S3-Leitlinie Blasenkarzinom: Wann Chemo-, wann Immun-Therapie? „Ihr Pathologe wird jetzt Ihr bester Freund“

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

1. Oktober 2018

Dresden – In die Systemtherapie beim metastasierten Blasenkarzinom ist erheblich Bewegung gekommen. Daher muss die noch junge deutsche Leitlinie zum Urothelkarzinom bereits wieder aktualisiert werden.

Die neuen Checkpoint-Inhibitoren, die die zelluläre Immunabwehr gegen den Tumor verstärken, werden zunächst vor allem die Zweitlinientherapie, aber für einige Patienten auch die Erstlinientherapie verändern. In Studien werden derzeit alle möglichen Kombinationen und Sequenztherapien geprüft, hieß es bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Dresden [1].

 
Ihr Pathologe wird jetzt Ihr bester Freund. Prof. Dr. Margitta Retz
 

Das bedeutet, dass auch in den kommenden Jahren weitere Veränderungen in Details der Therapiestrategie zu erwarten sind – für Patienten eine gute Nachricht, für behandelnde Ärzte wird es zunehmend komplex. Denn die nähere Charakterisierung der Karzinome wird mehr und mehr eine Rolle spielen für die individuellen Therapieentscheidungen. Wohin die Reise beim metastasierten Urothelkarzinom wahrscheinlich gehen wird, erklärte beim DGU-Kongress Prof. Dr. Margitta Retz von der TU München, Leitlinienkoordinatorin der S3-Leitlinie zum Blasenkarzinom.

Alternativen für Patienten, die Cisplatin nicht vertragen

Standard der Systemtherapie beim Urothelkarzinom ist bislang die Cisplatin-basierte Behandlung in der Erstlinie. Darunter liegen die medianen Gesamtüberlebensraten bei 14 Monaten. Für jene, die Cisplatin nicht vertragen, wurde bislang Gemcitabin/Carboplatin eingesetzt. Damit war bei Ansprechraten von 36% ein medianes Überleben von 9,3 Monaten zu erreichen.

Alternativen für Patienten, für die Cisplatin ungeeignet ist, sind jetzt Atezolizumab, ein PD-L1-Antikörper, und Pembrolizumab, ein PD1-Inhibitor, für die in Phase-2-Studien mediane Gesamtüberlebenszeiten von 15,9 und 11,5 Monaten nachgewiesen worden sind bei Ansprechraten von 23 bis 24%.

Natürlich fragt man sich, ob Atezolizumab und Pembrolizumab nicht gleich für die Erstlinie geeignet wären. Doch an Cisplatin als First-line-Strategie wird zunächst wohl nicht gerüttelt werden. Denn in 2 Studien war die klassische Chemotherapie zum einen verglichen worden mit der Checkpoint-Inhibitor-Monotherapie als auch mit der Kombination Chemotherapie plus Checkpoint-Inhibitor (IMVigor130, Keynote-361). Bei den Checkpoint-Inhibitoren handelte es sich um die beiden erwähnten Substanzen.

Die Daten sind zwar offiziell noch nicht bekannt, aber es ist bereits durchgesickert, dass die Monotherapien mit den Checkpoint-Inhibitoren bei Patienten, die nicht PD-L1-positiv waren, vergleichsweise schlechtere Ergebnisse ergeben haben. Daraufhin hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA den Checkpoint-Inhibitoren Pembrolizumab und Atezolizumab im Juni 2018 keine Zulassung für die Erstlinien-Therapie erteilt. Laut EMA sei die Erstlinientherapie nur bei Patienten mit hohen PD-L1-Werten gerechtfertigt.

Patienten, für die z.B. wegen eines schlechten Allgemeinzustands, eine Cisplatin-basierte Therapie nicht geeignet ist, könnten ebenfalls mit Atezolizumab oder Pembrolizumab anstatt mit Gemcitabin/Carboplatin behandelt werden, sagte Retz, vorausgesetzt, sie haben einen positiven PD-L1-Status. „Das bedeutet: Ihr Pathologe wird jetzt Ihr bester Freund“, erklärte Retz in Dresden.

Denn für Anwender heißt das, der Pathologe muss entweder den Combined Positivity Score (CPS) bestimmen – er bewertet den Anteil PD-L1-positiver Zellen an der Gesamtzahl von Tumorzellen – oder, bei geplanter Therapie mit Atezolizumab, die PD-L1-Expression tumor-infiltrierender Immunzellen im Tumormaterial.

Da zurzeit keine direkten Vergleichsstudien vorliegen, werden die Experten wohl keine Angaben machen, womit Patienten für die Cisplatin ungeeignet ist, bevorzugt behandelt werden sollten, ob mit der Chemotherapie oder mit der Immuntherapie.

Zweitlinientherapie: 3 neue Substanzen stehen zur Verfügung

In der Zweitlinien-Therapie stehen neben dem Vinca-Alkaloid Vinflunin mit einer medianen Gesamtüberlebenszeit (OS – overall survival) von etwa 7 Monaten zurzeit 3 neue Substanzen zur Verfügung: Nivolumab, Pembrolizumab und Atezolizumab. Weitere Substanzen werden wahrscheinlich folgen.

Nivolumab war in einer einarmigen Phase-2-Studie geprüft worden. Die mediane OS lag bei 11,6 Monaten. Atezolizumab war in einer Phase-3-Studie mit einer Chemotherapie verglichen worden mit numerischer, aber nicht signifikanter Überlegenheit PD-L1-positiver Patienten gegenüber Chemotherapie mit einem OS von 11,1 versus 10,6 Monaten und Pembrolizumab erwies sich in der Gesamtgruppe der Patienten (unabhängig vom PD-L1-Status!) mit einer OS von 8,0 versus 5,2 Monaten in der Chemotherapie-Gruppe als signifikant überlegen.

Zumindest numerisch zeigen also alle neuen Substanzen offenbar Vorteile gegenüber der Chemotherapie, formal erscheint nur Pembrolizumab signifikant überlegen.

Wie sich das auf die Empfehlungen in der S3-Leitlinie niederschlagen wird, deren Konsentierung derzeit noch läuft, wird sich zeigen. Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom, die unter oder nach einer platinhaltigen Therapie eine Progression erfahren und bei denen Checkpoint-Inhibitoren kontraindiziert sind, können nach Meinung von Retz alternativ Vinflunin, Taxane, gegebenenfalls auch in Kombination mit Gemcitabin, erhalten, jedenfalls dann, wenn diese Substanzen nicht bereits in der Primärtherapie gegeben worden waren.

Nun wird es demnächst Patienten geben, die bereits in der Erstlinie eine Immuntherapie hatten und dann progredient werden. „Natürlich sind dann in der Zweitlinie Mono- oder Kombinations-Chemotherapien möglich“, erklärte Retz. Daten zu Sequenztherapien liegen zum jetzigen Zeitpunkt freilich noch nicht vor. Experten befürworten auch eine Reexposition mit Gemcitabin/Cisplatin in der Sequenz, wenn Patienten in der Erstlinie gut darauf angesprochen haben – auch dazu gibt es keine wissenschaftlich fundierten Belege, sondern das basiert auf klinischer Erfahrung.

Die endgültige Abstimmung des Addendums zur Blasenkarzinom-Leitlinie wird noch einige Wochen in Anspruch nehmen, mit der Publikation wird im Januar 2019 gerechnet.

Retz: „Ich würde mir wünschen, dass wir mal ein wenig flotter werden.“ Das wünschen sich Anwender und Patienten sicher auch – zumal die nächste Aktualisierung nicht lange auf sich warten lassen wird. In den USA sind die Substanzen Avelumab und Durvalumab, beides PD-L1-Antikörper, bereits für die Zweitlinien-Therapie zugelassen.

 

Kommentar

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