Thoraxschmerz, aber keine Koronarstenose: Ziemlich häufig, aber oft rätselhaft – was sind therapeutische Konsequenzen?

Roland Fath

Interessenkonflikte

6. September 2018

München – Angina-pectoris-Beschwerden ohne relevante Koronarstenosen sind vermutlich viel häufiger als gedacht und haben einen Anteil von bis zu 50%. Die häufigsten Ursachen: Mikrozirkulationsstörungen und Koronarspasmen.

Aber: Thoraxschmerzen ohne obstruktive KHK sind relevant und im weiteren Verlauf mit einem deutlich erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen verbunden, betonte Prof. Dr. Noel Bairey Merz, Women´s Heart Center Los Angeles, beim Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) in München [1].

Doch sind die verschiedenen Scores zur Beurteilung des Risikos bei diesen Patienten eher weniger geeignet. Laut Registerdaten liegt das Risiko von Patienten mit Thoraxschmerzen ungeklärter Ursache zwischen dem von Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren (Primärprävention) und Patienten mit manifester Atherosklerose (Sekundärprävention).

 
Wir wissen nicht, wie wir diese Patienten behandeln sollen. Prof. Dr. Noel Bairey Merz
 

Besonders gefährdet seien Patienten mit Hinweisen für Ischämie-bedingte Thoraxschmerzen, sogenannten INOCA (ischemia with no obstructive coronary artery disease), sagte Merz. Bei ihnen seien die Raten schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (MACE) 3- bis 7-fach erhöht. Zudem bestünden immense therapeutische Unsicherheiten.

„Wir wissen nicht, wie wir diese Patienten behandeln sollen“, so die Kardiologin, und auch nicht, welchen genauen Stellenwert Antianginosa, Antihypertensiva und Statine hätten. Die laufende Studie WARRIOR soll dies klären (Women´s IschemiaA Trial to Reduce Events In Non-ObstRuctive CAD).

Behandelt werden rund 4.400 Frauen mit Angina-pectoris-Beschwerden, bei denen keine obstruktive KHK nachweisbar war, entweder mit hochdosiertem Statin und ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-Rezeptor-Antagonist (ARB) vs. Standardtherapie (übliches Risikofaktor-Management). Ergebnisse werden aber erst in rund 4 Jahren vorliegen.

Beim ESC-Kongress wurden Fälle aus der Praxis vorgestellt

Fall 1: Eine 65-jährige Frau wird mit erstmals aufgetretenen Thoraxschmerzen in Ruhe mit einer Dauer von mehr als 30 Minuten in die Notaufnahme eingeliefert. Die Herzfrequenz beträgt 103/min, der Blutdruck 190/100 mmHg, die Sauerstoffsättigung im Blut ist normal. Die Hypertonie der Patientin war bekannt und wurde mit Ramipril 5 mg täglich behandelt, berichtete PD Dr. Peter Ong vom Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart, das LDL-C lag (unbehandelt) bei 126 mg/dl. Das EKG in der Notaufnahme ergab deutliche Hinweise auf eine Ischämie (ST-Segment-Depression, T-Wellen-Inversion), und auch das hochsensitive Troponin war erhöht (60 pg/ml, Normwerte < 14 pg/ml), während CK und NT-proBNP im Normbereich lagen.

Laut den Leitlinien besteht bei dieser Patientin Verdacht auf einen NSTEMI, erinnerte Ong. Allerdings wurde bei der Koronarangiografie keine relevante Stenose gefunden. Ein Tako-Tsubo-Syndrom wurde durch eine Echokardiografie ausgeschlossen, denn die linke Ventrikelfunktion war normal, so der Kardiologe weiter. Als weitere mögliche Ursachen der Beschwerden kommen eine Myokarditis oder arterielle Koronarspasmen infrage.

Die Ärzte entschieden sich für einen intrakoronaren Acetylcholin-Test, der laut Ong kaum riskanter als eine Standard-Angiographie ist. „Nur bei instabilen Patienten sollte ein solcher Test vermieden werden.“

Bei dem Test konnten bei der Frau die gleichen Thoraxschmerzen ausgelöst werden, und es zeigte sich im EKG wieder eine ST-Strecken-Depression. So konnte die Diagnose gesichert werden: Myokardinfarkt ohne obstruktive Koronararterie (MINOCA). Der Nachweis einer relevanten Konorarstenose sei keine Bedingung für einen NSTEMI, erklärte Ong. Bei rund 6 bis 10% der NSTEMI werde bei der Angiographie keine „culprit lesion“ gefunden.

Die Patientin wurde mit einem Kalzium-Antagonisten – laut Org der wichtigste Baustein der Therapie – sowie mit ASS und einem Statin behandelt. Betablocker sollten bei diesen Patienten vermieden werden.

Weniger eindeutig ist Fall 2 …

Fall 2: Eine 48-jährige Frau, die seit 4 Jahren regelmäßig unter Thoraxschmerzen und Kurzatmigkeit unter Belastung leidet, z.T. auch Beschwerden in Ruhe hat, vor allem in Stressphasen. Zudem fühlte sie sich meist sehr müde, berichtete Dr. Angela Maas vom Woman´s Heart Center in Nimwegen.

Die Beschwerden traten 2- bis 3-mal täglich auf und dauerten 5 bis 20 Minuten. Weitere Befunde: Migräne seit der Jugend, Hypertonie seit der ersten Schwangerschaft, allergische Rhinitis, Fibromyalgie. 2 Koronarangiographien in den Jahren 2011 und 2015 und eine letzte erst eine Woche zuvor waren unauffällig. Aktuell war das EKG normal, der Body-Mass-Index betrug 23, der Blutdruck 140/90 mmHg, das Gesamtcholesterin lag bei 232 mg/dl (6 mmol/l), das LDL-C bei 139 mg/dl (3,6 mmol/l).

Die Verdachtsdiagnose lautete bei dieser Patientin mikrovaskuläre Angina, denn nicht alle 4 Diagnose-Kriterien waren erfüllt, sagte Maas. Ischämische EKG-Veränderungen waren nicht nachgewiesen worden, und auch die eingeschränkte Gefäßfunktion der Koronarien war nicht eindeutig. „Vor einer invasiven Testung hatten wir Angst“, so Maas.

Die medikamentöse-Therapie zielte auf eine strikte Blutdruckkontrolle ab. Die Patienten wurde mit Diltiazem, HCT, Perindopril und auch dem Betablocker Nebivolol behandelt, ein Statin vertrug sie nicht, ASS wurde nicht eingesetzt.

Unter dieser Therapie verringerten sich die Beschwerden in Ruhe, traten aber immer noch unter Belastung und Stress auf. Es wurde zusätzlich Imipramin in Kombination mit einem Programm zur Stressreduktion eingesetzt. Weitere Behandlungsoptionen bei mikrovaskulärer Angina wären Ranolazin (in den Niederlanden laut Maas nicht verfügbar), Ivabradin, Xanthin und Nicorandil.

Der weitere Verlauf der Patientin: Seit einem Wechsel des Arbeitsplatzes hat sie unter der genannten Medikation nur noch wenig anginöse Beschwerden, intermittierend aber immer noch Dyspnoe. Die Patientin versuche, ein möglichst entspanntes Leben zu führen, so das Fazit von Maas.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....