologen müssen mindestens 5 Stunden pro Woche ohne vorherige Terminvereinbarung als offene Sprechstunde anbieten.

  • Die Terminservicestellen werden über die Notdienst-Nummer 116117 täglich und rund um die Uhr zu erreichen sein, und sie werden um ein Online-Angebot erweitert. In dringenden Fällen werden auch Termine während der Sprechzeiten in Arztpraxen vermittelt.

  • Extravergütungen werden unter anderem für die erfolgreiche Vermittlung eines dringenden Facharzt-Termins durch einen Hausarzt (5 Euro) gezahlt, für Akutleistungen, die für einen Patienten erbracht wurden, der von der Terminvermittlungsstelle kam, für neue Patienten in der Praxis (plus 25% auf die Grundpauschale), für Leistungen, die in den offenen Sprechstunden erbracht werden (plus 15% auf die Grundpauschale) und mehr Geld für die sprechende Medizin. Die zusätzlichen Honorare belaufen sich laut Spahn auf rund 600 Millionen Euro im Jahr.

  • Bis 2021 müssen die Krankenkassen ihren Patienten eine elektronische Patientenakte anbieten.

  • Landärzte erhalten obligatorisch mehr Geld.

  • Alle KVen müssen einen Strukturfonds vorhalten und ihn auf 0,2% der Gesamtvergütung verdoppeln. Zusätzlich müssen sie in unterversorgten Gebieten mehr Initiative ergreifen, zum Beispiel durch Eigeneinrichtungen.

  • Auch die Pflegeleistungen werden erweitert. Zukünftig können ambulante Pflegedienste auch Hilfe im Haushalt abrechnen, gedächtnisfördernde Beschäftigungen oder Gespräche mit ihren Patienten.

  • Ferner ist vorgesehen, „die Transparenz bei der Veröffentlichung der Vorstandsgehälter bei Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen zu verbessern und künftige Vergütungssteigerungen bei den Spitzenorganisationen auf Bundesebene zu begrenzen“, so das Bundesgesundheitsministerium (BMG).

„Missachtung der Arbeitsleistung“

Nach Ansicht vieler Ärzte macht das Gesetz die Versorgungssituation schlechter statt besser. Am Tag des Kabinettsbeschlusses hat z.B. die Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) den Gesetzentwurf mit flammenden Worten zurückgewiesen. Der Entwurf sei eine „Missachtung der Arbeitsleistung und des Engagements der Kolleginnen und Kollegen in der ambulanten ärztlichen Versorgung“, heißt es in einer Resolution der 60 Delegierten der Versammlung in Hannover.

Sie sprechen sich gegen die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen wöchentlichen Mindestsprechstundenzeit von 25 Stunden aus. Kammerpräsidentin und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Martina Wenker sagte, die im Gesetz vorgesehene Mindestsprechzeit sei ein „immenser Eingriff in die Selbstverwaltung des freien Arztberufs und beschädigt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient“. Mindestsprechzeiten machten die Versorgung nicht besser, erklärt Wenker.

Ulrich Weigeldt

Das Gesetz haben „insgesamt deutlich mehr Schatten als Licht“, meint auch der Vorsitzende des Deutschen Hausärzte-Verbandes, Ulrich Weigeldt. Um längere Wartezeiten von GKV-Patienten zu vermeiden, fordert der Verband den Hausarzt als Lotsen, die den Behandlungsprozess ihrer Patienten strukturieren.

 
Erschreckend ist die Kleinteiligkeit eines Wusts an Regelungen, die in die Praxisgestaltung eines freien Berufs erheblich eingreifen und zugleich ein Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung darstellen. Dr. Andreas Gassen
 

Dr. Andreas Gassen

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, begrüßt, dass durch die Gesetzesvorlange das Prinzip „mehr Geld für mehr Leistung“ gestärkt werde. „Erschreckend ist die Kleinteiligkeit eines Wusts an Regelungen, die in die Praxisgestaltung eines freien Berufs erheblich eingreifen und zugleich ein Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung darstellen. Dies alles wird die Bürokratie in den Arztpraxen noch einmal deutlich erhöhen“, prognostiziert der KBV-Chef.

Auch die Vertreterversammlung der KBV protestiert: In einer Resolution zum TSVG beklagen die Vertreter, das neue Gesetz wäre „geeignet, die Attraktivität der Niederlassung weiter zu vermeiden. Wir brauchen im Gegenteil mehr Gestaltungsfreiheit und Regionalität im Bereich der Selbstverwaltung“.

Die Krankenkassen begrüßen unter anderem den verpflichtenden Ausbau der Terminservicestellen. Aber sie kritisieren die zusätzlichen Honorare für die Ärzte. Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, erklärt: „Mehr Geld in Form von Zuschlägen oder dergleichen alleine dafür, dass die niedergelassenen Ärzte in ihrer Gesamtheit die Aufgaben im Bereich der Sprechzeiten und der Terminvergabe nicht länger vernachlässigen, lehnen wir ab.“

Nach Angaben BMG soll das Gesetz im Frühjahr 2019 in Kraft treten. Eine Zustimmung des Bundesrates ist nicht nötig.

 

Kommentar

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