Lebendimpfstoffe sind eher gut und Totimpfstoffe eher schlecht. Zu dem Ergebnis kommt David Sieveking bei „Eingeimpft“. Der Dokumentarfilm läuft seit Donnerstag, den 13. September 2018, in deutschen Kinos [1].
Laut Website hielt Filmemacher Sieveking Impfungen „immer für so selbstverständlich wie Zähneputzen“. Seine schwangere Lebensgefährtin „hat Angst vor Nebenwirkungen oder gar einem Impfschaden“ bei sich sowie bei der Tochter. Daraufhin begann der Regisseur mit eigenen Recherchen. Mehrere Experten haben sich den Streifen angesehen und üben scharfe Kritik.
„Der Film begleitet David Sieveking und seine Frau auf dem Weg, eine Impfentscheidung für ihre Kinder zu treffen“, fasst Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Berlin, den Inhalt zusammen. „Die 90 Minuten hätten einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, Zuschauer ausgewogen über Impfungen zu informieren und Argumente für und gegen das Impfen objektiv zu beleuchten.“
Aber: Stattdessen würden „impfkritische Meinungen überwiegend unkommentiert wissenschaftlichen, evidenzbasierten Erkenntnissen gegenübergestellt“. Wieler kritisiert, Aussagen würden „weder gewichtet noch eingeordnet“ und einige Aspekte seien „zumindest ungenau“. Sein Fazit: „Es steht zu befürchten, dass der Film dazu beitragen wird, impfkritische Eltern in ihrer Haltung zu bestätigen – und andere Eltern möglicherweise zu verunsichern.“
Das sieht Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, ähnlich: „Letztlich verbreitet dieser Film zahlreiche Fehlinformationen und wiederholt Mythen, die wissenschaftlich längst widerlegt sind.“ Er bewertet den Film als „verpasste Chance, um Fakten über Nutzen und Risiken von Impfungen entlang des persönlichen Entscheidungsprozesses des Autors für und gegen das Impfen, ausgewogen darzustellen.“
Dies sei umso bedauerlicher, als viele der wissenschaftlichen Informationen dem Autor bekannt gewesen wären. Um welche Themen geht es?
Kontroverse um Totimpfstoffe
„Am Ende seiner Suche gewinnt der Autor die Überzeugung, dass Lebendimpfstoffe eher gut und Totimpfstoffe eher schlecht sind.“ berichtet Prof. Dr. Anke Huckriede vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universitair Medisch Centrum und Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande. Das begründet Sieveking mit umstrittenen Arbeiten des dänischen Wissenschaftlers Dr. Peter Aaby.
Dieser vermutet, Lebendimpfungen würden unser Immunsystem aktivieren, so dass es unabhängig vom Erreger effizienter reagiert. Dieser Effekt sei Huckriede zufolge nicht von weiteren Arbeitsgruppen reproduziert bzw. manchmal nur bei Mädchen oder nur bei Jungen aufgetreten. „Bei einer derartigen Datenlage sollte man sich vor vorschnellen Schlussfolgerungen hüten“, warnt die Forscherin. „Für eine generelle Beurteilung von Lebendimpfstoffen als eher gut und Totimpfstoffen als eher schlecht gibt es keine Grundlage.“
Ihr Resümee: „Als Dokumentation hat der Film implizit den Anspruch, wissenschaftliche Argumente für die Impfentscheidung zu liefern, wird diesem Anspruch meiner Meinung nach aber nicht gerecht.“
Impfen in der Schwangerschaft
Außerdem geht Sieveking der Frage nach, ob Impfungen für werdende Mütter empfehlenswert sind. Mit diesem Aspekt hat sich Dr. Marina Wayan Philipps vom Pharmakovigilanz-Zentrum Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin befasst: „Aufgrund von komplexen physiologischen immunologischen Veränderungen in der Schwangerschaft, wie beispielsweise der Verlagerung von einer (TH)-1-vermittelten zu einer (TH)-2-vermittelten Immunantwort, wird die mütterliche Immunabwehr zugunsten einer erhöhten Antigen-Toleranz geschwächt“, erläutert sie. Die Folge: Influenza, Masern oder Windpocken gingen bei Schwangeren mit deutlich schwereren Komplikationen einher.
„Die aktuelle Datenlage lässt für keinen Impfstoff teratogene Eigenschaften erkennen, inklusive der darin enthaltenden Hilfsstoffe wie z.B. Aluminiumhydroxid oder Ethyl-Quecksilber“, erläutert Philipps. Sie verweist auf die Empfehlung, Routineimpfungen bereits vor einer geplanten Schwangerschaft durchzuführen. „Sollte allerdings eine Impfung in der Schwangerschaft erforderlich sein, ist gegen den Einsatz nichts einzuwenden. Das gilt insbesondere für Totimpfstoffe.“
Die Grippeschutzimpfung würde sogar ausdrücklich während der Schwangerschaft empfohlen. Doch selbst eine versehentliche Gabe von Lebendimpfstoffen sei kein Grund für induzierte Aborte.
Gründe des Nicht-Impfens präsentiert
Doch in dem Film geht es nicht nur um Medizin, sondern auch um Psychologie. Laut Prof. Dr. Cornelia Betsch, Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, zeigt der Film „prototypisch die 5 Gründe des Nicht-Impfens (5C)“:
Confidence steht für fehlendes Vertrauen gegenüber Vakzinen und gegenüber dem Gesundheitssystem,
Complacency beschreibt ein subjektiv als niedrig wahrgenommenes Krankheitsrisiko durch übertragbare Infektionen,
Constraints thematisiert strukturelle Hürden, etwa Stress, Zeitnot oder Schwierigkeiten, einen Arzttermin zu bekommen,
Calculation drückt eine aktive Informationssuche durch Laien aus, wobei hohe Calculation-Werte oft mit mehr Falschwissen und einer geringeren Impfbereitschaft einhergehen,
Collective Responsibility beschreibt die (fehlende) Motivation, sich auch für andere impfen zu lassen, um keine kleinen Kinder oder Risikopatienten zu infizieren.
„Leider fehlen am Ende wissenschaftlich haltbare Antworten: Eltern mit hohem Informationsbedürfnis brauchen nicht einen einzigen Wissenschaftler, der dem wissenschaftlichen Konsens entgegensteht, sondern eher ein systematisches Review – und jemanden, der ihnen das dann gut aufbereitet“, fasst Betsch zusammen. „Zudem wird das Vertrauen in Gesundheitsorganisationen durch selektive Berichterstattung und Techniken der Wissenschaftsleugnung unterminiert.“
Angesichts dieser kritischen Stimmen überrascht ein Pressetext der Deutschen Film- und Medienbewertung. Sie stuft den Film als „besonders wertvoll“ ein. „Ganz nebenbei erhält der Zuschauer eine Menge Informationen über das Thema Impfen“, heißt es dort.
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Diesen Artikel so zitieren: Wasser auf die Mühlen von Impfgegnern: Experten üben scharfe Kritik am Kinofilm „Eingeimpft“ - Medscape - 14. Sep 2018.
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