Immun-Checkpoint-Blocker: Tödliche Nebenwirkungen sind möglich – zwar selten, aber die Patienten sollten Bescheid wissen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

24. September 2018

Immun-Checkpoint-Inhibitoren bieten Krebspatienten mit extrem schlechter Prognose eine Chance auf längeres Überleben und vielleicht sogar Heilung. Doch auch die neuen Therapien haben ihre Risiken. Tödliche Nebenwirkungen sind zwar selten – viel seltener als bei anderen häufigen Krebstherapien wie Chemotherapie, Stammzelltransplantation oder komplexen chirurgischen Eingriffen – aber sie kommen vor. Und darüber sollten sich Ärzte und Patienten im Klaren sein, warnt ein internationales Autorenteam um Dr. Daniel Y. Wang vom Vanderbilt Ingram Cancer Center des Vanderbilt University Medical Center in Nashville in JAMA Oncology [1].

Wang und seine Kollegen durchsuchten die Pharmakovigilanz-Datenbank der WHO nach tödlichen Nebenwirkungen der CTLA-4-Antikörper Ipilimumab und Tremelimumab, der PD-1-Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab und der PD-L1-Antikörper Atezolizumab, Avelumab und Durvalumab. Außerdem überprüften sie die Akten von 7 akademischen Krankenhäusern und führten eine Metaanalyse der zu diesen Medikamenten publizierten Studien durch.

Wichtige Daten auch für adjuvante Therapie

PD Dr. Jessica Hassel

Auf Nachfrage von Medscape betont PD Dr. Jessica Hassel, die am Hauttumorzentrum des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg die Sektion Dermatoonkologie leitet und als Koautorin an der Studie beteiligt war, dass nur Patienten in der Fernmetastasierung untersucht worden seien. „Diese Patienten haben eine extrem schlechte Prognose und nehmen die Gefahr einer tödlichen Nebenwirkung möglicherweise eher in Kauf. Doch mittlerweile steht mit Nivolumab der erste Immun-Checkpoint-Inhibitor für den adjuvanten Einsatz zur Rezidivprävention beim metastasierten Melanom zur Verfügung. Für diese potenziell bereits chirurgisch geheilten Patienten ist es besonders wichtig zu wissen, wie oft tödliche Nebenwirkungen auftreten können.“

 
Diese tödlichen Nebenwirkungen sind selten, sie treten bei 0,3 bis 1,3 Prozent der behandelten Patienten auf. Dr. Daniel Y. Wang und Kollegen
 

Immun-Checkpoint-Inhibitoren entfesseln das Immunsystem, so dass es Krebszellen erkennen und bekämpfen kann. Dies kann aber auch Angriffe auf Organe wie Herz, Lunge, Leber und Darm bewirken, die letztlich zum Tod des Patienten führen. „Diese tödlichen Nebenwirkungen sind selten, sie treten bei 0,3 bis 1,3 Prozent der behandelten Patienten auf“, berichten die Autoren.

613 Nebenwirkungen mit Todesfolge

In der Pharmakovigilanz-Datenbank Vigilyze der WHO fanden Wang und seine Kollegen 31.059 Fallberichte zu Nebenwirkungen von Immun-Checkpoint-Inhibitoren, darunter 613 Nebenwirkungen, die tödlich verliefen.

Was das Spektrum an Nebenwirkungen anging, gab es zwischen den Antikörpern beträchtliche Unterschiede:

  • Unter dem CTLA-4-Antikörper Ipilimumab gab es 193 Todesfälle durch Nebenwirkungen, davon gingen 70% auf Colitis zurück.

  • Die 333 tödlichen Nebenwirkungen von PD-1- und PD-L1-Antikörpern waren dagegen am häufigsten Pneumonitis (35%), Hepatitis (22%) und neurotoxische Effekte (15%).

  • Von den 87 Patienten, die unter PD-1/CTLA-4-Kombinationstherapie tödliche Nebenwirkungen erlitten, starben 37% an einer Colitis und 25% an einer Myokarditis.

Unterschiede zwischen Antikörpern

Die Unterschiede zwischen den Antikörpern könnten auch die Auswahl des Immun-Checkpoint-Inhibitors beeinflussen. Bei den untersuchten Fallberichten handelt es sich vorwiegend um Nebenwirkungen, die bei der Behandlung von Melanom- und Lungenkrebs-Erkrankungen aufgetreten sind. Während für die Therapie bei fortgeschrittenem Lungenkrebs nur die Monotherapie mit PD-1- oder PD-L1-Antikörpern zugelassen ist, stehen bei metastasierten Melanomen 3 Optionen zur Auswahl: eine Monotherapie mit Ipilimumab, eine Monotherapie mit einem PD1-Antikörper und eine Kombinationstherapie aus beidem.

„Das Risiko für schwere Nebenwirkungen ist unter der Kombinationstherapie deutlich höher als unter der Monotherapie. Das heißt: Je älter die Patienten sind und je mehr Vorerkrankungen sie haben, desto zurückhaltender ist man mit der Kombinationstherapie“, sagt Hassel.

Aber auch andere klinische Faktoren spielten eine Rolle, so werde ein Patient mit Hirnmetastasen z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kombinationstherapie erhalten. In der adjuvanten Situation ist nur die Monotherapie zugelassen.

Risiko in den ersten Wochen am höchsten

Wenn tödliche Nebenwirkungen auftraten, dann meist frühzeitig im Therapieverlauf: unter der Kombinationstherapie nach im Mittel 14,5 Tagen und unter PD-1- und Ipilimumab-Monotherapien nach im Mittel 40 Tagen.

„Die höchste Sterblichkeitsrate wurde bei Myokarditis beobachtet, fast 40 Prozent der Patienten mit dieser Nebenwirkung starben“, berichten Wang und seine Kollegen. Endokrine Nebenwirkungen und Colitis verliefen dagegen nur in 2% bzw. 5% der Fälle tödlich. Nebenwirkungen, die andere Organsysteme betrafen, endeten in 10 bis 17% der Fälle tödlich.

 
Die höchste Sterblichkeitsrate wurde bei Myokarditis beobachtet, fast 40 Prozent der Patienten mit dieser Nebenwirkung starben. Dr. Daniel Y. Wang und Kollegen
 

Die Überprüfung der Akten aus den 7 akademischen Krankenhäusern – insgesamt umfasste der Review 3.545 mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren behandelte Patienten – ergab eine Sterblichkeitsrate von 0,6%. Kardiale und neurologische Ereignisse stachen dabei mit einer Häufigkeit von 43% hervor. Im Mittel dauerte es 32 Tage bis zum Auftreten einer tödlichen Nebenwirkung.

Schwerer Verlauf bei älteren Patienten

Ältere Patienten erlitten etwas häufiger tödliche Nebenwirkungen, aber auch bei ihnen waren sie sehr selten. Die Autoren gehen davon aus, dass ältere Menschen nicht per se mehr Nebenwirkungen haben, dass sie aber an schweren Nebenwirkungen eher sterben. „Ältere Patienten haben meist mehr Begleiterkrankungen“, so Hassel. „Ein junger Mensch steckt eine Colitis mit Diarrhoe besser weg als ein älterer, der schon allein durch den Flüssigkeitsmangel gefährdet ist, Komplikationen zu erleiden.“

Die Metaanalyse von 112 klinischen Studien mit insgesamt fast 20.000 Patienten kam auf eine Sterblichkeitsrate von 0,36 bis 1,23%, abhängig vom Typ des Immun-Checkpoint-Inhibitors.

Patientenaufklärung entscheidend

„Es ist von großer Bedeutung, den Patienten darüber aufzuklären, dass es sich um eine sehr wirksame Therapie handelt, es aber in Einzelfällen unter der Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren zu Todesfällen gekommen ist“, betont Hassel im Gespräch mit Medscape. „Wir raten den Patienten prinzipiell, bei jeglichen Symptomen oder Veränderungen erst einmal davon auszugehen, dass es sich um eine Nebenwirkung handeln könnte und uns sofort darüber zu informieren.“

Zeitnah behandelt können viele schwere Nebenwirkungen glimpflich ausgehen. In der Studie beobachteten Wang und seine Kollegen, dass einige Patienten, die an einer Nebenwirkung starben, erst recht spät Steroide erhalten hatten.

 
Wir raten den Patienten prinzipiell, bei jeglichen Symptomen oder Veränderungen erst einmal davon auszugehen, dass es sich um eine Nebenwirkung handeln könnte. PD Dr. Jessica Hassel
 

Um die durch die Immun-Checkpoint-Inhibitoren ausgelösten Entzündungen zu lindern, werden Steroide verschrieben, die üblicherweise sehr schnell wirksam sind. „Manchmal müssen noch andere Immunsuppressiva dazugegeben werden, um das Immunsystem wieder ‚abzukühlen‘“, erläutert Hassel. „Doch die immunsuppressive Therapie kann meist nach einigen Wochen wieder abgesetzt werden.“

Wirksam trotz Therapieabbruch

Und selbst wenn die Therapie aufgrund schwerer Nebenwirkungen abgesetzt werden muss: „Die schwere Nebenwirkung zeigt, dass das Immunsystem angeregt wurde. Aus Studien weiß man, dass die Patienten auch dann weiter von der Therapie profitieren, wenn diese abgebrochen werden muss“, so Hassel.

„Trotz der beeindruckenden Zahl an berichteten tödlichen Nebenwirkungen – in Vigilyze allein über 600 – ist das Risiko einer tödlichen Nebenwirkung für den einzelnen Patienten mit fortgeschrittenem Krebs sehr gering“, resümieren die Studienautoren. „Es sollte Ärzte und Patienten nicht vom Einsatz dieser potenziell kurativen Therapeutika abhalten.“

 

Kommentar

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