Paris – Makrolide können bei vielen obstruktiven Atemwegserkrankungen Exazerbationen vorbeugen und die Mukus-Produktion drosseln, auch bei den „Biggies“ Asthma und COPD. Die Wirkung basiert neuen Erkenntnissen zufolge auf komplexen Effekten auf Entzündung und Mikrobiom.
Die Überlegung, Makrolide bei obstruktiven Atemwegserkrankungen einzusetzen, stützt sich weniger auf die antimikrobiellen Effekte der Substanzklasse. Vielmehr wird versucht, sich die immun-modulatorischen Zusatzeffekte zunutze zu machen.
Schwere Exazerbationen um mehr als 40% reduziert
Die Wirkung auf Exazerbationen ist tatsächlich eindrucksvoll, wie Prof. Dr. Peter Gibson, Universität Newcastle, beim europäischen Kongress für Atemwegserkrankungen der ERS (European Respiratory Society) in Paris demonstrierte [1].
Zur COPD liegen 9 randomisierte klinische Studien mit einem der 3 oralen Makrolide Erythromycin, Clarithromycin oder Azithromycin und einer Mindestlaufzeit von 3 Monaten vor, die kürzlich in einem systematischen Review zusammengefasst worden sind. Heraus kam eine Reduktion des Exazerbationsrate um 42%.
Zum Asthma gibt es 2 placebo-kontrollierte klinische Studien, beide mit Azithromycin durchgeführt. Sie heißen AZISAST und AMAZES. AZISAST untersuchte 109 Patienten mit schwerem unkontrolliertem Asthma über eine Laufzeit von 26 Wochen und kam zu dem Schluss, dass das Makrolid, in einer Tagesdosis von 250 mg gegeben, schwere Exazerbationen und Infektionen über alle Patienten gesehen nicht verhindern konnte. Bei der Subgruppe derer mit nicht-eosinophilem Asthma wurde aber durchaus ein Effekt beobachtet.
AMAZES war mit 420 Patienten deutlich größer und lief doppelt so lange. Sie eignet sich deshalb auch dazu, neben Exazerbationsraten und Verträglichkeit auch einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, sprich was sich bei Inflammation und Mikrobiom tut unter der Makrolid-Therapie. Das Dosisschema war etwas anders als in AZISAST: Die Patienten erhielten 3-mal wöchentlich 500 mg Azithromycin.
„Der Effekt auf das Exazerbationsrisiko bei Asthma ist dem bemerkenswert ähnlich, was wir in den COPD-Studien gesehen haben“, meinte der australische Pneumologe: Die Reduktion fiel mit 41% praktisch genauso hoch aus (1,07 vs 1,87 Exazerbationen/Jahr), wobei die Kurven bis Studienende immer weiter auseinanderstrebten. Die Zeit bis zur ersten Exazerbation wurde nahezu verdreifacht (344 Tage vs 148 Tage).
Wer gehört zur Zielgruppe für Makrolide
„Nach Ende der Studie wussten wir zwar, dass Azithromycin wirkt, aber es war weitgehend unklar, welche Patienten ein Makrolid bekommen sollten – die mit schwerem Asthma? Oder die, die selbst mit hohen Dosen von inhalativen Steroiden und Beta2-Mimetika und nach Optimierung der Inhalationstechnik nicht stabil zu halten sind?“, so Gibson. Deshalb wurden weitere Analysen angestellt.
Viele verliefen jedoch im Sande. So ließ sich kein Zusammenhang mit dem Schweregrad des Asthmas oder der Therapieintensität bei Studienbeginn herstellen. Auch der Asthma-Phänotyp scheint keine wesentliche Rolle zu spielen. Azithromycin wirkte bei eosinophilem Asthma ebenso gut wie bei nicht-eosinophilem und zeigte keinerlei Effekt auf die Zellzahlen im Sputum.
Im nächsten Schritt wurde die Gensignatur anhand von 6 Genen untersucht, die für inflammatorische Prozesse zuständig sind und deren Expression mit dem Phänotyp korreliert. Darunter waren 3 Gene, die den eosinophilen Phänotyp kennzeichnen (Charcot-Leyden-Crystal-Protein, Mastzell-Carboxypeptidase A, Desoxyribonuklease I-like 3), und 3 für den neutrophilen Phänotyp (Interleukin-8-Rezeptor CXCR2, Alkalische Phosphatase, Interleukin-1-beta).
Die Expression dieser Gene sagt die Response auf inhalative Steroide voraus und wird durch diese beeinflusst. In diesem Fall war das Ergebnis jedoch Fehlanzeige. Gibsons Kommentar: „Wir haben ein Arzneimittel, das Exazerbationen reduziert, aber nicht über die klassischen anti-inflammatorischen Pathways, die wir kennen.“
Azithromycin lässt Opportunisten verschwinden
Immerhin ließ sich ein Patienten-Typus identifizieren, der besonders gut auf die Therapie ansprach, nämlich jene mit Mukus-Hypersekretion und positiver Bakterienkultur. Sie blieben unter dem Makrolid komplett exazerbationsfrei. Kleiner Schönheitsfehler: Es handelte sich gerade mal um 6 Patienten – niemand kann sagen, ob der Effekt echt ist oder ein Zufallsprodukt.
Nachweisen ließ sich außerdem, dass Azithromycin das Mikrobiom verändert. Die Diversität in der Verumgruppe war wesentlich geringer als unter Placebo, vor allem weil opportunistische Erreger verschwanden. Insbesondere maßen die Forscher einen signifikanten Rückgang von Haemophilus influenzae. Eine Zunahme wurde bei Keimen beobachtet, die anti-inflammatorische Substanzen produzieren, berichtete Gibson. Auch wenn sich die Folgen nicht sicher abschätzen lassen, dürfte dies das Exazerbationsrisiko beeinflussen.
„Die Daten sind suggestiv, aber nicht beweisend“, meinte der Kollege. „Sie zeigen, dass es neben Th2-Triggern weitere Mechanismen gibt, die zur Exazerbation führen.“
Tipps für die praktische Umsetzung
Für die Praxis lässt sich zurzeit ableiten, dass es lohnt, Patienten mit Asthma oder COPD probeweise mit einem Makrolid zu behandeln, die unter maximaler Standardtherapie noch exazerbieren. Wie lange, ist unklar. In den Studien war der Effekt erst nach 3 Monaten erkennbar, aber keine dauerte länger als ein Jahr.
Wichtig ist, sich die Patienten genau anzusehen. Da Makrolide die QT-Zeit verlängern, verbietet sich der Einsatz bei Patienten mit Long-QT-Syndrom (über 480 msec), um keine schweren Arrhythmien zu riskieren. Zu achten ist ferner auf das Gehör, denn Azithromycin kann irreversible Hörschäden auslösen. Braucht der Patient wegen einer kardialen Indikation ein Statin, sollte eines gewählt werden, dass nicht auf CYP 3A4 angewiesen ist: Makrolide können es inhibieren und die Statin-Konzentration derart steigern, dass eine Rhabdomyolyse droht.
Nicht zuletzt sollte sichergestellt sein, dass keine nicht-tuberkulösen Mykobakterien die Lunge besiedeln. Für deren Eradikation wird Azithromycin dringend gebraucht, und man sollte daher keine Resistenz riskieren.
Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: Asthma und COPD: Langzeitgabe von Makroliden verhindert 4 von 10 Exazerbationen – was ist für die Verordnung wichtig? - Medscape - 2. Okt 2018.
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