Senioren in die Mucki-Bude! Mit intensivem Krafttraining und Protein-Shakes gegen Knochen- und Muskelschwund

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

25. September 2018

Köln – Mit zunehmendem Alter nehmen auch Knochen- und Muskelschwund zu – oder die Kombination von beidem, die Osteosarkopenie. Gegen Osteoporose und Sarkopenie und das damit verbundene extrem hohe Sturzrisiko helfen intensives Krafttraining, Proteine und Vitamine. Wie man dies in der Praxis am besten umsetzt, erklärten Experten auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) in Köln [1].

„Wer einmal eine Fraktur hatte, trägt ein hohes Risiko für eine erneute Fraktur“, sagte Dr. Michael Drey, Leiter des Schwerpunkts Akutgeriatrie an der Medizinischen Klinik und Polyklinik IV an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einer Hüftfraktur sei das Frakturrisiko fast verdoppelt. Das Risiko nicht mehr alleine gehen zu können betrage 40% und mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% könnten Patienten ihren Alltag nach einer Fraktur nicht mehr alleine bewältigen, zählte Drey auf.
 

Dr. M. Drey

Fast immer ist ein Sturz die Ursache: Nach Statistiken sind 97% aller Schenkelhalsfrakturen auf Stürze zurückzuführen. Das Sturzrisiko hängt vom Alter und – neben anderen Risikofaktoren und Erkrankungen wie Schizophrenie, Alzheimer, Parkinson – von der Knochenqualität und -stabilität ab. Und die wiederum werde durch die Knochendichte und -mineralität beeinflusst, erklärte Dr. Lothar Seefried vom Orthopädischen Zentrum für muskulo-sklelettale Forschung an der Universität Würzburg in seinem Vortrag zur Regeneration des Bewegungsapparats. Liege gleichzeitig eine Sarkopenie vor, also eine eingeschränkte Muskelmasse und -funktion, falle der Patient zudem unkontrolliert.

 
Für Patienten mit Osteosarkopenie, die Knochen und Muskel wiederaufbauen möchten, ist Krafttraining ideal. Prof. Dr. Wolfgang Kemmler
 

Mucki-Bude statt Schwimmhalle

„Am meisten gefährdet ist die Hüfte“, sagte Prof. Dr. Wolfgang Kemmler vom Institut für medizinische Physik an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen. Um Hüftfrakuren zu verhindern, müsse das Abfangen eines Sturzes, also das schnellkräftige Nachvornebringen der Arme und das richtige Abrollen durch gezieltes Krafttraining geschult werden.

„Effektiv ist aber nur ein Training mit den richtigen Reizen“, sagte der Trainings-Experte. Dass Ausdauersportarten wenige bis gar keine Auswirkungen auf die Knochendichte haben, demonstrierte Kemmler anhand von Knochenanalysen von Leistungssportlern.

Die besten Werte zeigten Gewichtheber, Turner und Sportspieler. Radfahrer und Schwimmer dagegen hatten sogar schlechtere Werte als Untrainierte. „Das zeigt: Für Patienten mit Osteosarkopenie, die Knochen und Muskel wiederaufbauen möchten, ist Krafttraining ideal“, sagte Kemmler.

So lauten seine Empfehlungen für ein Krafttraining älterer Menschen zum Muskel- und Knochenaufbau:

  • schnellkräftige, dynamische Belastungen,

  • eher intensive als umfangreiche Trainingsprotokolle mit variablen Intensitäten von 55-90%,

  • kein Hochintensives Intervalltraining (HIT),

  • alle großen Muskelgruppen einbeziehen (8-14 Übungen),

  • angemessene Reizhäufigkeit (2-20 Wiederholungen),

  • hohe Frequenz,

  • explosive Bewegungsausführung,

  • volle Bewegungsamplitude, aber im schmerzfreien Bereich,

  • 2 bis 3 Mal pro Woche trainieren.

Dr. W Kemmler

Ein auf diese Weise konsequent durchgeführtes hochintensives Krafttraining wirkt sich günstig auf die Knochendichte aus, wie sportwissenschaftliche Studien, unter anderem eine 8-wöchige Intervention bei post-menopausalen Frauen mit geringer Knochenmasse zeigen, so Kemmler. „Wer allerdings nicht mindestens 2-mal pro Woche trainiert, kann den Knochen nicht regenerieren“, räumte er ein.

Mitgeübt werden sollte in solchen überwachten und strukturierten Trainings auch das „richtige Stürzen“, empfahl er. Deutschlandweit gebe es rund 20.000 Osteoporose-Gruppen, die sich regelmäßig zum spezifischen Knochen- und Muskeltraining treffen.

„Hausärzten rate ich ihren Patienten nicht einfach nur Sport zu empfehlen, sondern sie direkt an eine spezielle Gruppe oder eine andere Einrichtung zu verweisen, die geeignetes Krafttraining anbietet“, sagt Kemmler. Denn viele Patienten seien der Meinung mit Walken oder Radfahren sei die allgemeine Sportempfehlung umgesetzt, was jedoch für das Muskelkrafttraining und den Knochen-Wiederaufbau nicht zutreffe.

 
Hausärzten rate ich ihren Patienten nicht einfach nur Sport zu empfehlen, sondern sie direkt an eine spezielle Gruppe oder eine andere Einrichtung zu verweisen. Prof. Dr. Wolfgang Kemmler
 

„Die Knochendichte nimmt im Alter trotz Schwimmen und Radfahren ab – die Muskeln müssen durch ein Krafttraining richtig gefordert werden“, sagte Kemmler. Sportgruppen haben zudem eine soziale Komponente, die häufig für die Motivation der Patienten eine viel größere Rolle spiele als ein in Aussicht gestelltes niedrigeres Frakturrisiko, bemerkte Seefried.

Als effektiv habe sich neben dem angeleiteten Trainieren in speziellen Osteoporose-Gruppen oder im Fitnessstudio auch High-Impact-Aerobic oder Tanzen herausgestellt, sagte Kemmler.

Für Sportmuffel: EMS und Protein-Shakes

Ein intensives Krafttraining sei natürlich nicht für jeden jenseits der 80 zu schaffen. „Unsere Erfahrung ist, dass nicht jeder der 80- bis 85-Jährigen in der Gruppe – oder alleine – schwitzen möchte. Für diese Patienten gibt es aber eine niedrigschwelligere Alternative“, sagte Kemmler: eine Ganzkörper-Elektromyostimulation (EMS), plus Proteinsupplementierung.

Schon seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dieser Trainingsform. „Wir wenden EMS bei Menschen an, die ein konventionelles Krafttraining nicht mehr durchführen können oder möchten“, sagte Kemmler. Allerdings habe EMS in bisherigen Studien keine Auswirkungen auf die Knochendichte gezeigt; wohl aber auf die Muskelmasse und auf das Körperfett. Sogar die Proteingabe allein habe zu einer Muskelmasse-Zunahme von rund 1% geführt.

In einer 13-wöchigen Intervention nahmen Sarkopenie-Patienten 2-mal täglich eine mit Leucin und Vitamin D angereicherte Molkeprotein-Trinknahrung zu sich. Im Vergleich zur Kontrollgruppe nahm die Muskelmasse um 0,17 kg zu; die Handgriffstärke und die Werte im „Aufstehtest“ verbesserten sich ebenfalls signifikant. „Im Vergleich zum Krafttraining ist die Protein-Supplementierung ein sehr niederschwelliges Angebot“, bemerkte Kemmler.

„Bei einer Zunahme der Muskelmasse von 200 Gramm handelt es sich zwar um einen kleinen Effekt, jedoch entspricht die Größenordnung in etwa dem, was Medikamente gegen Sarkopenie aktuell in klinischen Phase-2- und -3-Studien erzielen,“ sagte Drey.

Medikamente und Ernährung gegen Osteoporose  

Medikamente gegen eine Sarkopenie gebe es aktuell noch nicht, sagte Seefried. Präventiv therapierbar sei dagegen der Knochenschwund. Eine medikamentöse Therapie mit Bisphosphonaten zur Osteoporose-Prävention senke das Frakturrisiko auch lange nach der Einnahme, da die Wirkstoffe im Knochen verbleiben, erklärte er.

Der humane monoklonale Antikörper Denosumab, der ebenfalls zur Osteoporose-Behandlung eingesetzt werde, wirke dagegen nur bis zu 6 Monate nach der letzten Medikamentierung. „Setzt man das Präparat ab, nimmt die Knochendichte nach einem halben Jahr wieder ab“, so der Experte.

Auch durch eine gesunde Ernährung könne sich der Knochen stabilisieren, ergänzte Seefried. Viel Obst, Gemüse, fettarme Milchprodukte und mäßiger Fleischkonsum können „die Knochendichte und sogar die Häufigkeit von Hüftfrakturen günstig beeinflussen“, zitierte Seefried aus einem Editorial der Zeitschrift Osteoporose von Mai 2018.

Osteoporose-Patienten litten häufig unter Mangelernährung sowie reduzierter Muskelmasse, wie Erkenntnisse aus der noch nicht veröffentlichten Studie SaNSiBaR zeigten, bemerkte Seefried, der Autor der Studie zu Sarkopenie und Ernährungsdefiziten bei älteren Osteoporose Patientinnen war.

Die 2017 aktualisierte Leitlinie Osteroporose des Dachverbands Osteologie e.V. (DVO) empfiehlt. einen Body-Mass-Index von über 20 kg/m2 zu halten, ohne jedoch ins Übergewicht zu rutschen, berichtete Seefried. Zudem raten die DVO-Experten zu einer täglichen Kalzium-Zufuhr von 1.000 mg und einer Vitamin-D3-Zufuhr von 800-1.000 IE.

Nur Vitamin D als Nahrungsergänzung – ohne die Kalzium-Mindestzufuhr sicherzustellen – empfehle die Leitlinie ausdrücklich nicht. „Vitamin D alleine hat keinen präventiven Effekt auf das Frakturrisiko“, sagte Seefried auf dem DGG-Kongress. „Auch Spurenelemente haben, wie Untersuchungen zeigen, nur Spuren von Effekten“, bemerkte er.

 
Vitamin D alleine hat keinen präventiven Effekt auf das Frakturrisiko Dr. Lothar Seefried
 

Phosphate hätten sogar negative Auswirkungen, da dadurch Kalzium im Knochen abgebaut und die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm reduziert würde. „Daher ist frisch gekochtes Essen für Osteoporose-Patienten gesünder als Phosphat-angereicherte Fertiggerichte“, sagte Seefried.

Molkeprotein-Supplemente haben nur indirekte Wirkung auf den Knochen. „Die Knochendichte steigt durch diese Nahrungsergänzungsmittel nicht an; jedoch wird schon in der Rehabilitation nach einem Sturz eine starke Muskulatur benötigt. Daher kann eine solche Supplementierung durchaus hilfreich sein.“

 

Kommentar

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