Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) empfiehlt 13 neue Arzneimittel zur Zulassung, darunter eine neuartige Gentherapie für eine zu Blindheit führende Netzhauterkrankung, eine zweite Migräneimpfung und ein Antibiotikum, das auch bei resistenten Erregern wirkt.
Erste Therapieoption für erbliche retinale Dystrophie
Die Gentherapie Luxturna™ (Voretigen Neparvovec, Spark Therapeutics Ireland Ltd) ist für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern mit einer erblichen Form der retinalen Dystrophie bestimmt, die durch eine Mutation im Gen RPE65 verursacht wird. Die seltene Netzhauterkrankung führt zum Verlust des Sehvermögens und bei den meisten Patienten bereits im jungen Erwachsenenalter zur vollständigen Blindheit.
Voretigen Neparvovec ist die erste Therapieoption für diese Form der retinalen Dystrophie. Die Gentherapie ist für Patienten geeignet, bei denen beide RPE65-Allele mutiert sind und die noch über ausreichend lebensfähige Netzhautzellen verfügen.
Das RPE65-Gen kodiert für das Enzym Retinoid-Isomerohydrolase, welches am Recycling des Sehpigments im retinalen Pigmentepithel beteiligt ist. RPE65-Mutationen führen zu einem Mangel an 11-cis Retinal, dem lichtempfindlichen Bestandteil des Sehpigments Rhodopsin. Die Gentherapie liefert funktionsfähiges RPE65-Gen in die Netzhautzellen. Dafür werden modifizierte Adeno-assoziierte Viren in den subretinalen Raum injiziert. Die Viren infizieren die retinalen Pigmentepithelien und lassen korrekte Kopien des Gens RPE65 zurück. Die Zellen bilden daraufhin das Enzym Retinoid-Isomerohydrolase, wodurch der Patient wieder besser in der Lage ist, Licht wahrzunehmen.
Untersucht wurde Voretigen Neparvovec bislang bei 41 Patienten. Es kam durch die Gentherapie innerhalb eines Jahres zu einer signifikanten Verbesserung der Nachtsicht, deren Verschlechterung ein typisches Symptom der Erkrankung ist. In der unbehandelten Kontrollgruppe war keine Verbesserung zu beobachten. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Augenrötungen, Katarakte und erhöhter Augeninnendruck.
Angesichts der Neuartigkeit der Therapie und der begrenzten Zahl an damit behandelten Patienten verlangt der CHMP eine Langzeitnachbeobachtung aller Patienten, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Voretigen Neparvovec sicherzustellen. Der Hersteller hat bereits zugestimmt, eine Sicherheitsstudie basierend auf einem Patientenregister sowie ein 15-jähriges Nachbeobachtungsprogramm für alle in den klinischen Studien behandelten Patienten aufzulegen.
Migräneprophylaxe per Impfung
Der monoklonale Antikörper Emgality™ (Galcanezumab, Eli Lilly Nederland B.V.) wurde zur Migräneprophylaxe entwickelt. Er gehört zu einer neuen Klasse von Arzneimitteln, die die Aktivität des an Migräneattacken beteiligten Moleküls Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) blockiert.
Galcanezumab wird als Injektionslösung auf den Markt kommen und ist nur für Patienten bestimmt, die mindestens an 4 Tagen im Monat Migräne haben. In den klinischen Studien mit fast 3.000 Patienten mit chronischer Migräne konnte der Antikörper die Zahl der Migränetage pro Monat um im Schnitt 1,9 bei episodischer Migräne und 2 bei chronischer Migräne reduzieren. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Schmerzen und Reaktionen an der Injektionsstelle, Schwindel und Verstopfung.
Galcanezumab ist die zweite „Migräne-Impfung“, die auf den Markt kommt. Im Mai war bereits der monoklonale Antikörper Aimovig (Erenumab) zur Vorbeugung von Migräne zugelassen worden.
Antibiotikum gegen resistente Erreger
Auch ein neues Antibiotikum steht auf der Liste der Zulassungsempfehlungen: Vabomere (Meropenem-Trihydrat/Vaborbactam, Rempex London Ltd) ist eine Fixkombination aus dem zu den Carbapenemen gehörenden Breitsspektrumantibiotikum Meropenem und dem neuen Beta-Lactamase-Inhibitor Vaborbactam. Es soll zur Behandlung verschiedener schwerer Infektionen bei erwachsenen Patienten eingesetzt werden, darunter komplizierte Harnwegsinfekte, komplizierte intraabdominelle Infektionen, beatmungsassoziierter Pneumonien und Infektionen mit aeroben, gramnegativen Erregern.
Resistenzen gegen Carbapenem-Antibiotika werden immer häufiger. Speziell gramnegative Bakterien weisen häufig Beta-Lactamasen auf, die Carbapeneme unwirksam machen. Vaborbactam schützt Meropenem vor der Inaktivierung durch Beta-Lactamasen und stellt so die Wirksamkeit gegen viele, wenn auch nicht alle, carbapenemresistente Erreger wieder her. Im klinischen Entwicklungsprogramm war Vaborbactam in der empfohlenen Dosis in der Lage, Meropenem vor carbapenemresistenten Enterobacteriaceae zu schützen. Das Sicherheitsprofil von Meropenem-Vaborbactam war unauffällig.
Weitere Zulassungsempfehlungen
2 weitere Medikamente, die eine Zulassungsempfehlung erhalten haben, sind Jivi® (Damoctocog alfa pegol, Bayer AG) zur Behandlung von Hämophilie A (Hereditärer Faktor-VIII-Mangel) und Poteligeo® (Mogamulizumab, Kyowa Kirin Limited) zur Behandlung der Mycosis fungoides oder des Sézary-Syndrome, beides kutane T-Zell-Lymphome.
Für die Zulassung empfohlen wurden außerdem 2 Krebsmedikamente: Alunbrig® (Brigatinib, Takeda Pharma A/S) dient der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome, bei denen das Enzym Anaplastische-Lymphom-Kinase (ALK) im Tumorgewebe verändert ist (ALK-positiver Lungenkrebs). Und mit Apealea® (Paclitaxel; Oasmia Pharmaceutical AB) sollen Ovarialkarzinome therapiert werden.
Für die HIV-1-Behandlung empfiehlt der CHMP 2 neue Therapieoptionen: Delstrigo (Doravirin/Lamivudin/Tenofovirdisoproxil, Merck Sharp & Dohme Limited) und Pifeltro® (Doravirin, Merck Sharp & Dohme Limited).
Auch 3 neue Biosimilars, die bei Patienten, die eine Chemotherapie erhalten, die Dauer von Neutropenien bzw. die Inzidenz febriler Neuropenien reduzieren, erhielten von dem Ausschuss eine positive Empfehlung: Fulphila™ (Pegfilgrastim, Mylan S.A.S ), Pelmeg® (Pegfilgrastim, Cinfa Biotech S.L.) und Ziextenzo (Pegfilgrastim, Sandoz GmbH).
Und letztlich erhielt auch Buvidal® (Buprenorphin, Camurus AB ), ein Medikament zur Behandlung von Opioidabhängigkeit, eine Zulassungsempfehlung. Es handelt sich um ein Hybrid-Medikament, dessen Zulassungsantrag sich teils auf die Ergebnisse präklinischer Tests und klinischer Studien zu einem Referenzprodukt und teils auf neue Daten stützt.
Indikationserweiterungen
Für insgesamt 7 Medikamente empfiehlt der CHMP eine Erweiterung der Indikation:
Cabometyx® (Cabozantinib, Ipsen Pharma)
Elebrato Ellipta® (Fluticasonfuroat/Umeclidinium/Vilanterolfluticason, GlaxoSmithKline Trading Services Limited)
Gilenya® (Fingolimod, Novartis Europharm Limited)
RoActemra® (Tocilizumab, Roche Registration GmbH)
Trelegy Ellipta® (Fluticasonfuroat/Umeclidinium/Vilanterolfluticason, GlaxoSmithKline Trading Services Limited)
Venclyxto® (Venetoclax, AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG)
Xtandi® (Enzalutamid, Astellas Pharma Europe B.V.)
Valsartan-Begutachtung ausgeweitet
Der CHMP weitet seine Begutachtung der von valsartanhaltigen Medikamenten ausgehenden Gefahr aus, nachdem in einem weiteren Wirkstoff ebenfalls Spuren von N-Nitrosodiethylamin (NDEA) nachgewiesen wurden. Es handelt sich um die Substanz Losartan, die von dem indischen Hersteller Hetero Labs produziert wurde. Entdeckt wurden die Verunreinigungen von den deutschen Behörden. Das Prüfverfahren wird nun 4 weitere Sartane einschließen: Candesartan, Irbesartan, Losartan und Olmesartan.
All diesen Substanzen gemeinsam ist eine spezifische Ringstruktur (Tetrazol), bei deren Synthese es potentiell zur Entstehung von Verunreinigungen wie NDEA kommen kann. Andere Medikamente dieser Klasse, die diese Ringstruktur nicht haben, sind nicht Teil der Überprüfung.
Basierend auf den NDEA-Spuren, die in einer Charge Losartan von Hetero Labs gefunden worden sei, sei von keiner unmittelbaren Gefahr für die Patienten auszugehen, schreibt der CHMP und warnt: Patienten sollten Losartan oder andere Sartane nicht absetzen, ohne dies mit ihrem Arzt zu besprechen.
Erneute Überprüfungen
Auf Antrag der Hersteller unterzieht der CHMP die Anträge auf Indikationserweiterungen für Blincyto® (Blinatumomab, Amgen Europe B.V.), Opdivo® (Nivolumab, Bristol-Myers Squibb Pharma EEIG ) und Yervoy® (Ipilimumab, Bristol-Myers Squibb Pharma EEIG) einer erneuten Überprüfung. Im Juli hatte der Ausschuss sich gegen eine Empfehlung ausgesprochen gehabt.
Im Mai hatte der CHMP von der Zulassung von Exondys™ (Eteplirsen, AVI Biopharma International Ltd.) abgeraten. Auf Antrag des Herstellers hat der Ausschuss diese Entscheidung noch einmal überprüft, kommt aber zu dem gleichen Schluss: keine Zulassungsempfehlung.
Zurückgezogen wurden die Zulassungsanträge zu Entolimod TMC (Entolimod) gegen die Strahlenkrankheit und Treprostinil SciPharm Sàrl (Treprostinil), welches zur Behandlung der chronischen thromboembolischen pulmonalen Hypertonie entwickelt wurde.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: Gentherapie fürs Auge, ein Migräne-Impfstoff, ein Antibiotikum gegen resistente Keime und 10 weitere neue Medikamente - Medscape - 21. Sep 2018.
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