Der routinemäßige Einsatz des PSA-Tests schadet mehr, als dass er nützt, und kann deshalb für das Prostatakrebs-Screening nicht empfohlen werden. Zu diesem Schluss ist einmal mehr ein internationales Team gelangt, und zwar eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Dragan Ilic von der School of Public Health and Preventive Medicine der Monash University in Victoria, Australien. Für ihre jetzt im British Medical Journal (BMJ) veröffentliche Arbeit haben die Forscher 5 randomisierte kontrollierte Studien analysiert, an denen insgesamt mehr als 720.000 Männer teilgenommen hatten [1].

Prof. Dr. Oliver Hakenberg
Wie Ilic und sein Team berichten, geht die generelle Anwendung des PSA-Tests im Rahmen des Screenings wahrscheinlich mit einer kleinen Senkung der Sterblichkeit durch Prostatakrebs in einem Zeitraum von 10 Jahren einher. Die Gesamtmortalität bleibe durch den Test dagegen unbeeinflusst, schreiben die Wissenschaftler.
Dem geringen Nutzen stünden zudem mögliche kurz- und langfristige Schäden gegenüber, unter anderem Komplikationen bei Biopsien und sich anschließenden Therapien sowie das Risiko von Überdiagnosen und unnötigen Behandlungen. Ärzte und Patienten, die einen PSA-Test in Erwägung zögen, sollten dies bei ihrer Entscheidung für oder gegen den Test bedenken, raten die Forscher um Ilic.
Hierzulande ist ein flächendeckendes Screening gar nicht gewollt
„Nichts an den Ergebnissen dieser Meta-Analyse ist neu“, kommentiert Prof. Dr. Oliver Hakenberg, Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Rostock und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), im Gespräch mit Medscape. „Natürlich wirkt sich der PSA-Test nicht auf die Gesamtsterblichkeit aus“, sagt der Mediziner. „Und dass sich mit seiner Hilfe die Mortalität infolge von Prostatakrebs leicht senken lässt, ist ebenfalls bekannt.“
Allerdings, betont Hakenberg, ließen sich die Ergebnisse der Meta-Analyse auf die Situation in Deutschland auch gar nicht übertragen. „Wie haben hierzulande kein Prostatakrebs-Screening und die DGU hat sich auch noch nie dafür ausgesprochen“, sagt der Urologe. Denn tatsächlich würde ein staatlich organisiertes, flächendeckendes Screening, wie es beim Mammakarzinom angeboten werde, zu einer sehr großen Zahl falsch positiver Befunde führen, so Hakenberg. „Der Nutzen eines solchen Vorgehens wäre daher insgesamt gering.“
Anders sieht es Hakenberg zufolge jedoch aus, wenn ein Patient von sich aus die Möglichkeit zur Früherkennung nutzen möchte. „Dann macht es aus unserer Sicht wenig Sinn, ihm nur eine Tastuntersuchung anzubieten“, sagt der Urologe. Erst in Verbindung mit einem PSA-Test lasse sich ein Tumor der Vorsteherdrüse mit ziemlich großer Sicherheit ausschließen. Es sei so wertvoll, einen Marker zu haben, dass es geradezu fahrlässig sei, diesen nicht zu nutzen, betont Hakenberg. „Natürlich lässt sich das Risiko von Überdiagnosen nicht vollständig ausschließen“, sagt der Urologe. Dieses werde jedoch aus Sicht der DGU vom Nutzen des PSA-Tests im Rahmen einer vom Patienten gewünschten Früherkennung bei Weitem überwogen.
Etwa jeder 5. Patient mit Prostatakrebs stirbt an der Erkrankung
Prostatakrebs ist in Deutschland nach wie vor die häufigste Krebserkrankung von Männern. Pro Jahr wird derzeit bei mehr als 68.000 Patienten ein Tumor der Vorsteherdrüse diagnostiziert. Etwa 20% der Diagnostizierten sterben an der Krankheit. Die Möglichkeiten, Prostatakrebs früh zu erkennen und so die Heilungschancen zu erhöhen, sind begrenzt.
Zwar haben Männer ab 45 Jahren hierzulande die Möglichkeit, einmal im Jahr ihre Prostata von einem Hausarzt oder Urologen untersuchen zu lassen. Die Aussagekraft dieses Check-ups, bei dem die Vorsteherdrüse selbst und die Geschlechtsorgane inspiziert und abgetastet werden, lässt jedoch bekanntlich zu wünschen übrig.
Nicht in dem gesetzlichen Früherkennungsprogramm vorgesehen ist der PSA-Test, bei dem die Menge des im Blut enthaltenen Prostata-spezifischen Antigens, kurz PSA, bestimmt wird. Männer können den Test zwar vornehmen lassen, müssen die Kosten von rund 30 Euro aber selbst übernehmen. Ob diese Untersuchung sinnvoll ist, wird von manchen bezweifelt. Das Protein PSA, das der Verflüssigung des Samens dient, wird zwar von Tumorzellen vermehrt gebildet. Allerdings lassen auch harmlose Entzündungen den PSA-Wert in die Höhe steigen.
Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), der die Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), zu denen auch der PSA-Test gehört, im Rahmen seines IGeL-Monitors regelmäßig überprüft, kam im vergangenen Jahr erneut zu dem Schluss, dass der Test im Vergleich zu seinen Risiken nur einen geringen Nutzen habe und daher als „tendenziell negativ“ zu bewerten sei. Die DGU ist anderer Meinung.
1 Prostata-Toter weniger, dafür 1 Sepsis, 3 Inkontinenzen und 25 Erektionsstörungen mehr
Wie Ilic und sein Team jetzt in der aktuellen Analyse ermittelt haben, würde, wenn 1.000 Männer 10 Jahre lang per PSA-Test „gescreent“ würden, 1 Mann weniger an Prostatakrebs sterben. Auf der anderen Seite, so schätzen die Forscher anhand ihrer Daten, würde aber aufgrund von Biopsien und sich anschließenden Behandlungen 1 Mann mehr eine Sepsis erleiden; 3 Männer würden inkontinent und 25 würden eine erektile Dysfunktion zurückbehalten.
„Aber ein Screening, das heißt die Untersuchung aller Männer, ist bei uns eben gerade nicht vorgesehen“, kommentiert der DGU-Vizepräsident Hakenberg diese Ergebnisse.
Aus der Analyse von Ilic und seinen Kollegen hat ein Team um den finnischen Urologen Prof. Dr. Kari Tikkinen vom Zentralkrankenhaus der Universität Helsinki nun Empfehlungen abgeleitet, die als sogenannte BMJ Rapid Recommendations in der gleichen Ausgabe des Fachblatts veröffentlicht sind [2].
An deren Erarbeitung waren nicht nur Ärzte und Wissenschaftler beteiligt, sondern auch 3 Patienten, die sich selbst für oder gegen den PSA-Test entscheiden mussten.
Durch den PSA-Test habe sich die Zahl der Männer erhöht, bei denen Prostatakrebs diagnostiziert und behandelt worden sei, schreibt die Gruppe um Tikkinen. Allerdings hätten viele dieser Patienten zu Lebzeiten niemals Symptome ihres Tumors verspürt oder wären gar an ihm gestorben, betonen die Autoren. Ihre wichtigsten Empfehlungen halten die Verfasser in 3 Punkten fest:
Auch sie sprechen sich gegen ein generelles PSA-Screening aus. Ihre Empfehlung sei allerdings „schwach“ – was bedeutet, dass sie nicht vorbehaltlos ist und die Umsetzung dem Ermessen des Arztes und seines Patienten überlassen bleibt. Als schwach stuft das Team um Tikkinen die Empfehlung ein, da ein kleiner positiver Effekt des PSA-Screenings auf die Sterblichkeit durch Prostatakrebs nicht auszuschließen sei. Die Größe dieses Effekts sei allerdings ungewiss.
Männer, die mehr Wert darauflegen, Komplikationen aufgrund von Biopsien und Krebstherapien zu vermeiden, werden ein PSA-Screening eher ablehnen, schreibt das Team. Männer, denen selbst eine geringe Senkung der Sterblichkeit durch Prostatakrebs wichtiger ist, können sich aber dafür aussprechen. Zu der letztgenannten Gruppe gehören den Erfahrungen der Autoren zufolge vor allem Männer afrikanischer Abstammung und solche mit Fällen von Prostatakrebs in der Familie – diese Männer haben per se ein höheres Risiko für einen Tumor der Vorsteherdrüse als andere – sowie all jene, die die Diagnose Prostatakrebs für sich gerne ausschließen würden.
Eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt und Patient sei bei denjenigen Männern notwendig, die einen PSA-Test für sich in Erwägung ziehen, heißt es in den Empfehlungen weiter. Die Entscheidung solle mit den individuellen Werten und Vorlieben des jeweiligen Patienten in Einklang stehen, schreiben die Autoren. Ärzte müssten sich allerdings nicht verpflichtet fühlen, das Thema PSA-Test von sich aus zur Sprache zu bringen.
Der Streit um die beste Form der Früherkennung schwelt weiter
Mit der Frage, wie Ärzte ihren Patienten begegnen, die einen PSA-Test wünschen, beschäftigt sich auch ein Team um Prof. Dr. Martin Roland, emeritierter Professor am Department of Public Health and Primary Care der britischen University of Cambridge im BMJ [3]. Das Problem sei, schreiben die Mediziner, dass der PSA-Test sowohl viele falsch positive als auch falsch negative Ergebnisse hervorbringe – und dass viele der mit seiner Hilfe entdeckten Tumore den betroffenen Patienten niemals Beschwerden bereitet hätten. Dagegen führe die Entfernung dieser Tumore oft zu Inkontinenz oder Impotenz.
Bei Patienten, die mit dem Wunsch nach einem PSA-Test auf den Arzt zukämen, solle dieser daher die Gründe für das Ansinnen erfragen und den Patienten sowohl den Nutzen als auch die Risiken des Tests erläutern, und zwar in Abhängigkeit von deren ethnischer Herkunft und Familienanamnese, raten Roland und seine Kollegen.
Gleichzeitig sei es sinnvoll, den Patienten die jüngsten Fortschritte bei der Anwendung der multiparametrischen Magnetresonanztomografie (mp-MRT) und der aktiven Überwachung (active surveillance) aufzuzeigen. Denn beide Maßnahmen hätten das Potenzial, so die Autoren des Beitrags, die negativen Effekte des PSA-Tests zu reduzieren.
Der deutsche Experte Hakenberg hingegen möchte sich dieser Ansicht nicht so recht anschließen. „Wenn ein Patient hierzulande eine Früherkennungsuntersuchung wünscht, empfehlen wir von der DGU den PSA-Test ohne Wenn und Aber“, sagt er. Ohne den Test sei die Aussagekraft der Untersuchung, nämlich der sichere Ausschluss von Prostatakrebs, gering.
Medscape Nachrichten © 2018
Diesen Artikel so zitieren: Nächste Runde im PSA-Streit: Meta-Analyse stellt Screening erneut infrage – was sagt die DGU dazu? - Medscape - 28. Sep 2018.
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