München – Wer in seiner Ernährung einen hohen Anteil an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Milchprodukten, Fisch und (unverarbeitetem) rotem Fleisch hat, der lebt gesund. Jedenfalls zeigt die PURE-Studie, deren neueste Auswertung Prof. Dr. Andrew Mente aus Hamilton, Kanada, auf dem ESC-Kongress in München vorgestellt hat, eine verringerte Gesamtmortalität bei Personen mit einem solchen Ernährungsmuster [1]. Die Daten wurden auf dem Kongress intensiv diskutiert.
Die aktuelle Auswertung der Studie, die mehr als 135.000 Teilnehmer einschließt, erfolgte nach einer Beobachtungszeit von etwa 8 Jahren. Sie ergab bei Personen mit dem bevorzugten Ernährungsmuster (nach Alter und Geschlecht adjustiert) eine beinahe halbierte Sterberate.
Und selbst nach weiterer Adjustierung für Bildung, Raucherstatus, körperliche Aktivität, Energieaufnahme, Taille-Hüft-Relation, Diabetes sowie Einnahme von Statinen und/oder Blutdrucksenkern war die Mortalität der Gruppe mit den gesündesten Ernährungsgewohnheiten noch um ein Viertel reduziert.
Kleinster gemeinsamer Nenner: Obst, Gemüse, Fisch, gesunde Öle
Auffallend ist, dass in der PURE-Studie Fleisch und Milchprodukte den gesunden Lebensmitteln zugerechnet werden, anders als etwa bei der „Mittelmeerdiät“, wo ein Konsum von Fleisch und Milchprodukten nur in engen Grenzen empfohlen wird.

Dr. Johannes Scholl
Für Dr. Johannes Scholl, Facharzt für Innere Medizin / Ernährungsmedizin / Sportmedizin in Rüdesheim am Rhein, ist das aber kein Widerspruch: „Der Healthy-Diet-Score, welcher der PURE-Studie zugrunde liegt, steht durchaus im Einklang mit den gängigen Ernährungsempfehlungen. Er enthält beispielsweise Obst, Gemüse, Fisch und gesunde Öle“, konstatiert er im Gespräch mit Medscape.
„Anders als einige andere Studien hat PURE jedoch herausgefunden, dass eine Reduktion von Kohlenhydraten zugunsten frischer, auch fetthaltiger Lebensmittel – einschließlich Fleisch und Milchprodukte – positive Effekte hat.“
Wie kam der Healthy Diet Score zustande?
Der „Healthy Diet Score“ wurde eigens für die PURE-Studie konzipiert. Er wurde angewendet, um Personen mit gesunder versus weniger gesunder Ernährung zu unterscheiden. Auf seiner Grundlage wurden die Studienteilnehmer in 5 Quintilen eingeteilt.
Der Score kam jedoch nicht von ungefähr: In einer Einzelanalyse zu Beginn der PURE-Studie wurde ermittelt, welche Nahrungsmittel einen protektiven Effekt zeigten. Heraus kam die oben genannte Top-7-Liste, zu der auch Fleisch und Milchprodukte gehören. Auf Platz 8 hätte übrigens Geflügel gestanden.
Für jede der 7 bevorzugten Lebensmittelgruppen wurde nun mittels Ernährungsfragebogen bei jedem Teilnehmer ermittelt, ob sie einen sehr geringen, relativ niedrigen, mittleren, höheren oder sehr hohen Anteil an seiner Gesamtenergie-Aufnahme ausmachte. Dafür wurden jeweils 1, 2, 3, 4 oder 5 Punkte vergeben. Wer also „viel“ von allen 7 Lebensmitteln isst, hätte 35 Punkte und wer sie alle meidet, hätte 7 Punkte in dem Score erreicht.
Signifikant niedrigere Gesamtmortalität, aber keine Signifikanz bei kardialen Ereignissen
Ganz so groß war die Spannweite jedoch nicht, die Gruppen lagen sogar recht eng beieinander, wie Prof. Dr. Eva Prescott, Kardiologin an der Universitätsklinik Kopenhagen, Dänemark, beim ESC-Kongress kritisch anmerkte: Die Personen der 5 Quintilen in PURE erreichten im Median 9, 12, 14, 16 bzw. 18 Punkte, berichtete Prescott, die als „Kontra“-Diskutantin am Symposium und an einem nachgeschalteten Meet-the-Expert teilnahm.
Der Unterschied hinsichtlich der Gesamtmortalität war jedoch beeindruckend: Setzt man die Sterberate der Personen mit einem Healthy Diet Score von höchstens 11 auf 1,0, so hatten in dem voll adjustierten Modell
Personen mit einem Score von 12–13 eine Hazard Ratio von 0,94,
Personen mit einem Score von 14–15 eine HR von 0,82,
Personen mit einem Score von 16–17 ebenfalls eine HR von 0,82 und
Personen mit einem Score ≥ 18 eine HR von 0,75.
Die letzten 3 Gruppen hatten eine gegenüber der ersten Gruppe signifikant reduzierte Mortalität.
Keine signifikanten Unterschiede fanden sich beim Vergleich der Häufigkeit schwerer kardiovaskulärer Ereignisse: Hier lag die HR bei 1,0 versus 1,05 versus 0,95 versus 0,99 versus 0,91. „Die verringerte Gesamtmortalität geht wohl zu einem beachtlichen Teil auf eine Reduktion nicht-kardiovaskulärer Todesfälle zurück“, folgerte Mente. Die Studie soll mindestens noch weitere 8 bis 10 Jahre fortgeführt werden – viel Zeit, um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen.
Wenig Kohlenhydrate, mehr Fette und Protein – aber alles frisch und alles in Maßen
„Würde man aus der Studie eine Ernährungsempfehlung ableiten, würde das trotzdem nicht heißen, dass man von jeder der 7 gesunden Lebensmittelgruppen exzessiv viel essen sollte“, stellt Scholl klar. Auf die richtige Mischung komme es an.
Beim Konsum von Fleisch, Milch und Käse – auch in der Vollfettversion – müsse jedoch niemand ein schlechtes Gewissen haben, das habe schon eine Auswertung von PURE im vergangenen Jahr gezeigt.
„Es gab noch nie eine Rationale für die Empfehlung fettarmen Joghurts, womöglich noch gezuckert und mit künstlichen Aromen angereichert“, so der Experte. Er betont stattdessen den hohen Stellenwert „echter“, frischer, unverarbeiteter Lebensmittel. Also: Besser Steak, Naturjoghurt und Gouda als Hamburger, Sahnetorte und Fertig-Lasagne.
Keine Rationale für „pflanzenbasierte“ Ernährung
Überhaupt nicht sinnvoll ist dagegen laut Scholl die Einteilung in tierische vs. pflanzliche Nahrungsmittel, auf die eine aktuelle Studie von Seidelmann et al. fokussiert hatte – nach dem Motto: Wenn schon Fette, dann wenigstens Pflanzenfette. „Tierische Produkte gegen pflanzliche Produkte auszuspielen ist medizinisch betrachtet völlig unsinnig“, erklärt Scholl gegenüber Medscape.
Stattdessen sollte man den Stoffwechsel des Einzelnen berücksichtigen, führt er weiter aus: „Viele unserer Patienten in der täglichen Praxis leiden an Diabetes oder an einer Diabetesvorstufe. Für sie sind verarbeitete Weißmehlprodukte, aber auch Vollkornbrot ungünstig. Sie profitieren von einer Low-Carb-Ernährung.“
Auch wer vegetarisch leben möchte, muss übrigens seinen Konsum an Brot, Kartoffeln, Reis und Nudeln nicht steigern, so Scholl: „Eine vegetarische Ernährung kann mit wenig Kohlenhydraten funktionieren, mit viel Gemüse, ‚guten‘ Ölen und Milchprodukten. Man muss sie nur besser planen.“
Neue Ernährungsempfehlung auf Low-Carb-Basis?
Trotz der überzeugenden Daten hinsichtlich der Gesamtmortalität würde Scholl nicht gleich von einer neuen „PURE-Diät“ sprechen: „In der PURE-Studie wurden Assoziationen zwischen freiwilligen oder durch sozio-ökonomische Rahmenbedingungen erzwungenen Ernährungsgewohnheiten und dem Outcome der Teilnehmer beobachtet“, erklärt er auf Nachfrage von Medscape. „Eine Kausalität kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dies sollte man in guten, randomisierten Interventionsstudien überprüfen.“
Auch Prescott warnt vor voreiligen Schlüssen im Sinne einer neuen Ernährungsempfehlung. Sie merkte an, dass auch andere Aspekte eine Rolle spielen, etwa der Salzkonsum oder der Anteil an Transfetten. Zudem sei es „noch unklar, ob der PURE-Healthy-Diet-Score auch sensitiv ist für Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten“.
Man kann also noch nicht sagen, ob die Hinwendung zu einer Ernährung, die einem höheren PURE-Healthy-Diet-Score entspricht, nach einiger Zeit auch eine Verringerung des Sterberisikos nach sich ziehen würde. Falls sich das jedoch in Zukunft bestätigt, dürfte dieses Ernährungsmuster den Bedürfnissen vieler Menschen entgegenkommen. Zudem dürfte es – da ohne Kalorienzählen möglich – relativ leicht umsetzbar sein.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Neue Analyse der PURE-Studie: 7 Lebensmittel, die das Leben verlängern sollen - Medscape - 14. Sep 2018.
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