Abgesang für ASS: Auch bei Senioren nicht zur Primärprävention geeignet – überraschend sogar erhöhte Sterblichkeit

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

17. September 2018

Prof. Dr. Stephan Achenbach

ASCEND zeigte es für Diabetiker, ARRIVE zeigte es für Personen mit moderatem Risiko und nun zeigt es die gerade im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie ASPREE für ältere Menschen: Acetylsalicylsäure (ASS) zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen ergibt keinen Sinn [1]. Auf das behinderungsfreie Überleben hatte ASS keinen Effekt, kardiovaskuläre Ereignisse sanken leicht, die Blutungsrate stieg signifikant. Und unerwartet nahm sogar die Gesamtmortalität etwas zu.

 
Der Nutzen der ASS-Gabe wird von den erhöhten Blutungsraten komplett aufgehoben. Prof. Dr. Stephan Achenbach
 

„ASS hat zwar einen protektiven Effekt: In allen 3 Studien verhindert es relativ konstant kardiovaskuläre Ereignisse, wenn auch nur in geringem Umfang“, kommentiert Prof. Dr. Stephan Achenbach, Direktor der Medizinischen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums Erlangen, im Gespräch mit Medscape. „Doch der Nutzen der ASS-Gabe wird von den erhöhten Blutungsraten komplett aufgehoben.“

Abbruch nach knapp 5 Jahren

In ASPREE wurden Menschen aus Australien und den USA untersucht. Sie waren bei Aufnahme in die Studie über 70 Jahre alt, durften aber keine kardiovaskuläre Vorerkrankung haben. Fast 20.000 Studienteilnehmer wurden auf 100 mg ASS täglich oder Placebo randomisiert. Nach 4,7 Jahren brachen Erstautor Prof. Dr. John J. McNeil, Department of Epidemiology and Preventive Medicine, Monash University, Melbourne, Australien, und seine Kollegen die Nachbeobachtung ab. Es sei abzusehen gewesen, dass die weitere Einnahme von ASS keinen Einfluss auf den primären Endpunkt haben würde, schreiben sie.

Als primären Endpunkt hatten McNeil und sein Team das behinderungsfreie Überleben gewählt, eine Kombination aus Tod, Demenz und dauerhafter körperlicher Behinderung. In der ASS-Gruppe lag die Ereignisrate nach 4,7 Jahren bei 21,5 pro 1.000 Personenjahren, in der Placebo-Gruppe bei 21,2 pro 1.000 Personenjahren.

Kein längeres behinderungsfreies Überleben

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass niedrig dosiertes ASS bei älteren Menschen ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung das behinderungsfreie Überleben nicht verlängert“, resümieren die Studienautoren.

Die kardiovaskuläre Ereignisrate analysierten sie als einen sekundären Endpunkt: Sie lag in der ASS-Gruppe bei 10,7 pro 1.000 Personenjahren und in der Placebogruppe bei 11,2 pro 1.000 Ereignisjahren. Etwas geringer zwar in der ASS-Gruppe, aber ebenso wie beim primären Endpunkt kein statistisch signifikanter Unterschied [2].

Die Rate schwerer Blutungen war dagegen in der ASS-Gruppe mit 8,6 pro 1.000 Personenjahren signifikant höher als in der Placebo-Gruppe mit 6,2 pro 1.000 Personenjahren – eine Risikoerhöhung durch ASS um 38%.

Ungewöhnlich und unerklärlich

Während ASPREE hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisrate und Blutungsrisiko keine Überraschungen barg, verblüfft eine „sehr ungewöhnliche und zunächst unerklärliche Beobachtung“, wie Achenbach betont, umso mehr: „Unter der ASS-Therapie war eine numerisch höhere Gesamtmortalität zu beobachten als unter Placebo“, wie McNeil und seine Kollegen in einer weiteren Publikation berichten [3].

 
Unter der ASS-Therapie war eine numerisch höhere Gesamtmortalität zu beobachten als unter Placebo. Prof. Dr. John J. McNeil
 

Im Laufe des 4,7-jährigen Follow-up starben insgesamt 1.052 Studienteilnehmer. Das Risiko, an irgendeiner Ursache zu sterben, lag in der ASS-Gruppe bei 12,7 Ereignissen pro 1.000 Personenjahren und in der Placebo-Gruppe bei 11,1 Ereignissen pro 1.000 Personenjahren.

Mehr Krebstodesfälle unter ASS

„Die häufigste Ursache für die erhöhte Mortalität in der ASS-Gruppe war Krebs“, berichten die Studienautoren. Krebs sei für 1,6 zusätzliche Todesfälle pro 1.000 Personenjahren verantwortlich gewesen. In der ASS-Gruppe starben 3,1% der Studienteilnehmer an Krebs, in der Placebogruppe waren es 2,3% – eine relative Risikoerhöhung um 31%. McNeil und seine Kollegen betonen, dass dieses Ergebnis unerwartet gewesen sei und mit Vorsicht interpretiert werden müsse.

„Das ist die erste Studie, in der dies beobachtet wurde“, sagt Achenbach. Es sei zwar bekannt, dass Krebs unter ASS-Gabe häufiger diagnostiziert werde, aber dass die Patienten vermehrt an Krebs sterben, sei schwer zu erklären.

Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung durften an ASPREE nicht teilnehmen. „Das heißt: Die Patienten, die an einem Herzinfarkt sterben, waren in der Studienpopulation seltener als in der Allgemeinbevölkerung. Dadurch sind die Krebstodesfälle in den Vordergrund gerückt. Doch das erklärt nicht, weshalb sie in der ASS-Gruppe häufiger sind“, so Achenbach.

„Nicht überbewerten“

Sein Rat: „Man sollte diese Beobachtung nicht überbewerten. Die Quintessenz der Studie ist, dass ASS in der Primärprävention keinen Gesamtnutzen hat. Um zu sagen, dass es schädlich ist, reichen die Daten nicht aus.“

 
Das großzügige Verteilen von ASS zur Primärprävention, das muss jetzt vorbei sein, selbst bei Diabetikern und älteren Menschen. Prof. Dr. Stephan Achenbach
 

Ist es an der Zeit, das Kapitel ASS in der Primärprävention endgültig zu schließen? „Es wird immer Einzelfälle geben – Patienten mit extrem hohem kardiovaskulärem Risiko, aber niedrigem Blutungsrisiko – bei denen man nach sorgfältiger Abwägung von Risiko und Nutzen ASS empfehlen wird“, antwortet Achenbach. „Aber das großzügige Verteilen von ASS zur Primärprävention, das muss jetzt vorbei sein, selbst bei Diabetikern und älteren Menschen.“

Aber möglicherweise gibt es eine Alternative. Achenbach vermutet: „Fasst man die Daten der letzten Zeit zusammen, glaube ich, dass Statine das ASS von morgen sein werden. Weil sie sich im Gegensatz zu ASS immer und immer wieder als sehr wirksam und nebenwirkungsarm herausstellen.“

 

Kommentar

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