Die nächste Runde in der Debatte um die optimale Salzzufuhr: „Wir führen die Öffentlichkeit in die Irre“

Roland Fath

Interessenkonflikte

11. September 2018

München – Die optimale Kochsalz- bzw. Natriumzufuhr zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse zählt derzeit zu den heiß diskutierten Präventionsthemen. Neue Studiendaten wie PURE ( Medscape berichtete) stellen den Nutzen der in Leitlinien empfohlenen strikten Begrenzung der Natriumzufuhr auf Werte von unter 1,5 bis 2,0 Gramm täglich – entsprechend 3 bis 5 Gramm Kochsalz – infrage. Beim ESC-Kongress in München setzte sich die Kritik an den derzeitigen Empfehlungen fort [1]. „Wir führen die Öffentlichkeit in die Irre, die Leitlinien sollten geändert werden“, forderte dort der renommierte Kardiologe Prof. Dr. Salim Yusuf aus Hamilton/Kanada.

 
Wir führen die Öffentlichkeit in die Irre, die Leitlinien sollten geändert werden. Prof. Dr. Salim Yusuf
 

Der Zusammenhang zwischen Natriumzufuhr und der Rate kardiovaskulärer Ereignisse ist komplex: Eindeutig belegt ist, dass die Höhe der Natrium- bzw. Salzzufuhr (1 g Natrium entspricht ca. 2,5 Gramm Kochsalz) mit dem Blutdruck korreliert und eine Begrenzung der Natriumzufuhr in der Regel auch den Blutdruck senkt.

In der neuen europäischen Hypertonie-Leitlinie, die beim ESC-Kongress präsentiert und zeitgleich veröffentlicht worden ist, wird für Patienten mit Bluthochdruck als wichtiger Teil von Lebensstilinterventionen unverändert eine Begrenzung der Salzzufuhr auf unter 5 Gramm täglich – entsprechend unter 2 Gramm Natrium – empfohlen [2]. Ob dadurch aber auch tatsächlich die Prognose verbessert werden kann, ist fraglich.

Es gibt keine Daten, die eine Assoziation zwischen einer Natriumrestriktion auf Werte unter 3 g täglich (7,5 g Kochsalz) und einer Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse dokumentieren, betonte Yusuf. Zudem mehrten sich die Hinweise, dass die Aufnahme von zu wenig Natrium schädlich sein könne. „Natrium ist für viele physiologische Prozesse essenziell“, so der Kardiologe.

Auch bei sehr niedriger Natriumzufuhr steigt die Ereignisrate

Ins gleiche Horn stieß sein niederländischer Kollege Prof. Dr. Jean-Paul Vendeville aus Utrecht: Die Beziehung zwischen der Natriumzufuhr und dem Risiko einer klinisch manifesten vaskulären Erkrankung folge wahrscheinlich einem U- oder J-förmigen Verlauf, das heißt nicht nur bei hoher, sondern auch bei sehr niedriger Zufuhr steige die Ereignisrate an.

 
Natrium ist für viele physiologische Prozesse essenziell. Prof. Dr. Salim Yusuf
 

In der PURE-Studie wurde bei Teilnehmern mit der geringsten Natriumzufuhr (unterste Tertile: unter 4,43 g täglich) ein leichter Anstieg der Herzinfarktrate und der Mortalität verzeichnet.

Der gleiche Zusammenhang wie bei der Natriumzufuhr zeigte sich auch beim Verhältnis von Natrium zu Kalium, wie Vendeville und seine Kollegen in einer großen, noch unveröffentlichten Beobachtungsstudie in den Niederlanden mit mehr als 7.000 Patienten mit klinisch manifester Atherosklerose belegen konnten.

Im Rahmen einer gesunden Ernährung wird bekanntlich außer einer Salzrestriktion auch eine ausreichend hohe Kaliumzufuhr (über 3,5 g täglich) empfohlen. Beurteilt wurden in der niederländischen Studie Natrium- und Kaliumzufuhr anhand der Ausscheidung der Elektrolyte im nüchternen Morgenurin.

Die Rate vaskulärer Ereignisse (Schlaganfall, Herzinfarkt, retinaler Arterienverschluss, terminale Herzinsuffizienz, vaskulärer Tod) wurde über einen Verlauf von im Median 7,2 Jahren erfasst. Das Verhältnis von Natrium/Kalium (sowohl bei der Morgenmessung als auch den geschätzten 24-Stundenwerten) korrelierte J-förmig mit der Ereignisrate, berichtete Vendeville.

Patienten mit dem niedrigsten Na/K-Verhältnis (unterste Quintile) hatten ein um rund 30% höheres Ereignisrisiko als Patienten mit den höchsten Werten (oberste Quintile). Bei der Natriumexkretion zeigte sich hingegen kein eindeutiger Zusammenhang, weder mit der gesamten Ereignisrate noch mit dem Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko.

Zwar handele es sich erneut nur um Daten aus einer Beobachtungsstudie, die eine Kausalität nicht belegen könnten, so Vendeville, aber die Konsequenz aus den vorliegenden Daten sei, dass eine Natriumrestriktion nur bei Patienten mit deutlich erhöhter Zufuhr dringend nötig sei und sie nicht so strikt sein müsse.

 
Eine Natriumzufuhr von 3 bis 5 g täglich (7,5 bis 12,5 Salz) in Verbindung mit einer hohen Kaliumzufuhr ist optimal zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse und zur Senkung der Mortalität. Prof. Dr. Salim Yusuf
 

Bei Patienten mit einer Salzzufuhr von 12 Gramm (!) täglich oder mehr könne eine Drosselung der Werte auf unter 8 Gramm täglich bereits ein zufriedenstellendes Ziel sein, sagte Vendeville im Gespräch mit Medscape. Häufig bestünde in der Praxis nämlich das Problem, dass die Patienten nur schlecht für eine intensive Kochsalzrestriktion motiviert werden könnten.

„Eine Natriumzufuhr von 3 bis 5 g täglich (7,5 bis 12,5 Salz) in Verbindung mit einer hohen Kaliumzufuhr ist optimal zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse und zur Senkung der Mortalität“, so die Einschätzung von Yusuf.

Japanische Studie: Noch stärkere Salzrestriktion empfehlenswert

In Bezug auf Blutdruck und Blutdruckkontrolle wäre aber eine noch stärkere Salzrestriktion – wie in der neuen Hypertonie-Leitlinie empfohlen – sicher erstrebenswert. Das zeigen auch die Daten einer aktuellen japanischen Beobachtungsstudie bei 12.422 Hypertonikern. Der Zielblutdruck wurde bei deutlich mehr Patienten erreicht, denen es gelang, die Salzzufuhr auf Werte unter 6 g täglich zu reduzieren – im Vergleich zu Patienten mit höherer Salzzufuhr (80,2% vs. 73,3%).

Der Salzkonsum der Studienteilnehmer nahm mit der Zahl der verordneten Antihypertensiva zu. Anders ausgedrückt: Je mehr Antihypertensiva die Patienten einnahmen, desto unwichtiger erschien ihnen vermutlich ein Salzverzicht, berichtete Dr. Kazuto Ohno aus Hamamatsu, Mitautor der Studie. Insgesamt nahm im Studienzeitraum von 2010 bis 2016 der Salzkonsum der Patienten leicht zu.

 

Kommentar

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