München – Mit einer medianen Überlebenszeit von 2,5 bis 3,5 Jahren hat die Transthyretin-Amyloid(ATTR)-Kardiomyopathie eine ebenso schlechte Prognose wie aggressive Tumorerkrankungen. Jetzt scheint erstmals eine Therapie in Sicht, die in den Krankheitsprozess eingreift und das Leben der Patienten verlängert.
Eine dazu im New England Journal of Medicine erschienene Studie stellte Prof. Dr. Claudio Rapezzi, Universität Bologna, Spanien, beim Kongress der European Society for Cardiology vor [1,2]. „Das ist die erste Phase-3-Studie, die Patienten mit dieser schrecklichen Krankheit neue Chancen eröffnet“, betonte Rapezzi.
Fast nur Männer erkranken
Die ATTR-Kardiomyopathie basiere darauf, dass in der Leber gebildetes Transthyretin (TTR) zunächst in Monomere zerlegt und anschließend fehlgefaltet wird, sodass es sich zu Amyloid-Fibrillen zusammenlagert, erklärte Rapezzi. Diese Fibrillen lagern sich in unterschiedlichen Geweben ab, bevorzugt im Herzmuskel und im Nervensystem. Die Zerlegung des TTR-Tetramers ist der Schritt, der die Geschwindigkeit des pathologischen Prozesses determiniert. Am Herzen kommt es zur restriktiven Kardiomyopathie mit fortschreitendem Pumpversagen.
Es erkranken – anders als bei der ATTR-Neuropathie – zu 90% Männer: „Es scheint, dass das weibliche Geschlecht vorm Herzbefall schützt“, so Rapezzi. Die Erkrankung manifestiert sich meist erst nach dem 60. Lebensjahr.
Gesamtmortalität um fast ein Drittel reduziert
In der von Rapezzi vorgestellten Phase-3-Studie ATTR-ACT (Transthyretin Amyloidosis Cardiomyopathy Clinical Trial) wurde Tafamidis erprobt, ein Benzoxazol-Derivat, das TTR stabilisiert und die Zerlegung des Tetramers unterbindet. Es ist für die Behandlung der ATTR-Neuropathie schon seit einigen Jahren zugelassen.
An der Studie nahmen 441 Herzinsuffizienz-Patienten mit Amyloid-Nachweis im Myokard und positivem TTR-Vorläufernachweis teil, die 2:1:2 in 3 Behandlungsarme randomisiert wurden: 80 mg Tafamidis, 20 mg Tafamidis oder Placebo per os. Die Studienlaufzeit betrug 30 Monate. Daran schließt sich eine Langzeit-Extension an, während der alle Patienten auf Verum eingestellt werden.
Als primären Endpunkt hatten die Untersucher die Gesamtmortalität und die Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz gewählt, die hierarchisch nacheinander mit einem speziellen statistischen Verfahren (Finkelstein-Schoenfeld) ausgewertet wurden. Sekundäre Endpunkte waren u. a. die körperliche Belastbarkeit im 6-Minuten-Gehtest und die Lebensqualität (Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire).
Nach 30 Monaten betrug die Mortalität in beiden Verumarmen gepoolt 29,5% und war damit hoch signifikant geringer als unter Placebo mit 42,9% (Hazard Ratio: 0,70; p < 0,001). Ähnlich das Ergebnis bei den Hospitalisierungsraten: 0,48 pro Jahr unter Tafamidis, 0,7 unter Placebo, was einem Minus von 32% entspricht (p < 0,001). Der Mortalitätsunterschied wurde bereits nach 9 Monaten evident. Lebensqualität und körperliche Leistungsfähigkeit gingen signifikant langsamer zurück.
Rapezzi hob die ausgezeichnete Verträglichkeit des TTR-Stabilisators hervor, die der von Placebo gleichkam. Die Subgruppenanalysen lieferten wenig Auffälliges außer der Tatsache, dass Patienten mit NYHA-Klasse 3 schlechter abschnitten als die mit NYHA 2 – wenig überraschendes Zeichen dafür, dass die Therapie wohl besser früh beginnen sollte, solange der Herzmuskel noch nicht so viel Amyloid enthält.
Alle Patienten mit unklarer Herzinsuffizienz screenen?
Was folgt nun daraus? Für Prof. Dr. Jacob George, Kaplan Medical Center, Revohot, ist die Konsequenz klar: „Alle Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ungeklärter Ursache sollten auf ATTR gescreent werden, denn wir können jetzt eine krankheitsmodifizierende Therapie anbieten.“
Bisher galt die ATTR-Kardiomyopathie als „Orphan Disease“, aber wahrscheinlich werde sie schlicht zu selten diagnostiziert, vermutet Rapezzi. Vor allem unter den Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz bei erhaltender Ejektionsfraktion (HFpEF) dürften sich einige unerkannte ATTR-Fälle verbergen. Der Grund für die Unterdiagnosen liegt einerseits darin, dass es bisher keine kausale Therapie gab, andererseits war die Diagnostik per Biopsie aufwendig.
Mittlerweile wurde ein diagnostisches Verfahren entwickelt, dass nichtinvasiv per Knochenszintigrafie funktioniert. Und es hat sich gezeigt, dass die ATTR-Kardiomyopathie so selten gar nicht vorkommt: Bei 13% hospitalisierter HFpEF-Patienten wurden Untersucher fündig und bei 16% derer, die sich wegen einer schweren Aortenstenose einer Transkatheter-Intervention unterziehen mussten.
Es gibt übrigens eine Reihe von „Red flags“, die auf das Vorliegen einer TTR-Amyloidose hinweisen können. Dazu gehören:
Karpaltunnelsyndrom, vor allem bei beidseitigem Befall
Spinalstenosen
am Auge: Glaukom, abnorme Blutgefäße, unregelmäßige Pupillen
Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion, Wandverdickungen ohne Ventrikeldilatation
progrediente symmetrische periphere sensorimotorische und autonome Neuropathie
George verwies noch auf einen weiteren interessanten Aspekt, nämlich die Ähnlichkeit der ATTR-Erkrankungen mit der Alzheimer-Erkrankung. Möglicherweise könnten sich aus dem Erfolg von Tafamidis Strategien für die Demenz ableiten lassen.
Ein Wermutstropfen liegt darin, dass der TTR-Stabilisator (noch) sehr kostspielig ist: Eine Monatspackung mit 30 Kapseln à 2 mg (Indikation ATTR-Neuropathie) kostet laut Roter Liste knapp 19.000 €.
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Diesen Artikel so zitieren: Amyloid-Ablagerungen im Herzen: Neue vielversprechende Therapie bremst den Verlauf – Hoffnung auch für Alzheimer? - Medscape - 7. Sep 2018.
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